Steuer- und Haushaltspolitik Die Geschenke der FDP

  • von Sven Becker
Hoteliers, Apotheker, Gutverdiener - sie alle werden von der FDP reichlich beschert. Aber: das größte Geschenk, die radikale Steuerreform, wird wohl ein leerer Pappkarton bleiben.

Rainer Brüderles Gespür für Fettnäpfchen ist legendär, deswegen begleitet den Wirtschaftsminister eine aufmerksame Sprecherin. Ihre Hauptaufgabe: Sobald der FDP-Politiker etwas Unüberlegtes sagt, grätscht sie dazwischen. Am vergangenen Wochenende war die Mitarbeiterin wohl mit Weihnachtseinkäufen beschäftigt, anders lassen sich Brüderles Aussagen kaum erklären. Das sogenannte "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" hatte gerade so den Bundesrat überstanden, da legte der FDP-Politiker nach.

"2011 kommt die weitere Steuerreform mit einem Stufentarif, der gerade die kleineren und mittleren Einkommen um weitere 20 Milliarden Euro entlasten wird", sagte Brüderle der "B.Z. am Sonntag". Der Koalitionspartner traute seinen Ohren kaum. Was hatte es für Mühen gekostet, die Bundesländer vom Wachstumsbeschleunigungsgesetz zu überzeugen. Milliardenschwere Hilfen bei der Bildung waren nötig, sogar auf eine Diskussion über die Neuverteilung der Mehrwertsteuer hatte sich die Regierung eingelassen. Und dann das.

"Wie ein trotziges Kind!"

"Es hat überhaupt keinen Sinn, wie ein trotziges Kind aufzustampfen und zu sagen: 'Ich will aber!'", motzte CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich. "Es geht darum, zehn Milliarden Euro ab 2011 Jahr für Jahr für die Schuldenreduzierung zu erwirtschaften. Wir werden die Spielräume also nutzen, Schulden zu tilgen", sagte Friedrich.

Doch die Liberalen tun so, als lebten sie im Schlaraffenland, als gäbe es 2010 keine Neuverschuldung von 86 Milliarden Euro, keine Wirtschaftskrise und keine Schuldenbremse. So können nur Politiker reden, die keine Verantwortung spüren. Ein Prinzip, dass die FDP nach elf Jahren Opposition noch nicht abgelegt hat - und das sie derzeit auch nicht ablegen muss.

Zu besichtigen war das am Dienstag bei der Regierungspressekonferenz. Trotz Feiertagen und Glatteis ist der Saal gut gefüllt. Vorne, auf dem Podium, sitzen Regierungssprecher Ulrich Wilhelm und die Sprecher aller Ministerien. Über eine Stunde stellen Journalisten quälende Fragen: Wie soll der Staat Steuersenkungen und Einsparungen in Einklang bringen? Werden die Sozialbeiträge erhöht? Gar die Mehrwertsteuer? Doch nur die Sprecher der unionsgeführten Ministerien müssen antworten, vor allem Wilhelm und die Vertreter des Finanz- und Arbeitsministeriums stehen unter Druck. Die Sprecher der FDP hingegen bleiben an diesen Tag weitgehend unbehelligt. Mal wieder. Der Schneematsch der letzten Wochen bleibt an der Union kleben, während die FDP sauber dasteht. Das zeigt sich auch an den Wahlumfragen.

Dankbare Anhänger

In der aktuellen Forsa-Umfrage liegt die FDP bei 12 Prozent, ein Prozentpunkt über der letzten Woche. Die Union verliert zwei Prozentpunkte und liegt nur noch bei 35 Prozent. Auch wenn die FDP seit der Bundestagswahl fast drei Prozentpunkte eingebüßt hat: Die Liberalen können sich bei ihren Stammwählern behaupten. Sie danken es ihrer Partei, dass sie fröhlich Geschenke verteilt - auch wenn eigentlich kein Geld da ist. So bleibt die FDP auch in dieser Legislaturperiode eine Klientelpartei.

Im Koalitionsvertrag verhinderte die FDP mehr Wettbewerb bei den Apotheken. "Die Auswüchse" beim Versandhandel sollen bekämpft, Pick-Up-Stellen für Arzneien verboten werden. Normalerweise sind Monopole ein Unding für Liberale, sie machen die Preise kaputt und schaden den Bürgern. Doch was sagt FDP-Gesundheitsminister Philipp Rösler? Die Verantwortung solle allein bei den Apothekern liegen, "nicht bei anonymen Großketten", erklärte er diese Woche. "Schließlich gibt es einen Unterschied zwischen Arznei und Brötchen." Stimmt. Doch kein Mensch will Drogeriemärkten den Verkauf von Opiaten erlauben. Es geht vor allem um Produkte wie Kopfschmerztabletten, die man woanders in jedem Supermarkt kaufen kann. "Das ist nichts anderes als Klientelpolitik", sagte der Chef der Monopolkommission, Justus Haucap, schon im Oktober. Und da war das Wachstumsbeschleunigungsgesetz noch gar nicht verabschiedet.

Erhöhung der Arbeitslosenversicherung?

Niemals wollte die FDP einer Regierung beitreten, die sich nicht für ein "einfacheres, niedrigeres und gerechteres" Steuersystem einsetzen würde. Doch dann drückten die Liberalen im Wachstumsbeschleunigungsgesetz die reduzierte Mehrwertsteuer für Übernachtungen in Hotels durch. Das macht das Steuersystem zwar nicht einfacher oder gerechter, aber die Hoteliers freuen sich.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Auch die restlichen Maßnahmen nützen vor allem den Gutverdienern in Deutschland: Unternehmenssteuerreform, Erbschaftssteuerreform, überproportionale Anhebung des Kinderfreibetrags. Geringverdiener werden mit der Anhebung des Kindergelds um 20 Euro abgespeist. Falls ihnen das Geld nicht woanders wieder weggenommen wird.

Die "Süddeutsche Zeitung" berichtet über Stimmen "aus Fraktionskreisen", die eine Anhebung der Arbeitslosenversicherung auf 4,5 Prozent ankündigen. Das Geld ist offenbar dringend nötig. Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, erklärt: "Wir werden dauerhaft mit 3 Prozent nicht auskommen." Die Koalition bestreitet das noch, doch der Verdacht erhärtet sich: Die Regierung senkt die Steuern für die Besserverdienenden und hebt die Sozialbeiträge für die gesamte Bevölkerung.

Streit mit der Union

Deswegen haben viele Unionspolitikern genug von dem FDP-Gequatsche über die nächste Steuerreform. Der stellvertretende Unionsfraktionschef Michael Fuchs sagte der "Bild"-Zeitung: "Wir sollten lieber auf Steuersenkungen verzichten, als die Sozialbeiträge zu erhöhen."

Von wegen, denkt sich die FDP, und ruft weiter nach dem größten Geschenk von allen: dem Stufentarif in der Einkommenssteuer. 20.000.000.0000 Euro Entlastung ab 2011. Und wenn sich die Union schon nicht mit inhaltlichen Argumenten überzeugen lässt, dann eben mit einem Appell an die eigene Integrität: "Ich habe volles Vertrauen, dass das Wort der Kanzlerin gilt, und Herr Schäuble ist ein Ehrenmann, der macht, was er sagt", sagte Rainer Brüderle am Wochenende.

Wenn er sich da mal nicht gewaltig täuscht.