Zwischenruf Politische Spurensicherung

Schnee von gestern? Von wegen. Der Versuch Gerhard Schröders, Edmund Stoiber zum Putsch gegen Angela Merkel zu animieren, hat bleibende Folgen. Aus stern Nr. 48/2006

Die Intrige ist nicht Geschichte. Sie ist präsent und gefährlich. Gefährlich für Edmund Stoiber. Und peinlich für Gerhard Schröder - aber das ist ein Nebenaspekt. Die Zentralfigur ist heute Edmund Stoiber. Es ist viel gemutmaßt worden, von wem aus welchem Motiv das Thema meiner Kolumne der vergangenen Woche angestoßen worden sei - und warum ausgerechnet jetzt: das heimliche Angebot Schröders an Stoiber nach der Wahl 2005, als "erster Mann der Union" in eine Große Koalition unter Schröders Führung einzutreten und Angela Merkel als CDU-Chefin zu stürzen. Stoiber habe sich für seine abschätzige Charakterisierung in Schröders Memoiren rächen wollen ("ein vorsichtiger, wenn nicht ängstlicher Mensch"), kombinierten die einen. Er habe sich als "ehrenwerter Ministerpräsident" darstellen wollen, wegen dessen Standhaftigkeit "Merkels Kanzlerwerdung überhaupt erst möglich geworden" sei, schrieb ein anderer. Kurios bis absurd.

Die Wahrheit ist: In München zeigte man sich durch meine Recherchen aufs Äußerste alarmiert und fürchtete, wenige Tage vor Stoibers Rede auf dem Dresdner CDU-Parteitag Anfang kommender Woche, eine brisante und präzis getimte Intrige aus dem eigenen Lager. Dann nämlich, wenn der Kontakt zwischen Schröder und Stoiber umgekehrt dargestellt worden wäre - als Angebot des CSU-Chefs an den Noch-Kanzler, sich gegen Merkel zu verbünden. Deshalb, um Schlimmeres zu verhüten, entschlossen sich Stoiber und seine Berater, die Wahrheit zu offenbaren: Schröders Annäherung bei der Fernseh-"Elefantenrunde" am Wahlabend und das Gespräch Stoibers mit einem Kanzler-Emissär drei Tage später.

Denn in München regiert seit Stoibers Flucht aus Berlin die Angst. Angst vor spektakulärem Scheitern am Ende seiner Karriere. Angst vor dem Verlust der absoluten CSU-Mehrheit bei der Landtagswahl 2008. Angst vor neuen Turbulenzen, die den Mann mit den verspielten Chancen - Kanzler, Bundespräsident, EU-Kommissionspräsident - und dem zerbrochenen Mythos des Kraftmenschen nun noch einmal, und womöglich final, ins Straucheln bringen könnten. Das größte denkbare Unglück für Stoiber wäre heute das Bild eines - zudem noch erfolglosen - Verräters an Merkel und der Union. Die Furcht davor war so groß, dass jemand den zwielichtigen Eindruck des damals immerhin gesprächsbereiten, wenn am Ende auch standhaften CSU-Chefs gar durch eine erdichtete Heldenrolle zu überstrahlen versuchte: Der habe sogar Schröders Angebot abgelehnt, "Chef" - also Kanzler - einer Großen Koalition zu werden, flüsterte man "aus CSU-Kreisen" der "Augsburger Allgemeinen".

Herzerwärmend, aber falsch. Das Angebot, das der Emissär in München überbrachte, sollte Schröders Kanzlerschaft retten, jedenfalls zunächst, es war zu plump, und es kam drei Tage nach der Wahl auch zu spät. Stoiber wusste, dass die Union ihm bei einem Putsch gegen Merkel, die am Vortag demonstrativ zur Fraktionsvorsitzenden gewählt worden war, nicht gefolgt wäre. Allenfalls konnte er noch darauf hoffen, dass die SPD Merkel als Kanzlerin dauerhaft ablehnen und er im Gespann mit Franz Müntefering Kanzler würde.

In München fürchtete man, wenige Tage vor Stoibers Rede auf dem Dresdner CDU-Parteitag, eine brisante Intrige aus dem eigenen Lager

Was bleibt? Ein Stoiber, der Merkel zu keinem Zeitpunkt über Schröders Avancen informiert hat. Die Kanzlerin hat davon aus dem stern erfahren - was ihr Verhältnis zum Chef der Schwesterpartei weiter zerrüttet. Genugtuung verschafft ihr nur seine Erklärungsnot.

Und es bleibt ein Schröder, der alles glatt bestritten hat - und deshalb zur Aufklärung und Interpretation nicht mehr beitragen kann. Damit fällt nicht nur merkwürdiges Licht auf sein Verhältnis zur Wahrheit, auch die Beziehung zu seiner Nachfolgerin ist wohl dauerhaft getrübt. Denn wenn die Darstellung aus Stoibers engstem Umfeld stimmt, wollte er Merkel nicht nur im Kampf ums Kanzleramt ausstechen, sondern auch als CDU-Chefin stürzen und damit politisch vollständig vernichten.

Dass Schröders Dementi brüchig ist, belegt der stern selbst. Meine Kollegin Ulrike Posche hat schon vergangenes Jahr - unwidersprochen - von einem Fest wohlhabender Hamburger in einer Villa an der Elbchaussee berichtet. Eine Woche vor der Wahl, schrieb sie, habe Schröder im Erkerzimmer vor Zeugen offenbart: Wenn das am Wahlsonntag nicht eindeutig hinhaue, "dann rufe er um fünf nach sechs den Edi an. Das wäre doch eine schöne Koalition: Er und der." Auch das Kabinett hatte Schröder schon im Kopf: "Er bliebe erst einmal Kanzler, Stoiber würde Vize und Außenminister, Wolfgang Clement wieder Wirtschaftsminister, Fritze Merz würde Finanzminister, Otto Schily weiter Innenminister und Horst Seehofer übernähme den Gesundheitsposten. Nach zwei Jahren dürfe dann der Edi ran, der Wulff, der Koch oder wen die anderen sonst so in petto hätten." Der stern-Bericht erschien am 22. September 2005 - am Tag, nachdem Stoiber in München den Emissär empfangen hatte.

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Hans-Ulrich Jörges