Bundeskanzler Olaf Scholz hat der Lieferung von Taurus-Raketen in die Ukraine im Bundestag erneut eine klare Absage erteilt. "Besonnenheit ist nicht etwas, was man als Schwäche qualifizieren kann, wie einige das tun, sondern Besonnenheit ist das, worauf die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land einen Anspruch haben", sagte der SPD-Politiker am Mittwoch in einer 70-minütigen Befragung durch Abgeordnete. Der Union warf Scholz vor, in der Debatte "Halbwahrheiten" zu verbreiten. "Die Bürgerinnen und Bürger haben Angst vor Ihnen", sagte er. Für die CDU/CSU wies der CDU-Politiker Norbert Röttgen diesen Vorwurf mit scharfen Worten zurück. "Sie spielen nicht mit klaren Karten. Und Sie zielen darauf ab, die Öffentlichkeit in dieser Frage zu täuschen – in einer Frage der europäischen und nationalen Sicherheit."
Nein zur Taurus-Lieferung: "Scholz ist nicht gekippt"
"Volksstimme": "Der Taurus geht nicht nach Osten: Olaf Scholz hat im Bundestag nochmals klargemacht, dass die Ukraine keine Marschflugkörper erhält. Damit weiß sich der Kanzler mit der Mehrheit der Deutschen einig, nicht aber mit der oppositionellen Union und lautstarken Vertretern der Ampelkoalition. Auch Nato-Verbündete hatten Scholz zur Lieferung der Raketen gedrängt, von der Ukraine ganz zu schweigen. Scholz ist nicht gekippt. Er beweist Haltung und Entschlossenheit. Genau das vermissen zu lassen, wurde ihm in dem unsäglichen Krieg Russlands gegen die Ukraine lange Zeit vorgeworfen. Anhand der Leopard-Panzer beispielsweise, deren Ausfuhr der Kanzler erst verweigerte und dann doch genehmigte. Für Scholz sind die Taurus-Raketen längst zu Schicksalsboten seiner Kanzlerschaft geworden, die nun gesicherter ist. Hätte Scholz seine Entscheidung revidiert, wäre das Signal von Moskau über Kiew bis nach Washington fatal gewesen: In Berlin regiert ein Umfaller."
"Weser Kurier": "Dass Olaf Scholz die Lieferung nach langer, reiflicher Überlegung und unter Abwägung aller Vor- und Nachteile abgelehnt hat, ist ein Ausdruck von Besonnenheit und Stärke. Wer dieses – wie Ex-Minister Jens Spahn – öffentlich als Zeichen der Angst abtut, dem geht es lediglich um kurzsichtige politische Scharmützel, von denen am Ende nur die Gegner der Demokratie im In- und Ausland profitieren."
"Neue Osnabrücker Zeitung": "Im Hier und Jetzt, in dem Scholz entscheiden muss, ist sein Nein nachvollziehbar. Bei aller Unzufriedenheit mit seiner Ampel-Regierung und seinem Regierungsstil: Sein abwägendes Handeln im Ukraine-Krieg ist weithin akzeptiert und geschätzt. Es ist mit Blick auf die nahende Bundestagswahl sein 'Unique Selling Point', sein Alleinstellungsmerkmal also, wenn er sich um eine weitere Kanzlerschaft bewirbt. Scholz folgt der Mehrheit, damit sie ihm folgt. Das Risiko einer Fehlentscheidung nimmt er in Kauf."

Sehen Sie im Video: Schlagabtausch im Bundestag – Opposition konfrontiert Scholz bei Taurus-Befragung.
"Die Entscheidung ist zu respektieren"
"Die Glocke": "Doch gibt es Gründe für Scholz’ 'Nein'. So würde Russlands Präsident Wladimir Putin eine Lieferung propagandistisch ausschlachten und Deutschland womöglich endgültig als Kriegspartei betrachten. Zudem ist anzunehmen, dass nach einer Taurus-Zusage Forderungen nach höherwertigeren Waffensystemen aufkämen: Wenn schon Marschflugkörper – warum dann nicht auch Trägerflugzeuge dafür? Doch wo soll das enden? Und: Sollte es stimmen, dass Scholz vor Monaten Chinas Staatschef Xi Jinping dazu bewogen hat, Putin öffentlich vom Einsatz von Atomwaffen abzuraten – dann wäre es seltsam, wenn der Kanzler auf der anderen Seite die Rüstungsspirale ankurbelte. Scholz steckt in der Zwickmühle – denn dass die Ukraine sich gegen die russischen Invasoren zur Wehr setzen können muss, steht grundsätzlich außer Frage. Er hat seine Entscheidung getroffen – das ist zu respektieren."
Trauerspiel zwischen Regierung und Opposition
"Rhein-Zeitung": "Was in Deutschland im Zuge der Taurus-Debatte nicht mehr existiert, ist ein sogenannter 'Common Sense' von Regierung und Opposition. Das, was die Amerikaner als 'rally around the president', also ein 'Sich Versammeln' um den Regierungschef bezeichnen, ist in Deutschland gerade leider Geschichte. CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen und der Kanzler liefern sich ein persönliches Scharmützel, unterstellen sich gegenseitig, Halbwahrheiten zu verbreiten. Es ist eher ein Trauerspiel, hier braucht sich die AfD nur zurückzulehnen. Scholz hat es nicht vermocht, die Union in seine Entscheidungen einzubinden oder sie auch einfach nur vorab zu informieren. Die Union wiederum nutzt das sensible Thema als Methode, den Kanzler persönlich vorzuführen. Doch die Frage von Krieg und Frieden eignet sich hierfür nicht."

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"Rhein-Neckar-Zeitung": "Der Kanzler bleibt dabei, dass Deutschland faktisch Kriegspartei würde, sollte Taurus geliefert werden. Auch das abgehörte Videogespräch der vier Bundeswehroffiziere legt diesen Schluss nahe. Denen fiel als Alternative zum direkten Bundeswehreinsatz nur ein, notfalls Koordinaten per Boten auf dem Landweg in die Ukraine zu bringen. Dazu der Kommentar: 'Wie würde wohl die Presse reagieren, wenn das rauskäme'? Anders ausgedrückt: Die Generäle beschlich ein ähnliches Gefühl, wie den Kanzler. Es ist (…) der Kanzler, der in Europa die größte Unterstützung für die Ukraine organisierte. Anders als Macron, der vielleicht mutiger, ganz sicher aber nicht vernünftiger ist, als Scholz. Die Union übte sich in der Aktuellen Fragestunde darin, den kühlen Hanseaten so weit zu bringen, dass er die Contenance verlor. Punkt für sie. Aber in der Sache geht es nicht um Gesichtswahrung, nicht um große Gesten, sondern darum, wie Europa halbwegs heil aus diesem Ukrainekrieg herauskommt. Das zählt."