Die wichtigste Personalie für Merkel ist endlich in trockenen Tüchern. Jogi Löw hat seinen Vertrag verlängert. Und Deutschlands bestbezahlter Hoteltester und -aussucher Oliver Bierhoff tat es ihm gleich. Damit ist der Rücktritt von Ole von Beust eigentlich überkompensiert. Und jede Gedankenspielerei über Schwarz-Gelb und Schwarz-Grün vom Tisch.
Operation Schwarzrotgold 2012 ist angesagt.
Die WM hatte es schon angedeutet: Nicht das Parlament und auch nicht die Regierung selber sind die wahren Machtinstrumente in diesem Lande, sondern die Nationalmannschaft ist der einzig von einer breiten Basis getragene Souverän. Um dieser Tatsache gerecht zu werden, wurde Löws Vertragsverlängerung zeitgleich mit der Afghanistan-Konferenz in Kabul besiegelt. Und auch im Vier-Augen-Gespräch zwischen Westerwelle und Karsai ging es nicht um Afghanistan, sondern um die Erfolge der deutschen Nationalmannschaft. Worüber hätten sie auch sonst reden sollen? Über Weltpolitik etwa? Da hätten sie sich nur lächerlich gemacht. Taubstumme kämen schließlich auch nicht auf die Idee, sich über die Vorzüge von Dolby Surround auszutauschen. Auf der Konferenz selber hat der deutsche Außenminister seine Strategie offengelegt: Frieden in Afghanistan sei nur mit den Taliban möglich. Also müsse man den Stammeskriegern klar machen, welche Vorteile es für sie hätte, wenn sie auf Macht und Geld verzichten. Für Westerwelle ist es nämlich absolut unverständlich, wieso den Taliban militante Selbständigkeit lieber ist als Unterdrückung durch ein korruptes Karsai-Regime.
Die Konferenzteilnehmer in Kabul wurden übrigens nicht mit einem Feuerwerk, sondern mit Raketenbeschuss willkommen geheißen. Andere Länder, andere Sitten. Nachdem die Konferenz keine brauchbaren Ergebnisse brachte, sehen die Verantwortlichen die Ursachen dafür einerseits im Tagungsort und andererseits in der Teilnehmerliste. Deshalb soll die nächste Afghanistan-Konferenz im August auf den Malediven stattfinden. Im Beisein von ausgewählten Talibanvertretern. Wenn schon nichts rauskommt dabei, will man es wenigstens schön haben und den Taliban ein bisschen Abwechslung gönnen vom tristen Aufständischenalltag.
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Da wäre Frau Merkel sicher auch gerne dabei. Die Aufständischen in ihrer Regierung bereiten ihr mehr als genug Kummer. Die Stimmung in Deutschland kippt zusehends. Für die Mehrheit ist klar: Ein Abzug der Regierung Merkel aus Deutschland würde mittelfristig mehr bewirken als ein kurzfristiger Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan. Während der Verteidigungsminister aber im Falle Afghanistan von klaren und harten Vorbedingungen spricht, bevor ein Abzug aus Afghanistan in Frage kommt, ist das Volk im Falle Bundesregierung nicht so strikt. Wenn die Regierungsarbeit gemäß den Umfragen nur noch im Promillebereich zu überzeugen weiß, darf sich die Kanzlerin ohne schlechtes Gewissen mitsamt Gefolgschaft vor- und nachbedingungslos aus dem Staub machen.
Generell hinken die Vergleiche natürlich enorm zwischen Deutschland und Afghanistan. Gemessen an der Substanz und den messbaren Ergebnisse darf sich die afghanische Regierung nämlich durchaus als sachdienlich bezeichnen. Egal wie viele Milliarden Hilfsgelder Karsai verschwinden lässt: Die Gesundheit wird nicht teurer und afghanische Hoteliers werden nicht sinnlos beschenkt. Und der Dialog der Karsai-Truppe mit den Taliban ist allemal harmonischer als das, was Schwarz-Gelb innerkoalitionär zu bieten hat. Ein gravierender Unterschied besteht lediglich in der Berechenbarkeit der Zukunft. Da ist die Situation in Kabul sicher unfragiler als in Berlin. Ab 2014 soll Afghanistan für sich selber sorgen. So lautet der Beschluss der Konferenz. Das ist ein vernünftiger Zeitrahmen, der den Taliban genug Vorlauf lässt, um sich auf die Übernahme der Judikative und Legislative vorzubereiten. Die Exekutive haben sie sowieso nie aus der Hand gegeben. Sollte das Merkelsche Powersiechtum entgegen aller Prognosen auch bis 2014 halten, traut sich niemand zu ahnen, was danach kommt.
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Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
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Einigkeit besteht in einem ganz markanten Punkt. Bis auf weiteres scheint weder in Deutschland noch in Afghanistan eine stabile Demokratie zum Wohle der Bürger möglich. Daher hat die sogenannte internationale Gemeinschaft den Gedanken, den Afghanen die demokratische Zivilisation näher zu bringen, aufgegeben. Der Afghane hat mittlerweile gelernt, was Demokratie bedeutet. Nämlich das Prinzip jeder gegen jeden: Russland gegen Amerika. Amerika gegen Europa. England gegen Resteuropa. Resteuropa West gegen Resteuropa Ost. Da sagt sich der Afghane: Dann lieber nur Warlords gegen Drogenbarone gegen Banditen. Das ist weitaus überschaubarer und billiger als jede Demokratie inklusive ihrer Bürokratie- und Subventionsmonster. Und damit auch volksnäher.
Merkel hat es dagegen in Deutschland wesentlich schwerer. Der Trend zur Selbstauflösung hält an in der CDU-Spitze. Die Erosion war bis letztes Jahr nur ideeller Natur. Aber jetzt schmeißt ein Schwermatrose nach dem anderen hin. Personell gesehen dürfte der Aderlass erst 2012 aufhören, wenn nach diversen Landtagswahlen noch ein weiteres halbes Dutzend Oberunionisten aus Merkelüberdruss und Amtsunterdruss erkennt, wie schön das Privatleben sein kann. Merkel wird dann wohl für ein weiteres Novum sorgen. Als erste Kanzlerin hat sie relativ bald gegenüber CSU und FDP zwar eine prozentuale, aber keine numerische Mehrheit mehr. Sie wird zu unkonventionellen Neubesetzungen gezwungen sein. Jogi Löw im Kabinett wäre keine allzu große Überraschung. Auch nicht Oliver Bierhoff als smarter Vizekanzler. Den Vergleich mit Westerwelle als egophiles Nullsummenspiel braucht Bierhoff ohnehin nicht zu scheuen. Und die Weltgemeinschaft wird genauso gespannt auf Deutschland schauen wie heute auf Afghanistan. Ganz zu schweigen von den Public-Viewing-Events bei den Übertragungen aus dem Bundestag.
Vielleicht erlebt die Welt Anfang 2013 sogar eine Konferenz auf Mauritius: Die Taliban beraten mit Cem Özdemir und Klaus Ernst, wie man Union und FDP wieder an den Verhandlungstisch bringt. So unwahrscheinlich ist das nicht. Die Taliban sind zwar sicher keine Gutmenschen. Aber sie wollen Ruhe auf den wichtigen Absatzmärkten.