Dank der EU in Brüssel werden demnächst unsere Fingerabdrücke abgenommen und alle unsere Telefonverbindungen ein halbes Jahr gespeichert, egal ob wir verdächtig sind oder nicht. Das ist doch ein Grund, dankbar zu sein, oder? Nur komisch, dass die Bundesregierung diese Errungenschaften in ihrer jüngsten EU-Werbeanzeige so schamhaft verschweigt.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat gestern für Deutschland den Vorsitz im EU-Ministerrat übernommen, die deutsche EU-Präsidentschaft hat begonnen. Es geht ihm darum, sagte Steinmeier neulich, "Europa wieder besser zu erklären". Das ist eine bewährte EU-Formel, die auf Deutsch so übersetzt werden kann: Liebe Bürger, was wir Minister und Beamte in Brüssel entscheiden, ist höllisch kompliziert. Ihr seid leider viel zu beschränkt, um es zu kapieren oder gar mitzubestimmen. Aber wir wissen super Bescheid und werden jetzt noch einmal versuchen, es Euch gaaanz langsam zu erklären.
Im Rahmen dieser Politik muß auch die große (von uns beschränkten Steuerzahlern bezahlte) Anzeige entstanden sein, die am Sonntag in mehreren Zeitungen stand. "Europa gelingt gemeinsam", verkündete die Bundesregierung dort. Und sie zählte all die "Vorteile unserer EU-Mitgliedschaft" auf: Billigere Telefontarife, günstigere Flüge, sauberere Strände. Klang alles klasse.
Nur beim Thema "Sicherheit" wurde die Sprache der Werbetexter der Bundesregierung plötzlich ziemlich vage. Auch "die Herausforderungen von internationalem Terrorismus und organisierter Kriminalität" werde die EU gemeinsam "meistern", hiess es dort.
Kein Wort von all den jüngsten ganz konkreten Brüsseler Errungenschaften: Davon , dass die EU - auf Betreiben von EU-Kommission und Bundesregierung sowie mit kräftiger Unterstützung von SPD und CDU/CSU im Europaparlament - kürzlich die mindestens sechsmonatige Vorratsdatenspeicherung von Telefonverbindungen vorgeschrieben hat. Oder dass in allen neuen Reisepässen künftig zwei Fingerabdrücke der Inhaber gespeichert werden - als seien wir alle verdächtig.
Vielleicht ist es ja kein Wunder, dass die Regierungswerber bei diesen beiden Vorhaben lieber nicht so konkret wurden. Beides klingt halt doch stark nach Big Brother. Und beides hat die Bundesregierung wohl nicht zufällig lieber via Brüssel eingefädelt, als über den Bundestag. In Berlin gab es nämlich ein klares Nein der Abgeordneten gegen die ausufernde Datensammelei und Widerstand sogar in der CDU. In Brüssel dagegen ging alles glatt durch - da gibt es praktischerweise keine parlamentarische Opposition und die Presse ist auch nicht übertrieben wachsam.
Darum gelingt in Brüssel in der Tat viel - aus Sicht der Beamten der EU-Kommission und der Bürokraten der nationalen Regierungen, die dort gemeinsam auskungeln, was für uns Bürger am besten ist.
Bleibt nur der kleine Schönheitsfehler, dass die Bürger in diesem Europa nur eine Nebenrolle haben. Mitregieren, die EU-Exekutive wählen oder stürzen - all das dürfen sie in Brüssel nicht. Beim Thema EU haben wir alle still zu stehen und zu bewundern, wie hoch über unseren Köpfen staunenerrregende Beschlüsse gefasst werden.

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Nur wird das immer schwerer, je weiter die Brüsseler Macht ausgreift und je mehr die Regierungsartisten in der europäischen Zirkuskuppel Dinge beschliessen, die sie nie und nimmer in ihren heimischen, demokratisch gewählten Parlamenten durchbringen würden.
Trotzdem will die Bundesregierung unbedingt, dass die Bürger im Brüsseler Zirkus Zuschauer bleiben. Jedenfalls muß man das ihrer Anzeige vom Sonntag entnehmen, in der von mehr Bürgermitsprache in der EU mit keinem Wort die Rede war.
Die Regierung unterstützt ja bis heute auch den missratenen Entwurf einer EU-Verfassung, der das Brüsseler Demokratiedefizit zementiert hätte. Und der - auch deshalb - von den Franzosen und Niederländern abgelehnt wurde. In diesen beiden Ländern hatte man es aus Sicht von Steinmeier und Co halt einfach nicht geschafft, den Bürgern alles gaaanz langsam zu erklären.
Der Außenminister selbst ist in Sachen "Erklären" dagegen schon ein echter Profi. Die EU habe sogar weniger Angestellte und Beamte als selbst die Stadt Köln, fabulierte er neulich in der Bild-Zeitung (sollte heißen: die EU ist gar nicht so mächtig und bürokratisch). Das war frei erfunden, denn in Wahrheit hat allein die EU-Kommission (ohne die tausenden Beamten all der anderen EU-Institutionen) längst mehr Beschäftigte als die Bundesregierung und ungefähr doppelt so viele Leute wie die Stadt Köln.
Der Außenminister hat also ein bisschen geflunkert. Aber vielleicht meinte er es ja gar nicht so und hat sich einfach nur vertan, weil beim Thema EU alles so höllisch kompliziert ist. Und wahrscheinlich wissen es seine Beamten schon besser, haben sich aber nicht getraut, den Chef zu kritisieren (und verewigten deshalb die Zahlentricks ihres Ministers sogar auf der offiziellen AA-Website).
Im Außenministerium läuft also alles prima, und wir Bürger haben jeden Grund, der Regierung weiter ganz fest zu vertrauen. Sie wird das EU-mäßig schon super hinkriegen. Alles weitere entnehmen wir dann den Werbeanzeigen in den Zeitungen.