Zwischenruf Trugbilder der Macht

Triumph in Heiligendamm, Boom in der Wirtschaft: Angela Merkel erscheint schon heute wie die sichere Siegerin der Wahl 2009. In Wahrheit aber ist nichts entschieden - und die Linke liegt sogar vorn stern Nr. 25/2007

Sie war noch nie so stark wie heute. Sie steht auf dem Scheitelpunkt ihres Ansehens. 54 Prozent der Deutschen bekunden, sie würden Angela Merkel jetzt direkt zur Kanzlerin wählen, 37 Prozent mehr als Kurt Beck. Das ist Rekord. Das ist deklassierend. Sie hat den G-8-Gipfel geschickt gemeistert. Sie hat die Festspiele von Heiligendamm grandios inszeniert. Die PR war perfekt, der Spannungsbogen dramaturgisch mitreißend. Erster Akt: große Erwartungen. Zweiter Akt: große Zweifel. Dritter Akt: großer Erfolg. Selbst die Demonstranten waren mit ihr im Bunde, ohne es zu begreifen. Wie die Sonne. Wie das Meer. Wie die Medien - mit schmatzendem Geräusch schlüpften manche in den Mastdarm der Macht. Sie fliegt. Sie hat die Verhältnisse auf ihrer Seite. Die Konjunktur schnurrt, die Arbeitslosigkeit schrumpft, die Börsianer rülpsen. Innen und außen im Gleichklang: Erfolg, überall. Und die Union legt zwei Punkte zu: 38 Prozent, 11 mehr als die sozialdemokratische Konkurrenz.

Alles gelaufen für Angela Merkel? Nichts ist gelaufen. Man kann die Sterne des Triumphs auch ganz anders deuten. Man muss es sogar. Und sie ist so klug, das auch selbst zu tun. Sie weiß, dass nichts entschieden ist für die nächste Wahl. Gar nichts. Alles ist offen. Denn der Vorsprung vor Kurt Beck ist eben nur ein Vorsprung vor dem Kurt Beck von heute. Dem Mann, der sich in die Furche geduckt hat während ihrer Glanztage. Der so unterschätzt wird wie sie einst. Der mit Häme übergossen wurde wie der Wackelpeter mit Vanillesoße. Kurt-der-Tölpel-Bashing als Mode der Saison. Doch die geht zu Ende wie jede Saison. Gut möglich, dass die neue schon begonnen hat.

Denn die Union hat nichts gewonnen. Sie müsste längst über 40 Prozent liegen - in derart goldenen Tagen. Doch der Glanz der Kanzlerin hat sich kaum auf ihre Partei übertragen. Zwischen ihren 54 und deren 38 Prozent klafft eine Lücke von 16 Punkten. Nichts deutet darauf hin, dass sie sich schließt. Im Januar betrug sie 10 Prozent. Noch ernüchternder: Der demoskopische Fortschritt von CDU und CSU geht auf Kosten der FDP. Die Liberalen lagen im Januar bei 14 Prozent, heute bei 8. Das bürgerliche Lager kommt aktuell auf 46 Prozent, im Januar waren es 48. Ein machtpolitisches Nullsummenspiel - Union und FDP sind unter günstigsten Umständen noch immer nicht mehrheitsfähig. SPD, Linke und Grüne können und wollen zwar nicht koalieren, doch zu ihnen bekennen sich 49 Prozent der Deutschen. Gegen diese strukturelle Mehrheit der Linken hat die Union bislang kein Rezept gefunden. Bei SPD und Grünen hat sie in diesen Tagen keine Überläufer gewonnen.

Die Union müsste längst über 40 Prozent liegen - in derart goldenen Tagen. Doch den Bruch der Großen Koalition kann die Kanzlerin noch immer nicht wagen

Den Bruch der Grossen Koalition, um bei vorgezogenen Neuwahlen eine schwarz-gelbe Koalition dagegen einzutauschen, kann die Kanzlerin jedenfalls nicht wagen. Und das ist die machtpolitisch entscheidende Frage. Angela Merkel bleibt strategisch Gefangene der Großen Koalition - und muss sich den Kopf darüber zerbrechen, ob und wie sie 2009 die Grünen für eine Jamaika-Koalition gewinnen könnte. Daran dürfte sich auch nichts mehr ändern. Denn offensichtlich zählen außenpolitische Erfolge wenig für Wahlentscheidungen; offensichtlich wird der Aufschwung weder Kanzlerin noch Union gutgeschrieben; und offensichtlich hat dieser Aufschwung bislang zu wenige glücklich gemacht. Bricht die Börse ein, schlägt zudem die Euphorie der Besitzenden in Enttäuschung um.

Aus den Landtagswahlen des nächsten Jahres wird die Union eher als Verliererin hervorgehen: Die glanzvollen Ergebnisse der letzten Wahlen sind in Hessen (48,8 Prozent), Niedersachsen (48,3) und Hamburg (47,2) kaum wiederholbar, in der Hansestadt ist die Macht gar akut bedroht. Die Performance der kriselnden CSU im Herbst 2008 in Bayern lässt die Union schon heute zittern. Kurt Beck aber, der Geschmähte, rappelt sich wieder empor aus der Furche. Er sucht die Offensive, sein Grundsatzartikel in der "FAZ" über "das soziale Deutschland" war dieser Tage der Auftakt. Seine neue Stellvertreterriege hat er geschickt als Wahlkampfformation in Stellung gebracht: Steinmeier steht für das Herzensthema Frieden, Steinbrück für Reformstolz, Nahles für Gerechtigkeitsrhetorik. Bei der Union ist die Spitze dagegen dünner, aktuell wohl zu dünn besetzt: Angela Merkel allein verantwortet Wirtschafts-, Umwelt- und Außenpolitik. Daneben strahlt nur noch Ursula von der Leyen - aber nicht für Konservative. Die einstigen Herzöge Koch, Wulff, Rüttgers und Oettinger hat die Kanzlerin selbst klein gemacht, zu Zaunkönigen. Nichts ist entschieden! Noch lange nicht.

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Hans-Ulrich Jörges

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