Die Erben von rund 70.000 entschädigungslos enteigneten Grundstücken aus der Bodenreform der früheren DDR können auf Rückgabe ihres Eigentums hoffen: Die Enteignung war ein Verstoß gegen die Europäische Konvention für Menschenrechte. Mit diesem Urteil hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg heute eine Beschwerde von fünf Betroffenen entschieden. Den Menschenrechtsverstoß sahen die Richter im Fehlen eines gerechten Ausgleichs zwischen dem Allgemeininteresse und dem Eigentumsrecht.
Nach Angaben der Rechtsanwältin Beate Grün, die zwei der Betroffenen in Straßburg vertreten hatte, ist das Urteil der 3. Kammer noch nicht rechtskräftig. Die Bundesregierung habe drei Monate Zeit, die Große Kammer des Gerichtshofes anzurufen, sagte Grün in Berlin. Anderenfalls werde das Urteil verbindlich, und der bundesdeutsche Gesetzgeber sei verpflichtet, die Enteignungen rückgängig zu machen oder Entschädigungen zu zahlen.
Etwa 100.000 Hektar Fläche sind betroffen
Die Bundesregierung prüft nach Mitteilung des Justizministeriums in der Tat, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen. Die finanziellen Auswirkungen der Entscheidung, sollte sie Bestand haben, seien noch nicht zu beziffern, erklärte das Ministerium. Betroffen von dem Urteil seien schätzungsweise 100.000 Hektar Fläche. Das Gesamtvolumen der Bodenreform zwischen 1945 und 1949 betrage rund 3,3 Millionen Hektar.
Keine drei Monate Zeit mehr haben laut Grün Erben, die von einem Gericht zur Herausgabe des Grundstückes oder des Verkaufserlöses verurteilt worden sind: Hier gelte eine Frist von nur vier Wochen seit Kenntnis des Urteils, um eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erreichen.
Die Beschwerdeführer waren nach der Wende als Erben Volleigentümer des Bodens geworden, nachdem das erste frei gewählte DDR-Parlament im März 1990 ein entsprechendes Gesetz erlassen hatte. Nach der Wiedervereinigung war diese Regelung vom Bundestag außer Kraft gesetzt worden. Im Juli 1992 hatte das Parlament beschlossen, dass Anspruch auf Grundbesitz aus der Bodenreform nur Personen haben, die vor dem März 1990 in der Landwirtschaft tätig oder Mitglied einer land- oder forstwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft waren. Andernfalls musste das Land ohne Entschädigung an den Staat abgetreten werden, was bei den Klägern der Fall war.
"Bund in der Pflicht"
Die Straßburger Richter stellten nun fest, dass die Kläger rechtmäßig in den Besitz ihres Landes gekommen waren. Mit dem neuen Gesetz vom Juli 1992 seien die Kläger um ihren Besitz gebracht worden, ohne dafür angemessen entschädigt worden zu sein. Dies verstieß nach Ansicht der Richter gegen das Recht auf Eigentum, das in der Europäischen Charta für Menschenrechte festgeschrieben ist.
Allein in Sachsen-Anhalt sind rund 18.200 Erben von Neubauern und etwa 26.000 Hektar Ackerfläche betroffen. Landwirtschaftsministerin Petra Wernicke (CDU) geht davon aus, dass auf das Land Forderungen in Höhe von 120 Millionen Euro zukommen. "Das kann das Land nicht allein schultern", sagte sie. Der Bund sei in der Pflicht.

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Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister Till Backhaus bedauerte das Urteil. Über die Art und den Umfang möglicher Ausgleichsansprüche müsse in jedem Fall im Rahmen eines Bundesgesetzes entschieden werden, erklärte der Minister.