Zwischenruf Krieg und Frieden

Die deutsche Ablehnung des Irak-Feldzugs hatte eine zweite Seite: die indirekte Beteiligung daran. Das war unvermeidlich - und klug. Aus stern Nr. 4/2006

Was, bitte, ist der Skandal? Es war eine Selbstverständlichkeit unter Verbündeten, den Amerikanern während des Irak-Krieges Überflugrechte zu gewähren und ihre Einrichtungen in Deutschland zu schützen. Es war eine kalkulierte Geste der Solidarität, deutsche Fuchs-Panzer zum Aufspüren atomarer, biologischer und chemischer Kampfstoffe, ein in der Welt einmaliges Militärfahrzeug, im benachbarten Kuwait zu stationieren. Es war vom Kanzler selbst entschieden, die Füchse in den Irak zu schicken und damit faktisch Kriegspartei zu werden, falls die US-Truppen oder ihre Alliierten dort mit ABC-Waffen angegriffen worden wären. Denn vergiftete Amerikaner und ungenutzte deutsche Spezialpanzer nebenan, das hätte Berlin nicht ausgehalten. All das war öffentlich bekannt oder ließ sich schlussfolgern.

Das Folgende war geheim, aber nicht minder stimmig. Es war klug und richtig, während des Krieges BND-Agenten nach Bagdad zu schicken, um eigene, ungefilterte Informationen zu beschaffen. Denn nur von anderen unterrichtet zu werden heißt, blind oder einäugig zu sein. Es war ein Gebot der eigenen Interessen, diese Informationen auch an die Amerikaner weiterzugeben beziehungsweise ihre Anfragen zu beantworten. Denn die rot-grüne Koalition hatte den Krieg zwar politisch mit Verve abgelehnt und die Entsendung eigener Soldaten in den Irak ausgeschlossen - aber Deutschland war nicht neutral, die USA waren kein Feindstaat, der Irak kein Verbündeter.

Als der Krieg nicht zu verhindern war, hatte Deutschland jedes Interesse daran, dass die USA ihn gewinnen, nicht aber Saddam Hussein. Übrigens: mit den Amerikanern auch ihre Waffenbrüder, die Briten, Italiener, Spanier, Polen und Tschechen - allesamt engste Partner Deutschlands. Es war also nur konsequent und richtig, dem amerikanischen Militärgeheimdienst zu helfen, ihm die verfügbaren Informationen und Einschätzungen der Bagdader Agenten zukommen zu lassen. Ob es nur um die Identifizierung ziviler Einrichtungen ging - Schulen, Krankenhäuser, Botschaften -, die nicht angegriffen werden sollten, oder ob auch Hinweise auf die militärische Infrastruktur der Iraker gegeben wurden, was die Lebenspraxis nun einmal nahe legt, ist in Wahrheit zweitrangig.

Auch die Benennung von Non-Targets, zu schützender Ziele, dient der Effizienz der Kriegsführung, weil sie Menschen und Waffen schont, vor allem aber politische und propagandistische "Kollateralschäden" verhindert, wie bei der Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad während des Kosovo-Krieges. Es wäre sogar richtig gewesen, wenn die BND-Leute den Aufenthaltsort Saddams offenbart hätten, um ihn zu bombardieren, denn das hätte den Krieg verkürzen, Opfer vermeiden können. Man stelle sich vor, nun würde publik, dass der BND ihn gekannt, aber verschwiegen hätte - und später wäre Giftgas gegen Briten und Amerikaner eingesetzt worden.

Deutschland war am Irak-Krieg beteiligt, indirekt zwar, aber unvermeidlich. Es lässt sich sogar begründet sagen: Die Amerikaner haben von den Deutschen militärisch alles bekommen, was sie wollten, ihnen ist nur das verweigert worden, wonach sie gar nicht gefragt hatten, weil sie wussten, dass sie es nicht bekommen würden: deutsche Soldaten im Irak. Ist das ein Skandal? Man nennt das Realpolitik, man kann es auch verantwortliche Politik nennen. Nur Traumtänzer konnten anderes, in Wahrheit den vollständigen Bruch Deutschlands mit seinen Verbündeten, erwarten.

Frank-Walter Steinmeier kann stürzen, aber nicht über eine mutige Politik, sondern nur über eine Lüge

Die erste, die historisch und politisch entscheidende Ebene - politischer Widerstand gegen den als falsch und gefährlich eingeschätzten Krieg, Verweigerung deutscher Soldaten auf dem Schlachtfeld - wird durch die zweite Ebene - indirekte Hilfe nach Kriegsbeginn - keineswegs dementiert oder entwertet. Beide gehören zusammen, zu beiden muss man sich bekennen. Die Ablehnung des Irak-Feldzugs und die dadurch erreichte außenpolitische Emanzipation Deutschlands bleiben das Verdienst der rot-grünen Regierung.

Was also könnte der Skandal sein? Wenn die rot-grünen Protagonisten, die sich ehedem schon im Wahlkampf, gefährlich vergröbernd, zu heldenhaften Friedenskämpfern stilisiert und die zweite Ebene weggedrückt hatten, nun jene kleinteilige Kooperation, wiederum wegen herannahender Wahlkämpfe, verschleiern, verzerren oder gar leugnen würden. Und wenn sie entführte deutsche Staatsbürger, nur weil sie el-Masri und Zammar heißen statt Müller und Meier, schutzlos dem US-Geheimdienst überlassen hätten - das ist ein angrenzender Schauplatz. Politisch entschieden hat seinerzeit Gerhard Schröder, beteiligt war auch Joschka Fischer. An der Macht überlebt hat nur Frank-Walter Steinmeier. Er kann stürzen, aber nicht über eine kluge und mutige Politik, sondern nur über eine Lüge. Und die, nur die, könnte auch das rot-grüne Erbe zerstören.

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Hans-Ulrich Jörges