Jeder kennt Dieter Bohlen, Stefan Raab und Heidi Klum. Aber wer hat schon von Herbert Kroemer, Wolfgang Ketterle, Günther Blobel oder Horst Störmer - gehört? Alle vier sind deutsche Nobelpreisträger der vergangenen Jahre. Allerdings Naturwissenschaftler. Und da beginnt das Problem. Wir haben in Deutschland eine seltsame Hierarchie von Wichtigkeiten etabliert, die die technische und naturwissenschaftliche Intelligenz gering schätzt, die geisteswissenschaftliche höher und die inszenatorische am höchsten. Das Gewusste und Gekonnte sind uns zusehends weniger wert als das Interpretierte und noch weniger als das zur Schau gestellte.
Entdecker, Erfinder, Tüftler - die konzentrierte Sphäre der pragmatischen Intelligenz hat Deutschland groß und vor allem reich gemacht. Es gab dereinst sogar eine Heldenkultur um Techniker und Naturwissenschaftler, woraufhin Kinder Forscher, Ingenieure, Piloten, Lokführer, Ärztinnen werden wollten. Vorbei. Heute träumen sie von Model-, Fußballer- und Showmasterkarrieren. Die Welt der Bühne hat die des Labors als Sehnsuchtsort abgelöst.
Das Phänomen betrifft inzwischen weite Räume des öffentlichen Lebens. Schon in den Grundschulen wird das soziale Gruppenreferat höher geschätzt als das Kopfrechnen. Später stigmatisiert die Jugendkultur die Mathe- und Physik-Leistungskursler zu "Spießer-Teckies". An den Unis studiert man gerne Theater- oder Medienwissenschaften, lieber Marketing als Informatik, eher Ökotrophologie als Atomphysik. Denn irgendwann kommt ja auch die schick animierte Powerpoint-Präsentation des smarten Managers besser an als der Sachvortrag des ernsten Chefingenieurs.
Zur Person
Wolfram Weimer, Jahrgang 1964, ist seit 2004 Chefredakteur des von ihm gegründeten Politikmagazins "Cicero". Für seine Arbeit wurde er mit zahlreichen Preisen geehrt, er ist zudem Autor zahlreicher Bücher.
Das Kleid des Marketings umschmeichelt alles, selbst die Förderanträge für Grundlagenforschung. Professoren und Buchautoren, Politiker und Unternehmer, Sportler und Bischöfe, die heute etwas gelten wollen, müssen immer mehr darauf achten, dass sie medial präsent sind. Immer weniger hört man auf das, was einer zu sagen hat, als auf das Wie und Wo und vor wie vielen er es sagt. Ernst Jüngers Diktum "Die Technik ist unsere glitzernde Uniform" hat sich ins Gegenteil verkehrt. Heute ist nur noch die glitzernde Uniform unsere Technik.
Man mag den Imperialismus der Mediengesellschaft schelten, die Technikfeindlichkeit der Postmoderne oder die Fahrigkeit einer Vergnügungswelt. Die Folgen sind jedenfalls heikel, denn uns zerrinnt die Grundlagenintelligenz wie in einer Sanduhr der Zerstreuung. In dieser Sanduhr aber steckt nichts weniger als unser künftiger Wohlstand.
Denn Deutschland lebt weder von Rohstoffen noch billigen Standortfaktoren, am wenigsten von der Kunst der Verzauberung, sondern vornehmlich von der pragmatischen Intelligenz seiner Menschen; vor allem von naturwissenschaftlicher Kenntnis und deren Anwendungskompetenz. Technikfeindlichkeit ist daher ein direkter Angriff auf unsere Wohlstandsbasis.
Deutschland hat seit 150 Jahren die besten Ingenieure, Mediziner, Mechaniker, Physiker, Maschinenbauer, Chemiker. Doch ein Terrain nach dem anderen geht verloren; und wer nach Gründen dafür sucht, findet manches wirtschaftliche und (bildungs-)politische Argument. In Wahrheit liegt die langsame Erosion unserer technischen Dominanz in einer kulturellen Haltung. Wir schätzen sie einfach nicht mehr genug.

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In den USA feiern Medien von "Time" bis zur "Los Angeles Times" regelmäßig die Erfinder wie nationale Helden, in Japan stehen in Kindergärten Lern-Computer, in China werden Naturwissenschaftler besser bezahlt als TV-Moderatoren, in Indien sind Mathematiker angesehener als Sportstars. Wir hingegen schauen auf Uschi Glas und Oliver Kahn und lassen es zu, dass Zehntausende unserer besten Wissenschaftler auswandern. So auch Wolfgang Ketterle und Horst Störmer, Günther Blobel und Herbert Kroemer. Sie alle forschen in den USA.