Es ist gegen elf, eine Stunde vor Mitternacht. Zwanzig, vielleicht dreißig Genossen und Sympathisanten sind es, die ausgeharrt haben an den Tischen des Münsteraner "Marktcafés" am Domplatz - einer bodenständigen Kneipe mit Bistro-Flair. Einige trinken Tee, viele Bier, die meisten Weißbier. Der junge Genosse wirkt enttäuscht. "Nun ja", sagt der Student, "wir hatten gehofft, Steinbrück bläst noch mal zum Angriff. Aber er hat sich zu staatsmännisch gegeben. Er hat eher auf Halten gespielt". Nein, der Regierungschef hat die hochgesteckten Erwartungen seiner Münsteraner Genossen nicht vollends erfüllt an diesem Abend. Sicher, sympathischer als der CDU-Mann Rüttgers kam er auch in diesem zweiten TV-Duell rüber, das am Dienstagabend im WDR gezeigt wurde. Auf den ersten Blick gewann er auch in der Blitz-Umfrage von Infratest-Dimap, die aber schon auf den zweiten Blick Ernüchterndes hervorbrachte für die SPD-Anhänger: Für überzeugender hielten die Fernseh-Zuschauer die Argumente des Herausforderers - das schmerzt.
Politik-Match auf der Leinwand
Im Marktcafé hatten sie das Politik-Match auf einer Leinwand gezeigt - dort, wo sonst Fußball läuft. Bundesliga. Sechzig oder sogar siebzig Menschen waren der Einladung des SPD-Unterbezirks gefolgt. Das ist viel. Auch in der Düsseldorfer Zentrale hatten sie in der vergangenen Woche zuallererst auf die Münsteraner verwiesen, als es um eine jener TV-Duell-Partys ging, die die SPD im Online-Mitmach-Center organisiert und vermittelt. Die Münsteraner SPD ist aktiv. Und sie ist jung. Anders als man es bei der gerne mal etwas verstaubten SPD erwarten würde, waren am Dienstagabend vor allem junge Sympathisanten gekommen, um zu sehen, wie sich Steinbrück und Rüttgers den Fragen der Moderatoren Jörg Schönenborn von der ARD und Maybrit Illner vom ZDF stellen würden. Ansonsten war alles, wie es das Klischee vorschreibt. Irgendjemand hatte rote SPD-Luftballons an einer Säule des Cafés befestigt, auf den Tischen standen Schilder mit der Aufschritt "Klarer Kurs - Peer Steinbrück".
NRW-Tagebuch
Was bewegt Wähler und Wahlkämpfer vor Ort? Wo entscheidet sich das Schicksal von Rot-Grün in Düsseldorf? Bis Sonntag liefert stern.de-Mitarbeiter Florian Güßgen täglich Stimmungsberichte.
Hoffen auf ein Aufbruchssignal
Die Genossen hatten spekuliert, sie hatten gehofft, auf eine Wiederholung jenes Erfolgs, den Steinbrück vor knapp zwei Wochen hatte verbuchen können. Damals war es dem SPD-Spitzenmann gelungen, die Basis noch einmal zu mobilisieren, sie noch einmal aus der Reserve zu locken, ihr Hoffnung zu geben in diesem Wahlkampf, der für Rot-Grün schon verloren zu sein schien. "Das erste Duell hat uns einen richtigen Schub verpasst", sagt ein Mitarbeiter der Landtagsabgeordneten Svenja Schulze. Er trägt ein eng anliegendes Juso-Shirt, wirkt hip und passt so ebenfalls zu der Studenten- und Verwaltungsstadt Münster, in der alles einen Tick leichter, einen Tick hipper und einen Tick intellektueller zu sein scheint als in der NRW-Problemzone Ruhrgebiet. Für die interne Mobilisierung der Genossen sei das erste Duell jedenfalls sehr wichtig gewesen, sagt der Mann im Juso-Jersey, den Steinbrück habe zugepackt - und außerdem sei es ihm damals gelungen, den Abstand von Rot-Grün auf Schwarz-Gelb in den Umfragen erheblich zu verringern.
Bei den Genossen brach Jubel aus
Damals. Auch an diesem Abend wirkte Steinbrück sympathischer als Rüttgers. Der CDU-Mann schien maskenhaft-wächsern, was auch dadurch nicht besser wurde, dass ihm die Maskenbildnerin die Augenbrauen offenbar zu sehr gefärbt hatte. Er schien seine Texte mechanisch aufzusagen, auswendig gelernt - geradezu wie einst Edmund Stoiber im Bundestagswahlkampf 2002. Steinbrück dagegen war selbstsicher, überlegen - vielleicht zu demonstrativ selbstsicher. Auch an diesem Abend setzte er auf Angriff, fiel Rüttgers wiederholt ins Wort, sagte ihm, er solle nicht so nervös auftreten, und runzelte jedes Mal oberlehrerhaft die Stirn, wenn Rüttgers auch nur zu Rede ansetzte. Am Schluss warf er seine gesammelten Sympathiewerte in die Waagschale: "Wenn Sie Steinbrück haben wollen, müssen sie SPD wählen, und wenn sie SPD wählen, kriegen sie Steinbrück," sagte er zur Kamera gewandt.
Ernüchternde Umfrage-Ergebnissen
Bei den Genossen im Marktcafé kam das gut an - auch wenn einige sich wunderten, dass es in der Debatte in erster Linie um hochtrabende Themen ging. Gejohlt wurde immer dann, wenn Steinbrück Rüttgers ordentlich zurechtstutzte. "Steinbrück ist einfach menschlicher", sagte auch ein Beobachter, der sich ausdrücklich keiner Partei zugerechnet wissen wollte. "Der kommt besser an". Gejubelt wurde auch noch, als die WDR-Moderatorin das Ergebnis einer Blitzumfrage von Infratest-Dimap bekannt gab: Steinbrück erschien den befragten Bürgern demnach sympathischer, kompetenter, glaubwürdiger und sogar tatkräftiger als Rüttgers. "Das Dazwischenreden hat sich gelohnt", sagt einer der Neutralen. Die Ernüchterung folgte für die Genossen auf dem Fuß. Obwohl Steinbrück kompetenter wirkte, sagte die Mehrheit, dass Rüttgers in fast allen Sachfragen die überzeugenderen Argumente auf seiner Seite hatte als der amtierende Regierungschef - ob in Wirtschaftsfragen, beim Arbeitsmarkt, in der Bildungspolitik oder den Finanzen. Nur beim Thema Energie schnitt Steinbrück besser ab. Ob dieses gemischte Ergebnis gut genug ist, die vielen zögerlichen Wähler der SPD zu mobilisieren oder sogar Stimmen von potenziellen CDU-Wählern zurückzugewinnen, darf bezweifelt werden. "Wir bräuchten noch zwei Wochen", unkte deshalb auch ein SPD-Mann zu vorgerückter Stunde, "dann könnten wir es schaffen." Diese Zeit haben sie nicht. Am Sonntag schon kann alles vorbei sein.
Listen mit Freiwilligen
Noch geben sie die Wahl dennoch nicht verloren, schon gar nicht im Marktcafé in Münster. Während das TV-Duell läuft, kursieren Listen, auf denen sich Freiwillige eintragen können. Wer will bei diesem Infostand mitmachen? Wer will bei jenem Fest Würstchen grillen? Wer ist morgen in aller Herrgottsfrüh dabei, wenn es darum geht, am Bahnhof Flugblätter zu verteilen? Namen stehen genug in der Liste. Die SPD-Kandidatin Schulze berichtet, dass sie hin und weg sei von der Einsatzbereitschaft der Jungen, dass sich hier in Münster etwas bewege in der Partei. Auch sie will am Morgen am Bahnhof stehen und weiter werben für die Partei und für Peer Steinbrück. Die Wahlkampf-Leitung in Düsseldorf hat versprochen, noch in der Nacht Flugblätter zum TV-Duell drucken lassen, die dann morgens an die zur Arbeit hastenden Bürger verteilt werden sollen. Vielleicht haben die das Duell ja verpasst.