Krieg in der Ukraine Hype um Taurus: Was kann der deutsche Marschflugkörper – und was kann er nicht?

Je zwei Taurus kann ein Jet transportieren.
Ganz neue Reichweite: Ein Kampfjet kann je zwei Taurus transportieren.
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Technisch gesehen ist der Taurus KEPD 350 eine "Wunderwaffe", mit ihm will Kiew die Krimbrücke zerstören. Dennoch würde ein Einsatz der Taurus den Krieg nicht grundlegend ändern. 

Taurus, Taurus, Taurus.

So oft, wie der Marschflugkörper beschworen, so heftig, wie um ihn gerungen wird, sollte man meinen, dass sein Einsatz das Gleichgewicht des Krieges radikal verändern würde. Aber ist dem wirklich so?

Die deutsch-schwedische Missile Taurus KEPD 350 ist ein Gegenstück zur britischen Storm Shadow und der weitgehend baugleichen französischen SCALP, dabei aber ungleich leistungsfähiger als die Storm Shadow. Im Blickpunkt steht vor allem die Reichweite, sie wird auf mehr als 500 Kilometer geschätzt, was mindestens 200 Kilometer mehr wären bei der Storm Shadow. Die Taurus ist eine modulare Waffe, die mit unterschiedlichen Gefechtsköpfen unterschiedliche Ziele angreifen kann. Dazu kann sie je nach Ziel verschiedene Angriffskurven fliegen. Im Fokus steht der Tandem-Gefechtskopf Mephisto (Multi-Effect Penetrator High Sophisticated and Target Optimized), der aus zwei Ladungen besteht. Die erste, eine Hohlladung, durchschlägt eine Panzerung mit ihrem Hitzestachel und ermöglicht so der zweiten, dem Penetrator, das Eindringen ins Ziel. So kann man beispielsweise ein Betondach durchschlagen und den Penetrator erst im Keller oder Erdgeschoss detonieren lassen. Von Mephisto verspricht sich Kiew, dass er die Krimbrücke nicht nur beschädigen, sondern zerstören kann.

Taurus ist kaum abzufangen 

Dazu kommt die Elektronik, die leistungsfähiger als bei der Storm Shadow ist. Der Taurus kann deshalb besser der Luftabwehr entgehen und schlechter gestört werden. Noch dazu lässt er sich sehr tief fliegen – für eine bodengestützte Abwehr ist es in dem Fall nahezu unmöglich, ihn zu erfassen, wenn der Kurs die Positionen der Verteidiger umgeht. Für Flughöhen von 50 Metern und weniger müssen die Geländedaten allerdings sehr genau sein.

Storm Shadow und Taurus werden nicht vom Boden aus gestartet, sondern von Flugzeugen in die Luft gebracht. In der Ukraine übernehmen das umgerüstete SU-24, die zur 7. Brigade gehören. Später käme auch die F-16 in Betracht. Ein Jet kann jeweils zwei Missiles transportieren. Die höhere Reichweite der Taurus hätte zwei Vorzüge für die Ukraine: Die Jets könnten die Missile entsprechend weiter weg vom Ziel ausklinken und also mehr Distanz zur Front und der russischen Luftabwehr halten. Andererseits könnten sie aber auch Ziele tief im russischen Hinterland angreifen. Es ist eben dieses Szenario, das die westlichen Unterstützer bislang abschreckt. Einmal mehr fürchtet man, Russland könne sich provoziert fühlen – und der Krieg, der längst eskaliert ist, noch weiter eskalieren.

Strategische Wirkung des Taurus 

Neben den eher technischen und beeindruckenden Eigenschaften des Taurus ist die Frage wichtig, was diese Waffe im Kriegsgeschehen bewirken kann. Denn technisches Können ist nicht dasselbe wie die strategische Wirkung. Und siehe da, bei letzterer nimmt sich das Potenzial dann schon bescheidener aus. Das spricht nicht gegen den Taurus, ist aber immanent. Auch beim Leopard 2 hat man sich an einzelnen Bestwerten berauscht und darüber die Augen verschlossen vor der Tatsache, dass ob der geringen Zahlen keine Wende im Kriegsverlauf herbeizuführen war.

Die Menge wird auch beim Taurus ein Problem. Von der Konzeption her sollten Präzisionswaffen dieser Art nämlich ganz anders genutzt werden. In einem Konflikt zwischen Nato und Warschauer Pakt sollten Schläge in der Tiefe Nachschub, Bereitstellungen und Kommandostrukturen des Gegners zerstören. Hier dachte man an einen hochintensiven, kurzen Krieg, bei dem man den Gegner in der Tiefe so schädigen wollte, dass an der Front entscheidende Vorteile offenbar werden. Für diesen Zweck sollten Hunderte von Angriffen in kurzer Zeit erfolgen. 

Aber in der Ukraine, in diesem Krieg?

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Geringe Zahl des Marschflugkörpers 

Stellt sich die Situation eben ganz anders da. Von einer Angriffswelle der Marschflugkörper kann keine Rede sein. Deutschland verfügt insgesamt über etwa 600 Taurus, die Hälfte davon einsatzbereit. Der gesamte Bestand soll aufgearbeitet werden. Falls Berlin liefert, könnte Kiew maximal 200 bis 300 Missiles erhalten – und das ist eine reichlich optimistische Schätzung. Diese Marschflugkörper würden dann von einer begrenzten Anzahl von Flugzeugen in die Luft gebracht, sie könnten einzelne, besonders wichtige Ziele ausschalten, ja. Eine lähmende Welle indes ließe sich nicht initiieren. Darum wird auch immer wieder die Krimbrücke im Zusammenhang mit Taurus genannt. 

Mit dem Gefechtskopf Mephisto hofft man, dass der Taurus die Brücke zerstören könnte, zumindest dann, wenn mehrere Marschflugkörper eingesetzt werden. Die Brücke wäre dann nicht mehr nutzbar und wegen der Art ihrer Konstruktion in Kriegszeiten auch kaum instandzusetzen. Außerdem könnte man mit dem Taurus Kraftwerke, die Überwachungsflugzeuge der Russen und ihre Kommandozentralen angreifen. Allesamt Ziele, bei denen eine punktuelle Zerstörung großen Schaden anrichtet.

Mehr geht nicht. Flächige Ziele und Installationen, die sich reparieren lassen, etwa Gleisanlagen oder Hafenkais, verbieten sich wegen der geringen Anzahl des Taurus. Im Jahr 2017 ordnete US-Präsident Trump einen Vergeltungsschlag in Syrien wegen eines angeblichen Giftgasangriffs des Assad-Regimes an. 59 Cruise-Missiles wurden damals auf einen Flugplatz abgefeuert, sie sollen dort neun ältere Jets zerstört haben. So etwas kann sich Kiew nicht leisten.

Primärziel Krimbrücke 

Die Explosionswirkung eines Taurus entspricht einer mittelgroßen Bombe. Russland soll jeden Monat 3000 Gleitbomben einsetzen. Das Besondere des deutschen Marschflugkörpers ist die Reichweite, die Genauigkeit seines Einschlags und die Schwierigkeit, ihn abzufangen. "Lohnende" Ziele kann die Ukraine mangels eigener Aufklärung allerdings nicht allein finden, hier wäre sie auf aktive Hilfe des Westens angewiesen. Hundertprozentig sicher ist auch der Einsatz des Taurus nicht. Man nimmt an, dass der Marschflugkörper kaum abzufangen ist, weiß es aber nicht. Am Boden in der Lagerhalle ist auch der Taurus verwundbar, in der Flugphase des Jets ebenfalls. Mit 200 bis 300 Missiles könnten etwa 100 hochrangige Ziele ausgeschaltet werden, danach wäre der Taurus verschossen.

So ein Verlust dürfte Russland empfindlich treffen, den Krieg aber nicht beenden. Den größten Effekt hätte der Verlust der Krimbrücke, vor allem dann, wenn ukrainische Wasserdrohnen der Ukraine den Seeweg sperren. Schon die Versorgung auf der Halbinsel wäre gefährdet, die Versorgung der Front müsste über das okkupierte Festland stattfinden. Obwohl die Russen dort ihre Eisenbahnkapazitäten ausgebaut haben, würden sie wohl Schwierigkeiten bekommen. Die Luftangriffe von der Krim hätten ebenfalls mit Versorgungsengpässen zu kämpfen.

Massiver Einfluss? Ja. Kriegsentscheidend? Nein. An der Krim hängt die militärische Versorgung in den Regionen Cherson und Saporischschja, doch offensiv sind die Russen im Donbass und bei Charkow, hier benötigen sie die Krim nicht. Bleibt der Nachschub über die Krim aus, könnten sie wieder im Norden offensiv werden. Die Ukraine wiederum könnte die Russen unter Druck setzen, indem sie eine Offensive wie im Sommer 2023 im Raum Saporischschja startet. Allein, das ist Mänovertaktik im Konjunktiv: Kiew scheint derzeit und auch alsbald nicht über die notwendigen Bodentruppen für so eine Großoffensive zu verfügen.

Bundeswehr-Waffensystem: Das kann der Marschflugkörper Taurus (Video)
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Sehen Sie im Video: Bundeswehr-Waffensystem im Video – das kann der Marschflugkörper Taurus.

Russlands Gegenschläge 

Eine Zerstörung der Krimbrücke würde derweil ziemlich sicher zu Vergeltungsschlägen der Russen führen. Auch wenn man das Horrorszenario, den Einsatz von taktischen Atomwaffen, ausklammert, gibt es weitere Möglichkeiten: Die ganze Ukraine wird vom Dnipro geteilt, über ihn führen 25 Brücken und Sperrwerke – die bislang noch nicht ernsthaft angegriffen worden sind. Ein Bombardement dieser Staumauern hätten verheerende Folgen.

So lässt sich also festhalten, dass der Einsatz des Taurus der Ukraine Zeit erkaufen und den Druck auf die Front verringern würde. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Anders sähe es aus, wenn der Taurus ein Bestandteil eines Gesamtpaketes wäre, mit dem man das angeschlagene ukrainische Militär wieder aufbauen könnte. Doch das Weiße Haus will nach Medienberichten Kiew zwar weitere ATACMS geben, aber nur Modelle mit etwa 150 Kilometer Reichweite und Gefechtsköpfen, die sich nicht gegen gehärtete Ziele verwenden lassen. Dafür, dass der Krieg ein zeitnahes Ende findet, spricht nichts, nicht mal der als Wunderwaffe gefeierte Taurus.

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