"If it were done when 'tis done, then 'twere well, it were done quickly" ("Wär's abgetan, so wie's getan ist, dann wär's gut, man tät' es eilig")
Macbeth, William Shakespeare
Nun wieder - man ahnt, man fühlt es - die Agonie eines Systems. Markig übertönt, trotzig bestritten - und doch unbestreitbar: Gerhard Schröders Regierung ist ausgezehrt, das rot-grüne Bündnis ohne Perspektive, der Kanzler so rat- wie lustlos. Mag auch das Kabinett noch einmal frisch gemacht, das letzte Aufgebot zusammengetrommelt werden - das Projekt entfaltet keinen Zauber mehr. Zu enttäuschend seine Bilanz, zu enttäuscht die Klientel, zu widerständig inzwischen die SPD - befeuert von Panik vor einer zerstörerischen Linksabspaltung. Nervöser Stillstand. Und das Land geht den Bach runter.
Zu zart die Einsicht, zu hart die Notwendigkeiten
Wir kennen das alles schon. Bloß nicht nach so wenigen, nach nur sechs Jahren. Die Kanzlerschaft Helmut Kohls endete nach 16 Jahren im Todesschlaf. Und das Land ging den Bach runter. Bei scharf angelegter Elle waren zwölf der 16 Kohl-Jahre, gemessen am Erneuerungsbedarf Deutschlands, Jahre des Stillstands. Reformstau war der Begriff dafür, der heute nur noch Würgen verursacht. Von den sechs Schröder-Jahren waren vier vertan. Erst im fünften Jahr seiner Kanzlerschaft bequemte er sich zur Agenda 2010, der ersten zarten Einsicht in die harten Notwendigkeiten. Zu zart die Einsicht, zu hart die Notwendigkeiten. Das Land geht weiter den Bach runter.
Werfen wir einen Blick auf die Regierung von morgen. CDU und CSU, namentlich Angela Merkel, bekunden entschlossenen Reformwillen - rasch und tiefgreifend wollen sie erneuern. Aber wehtun soll das doch auch niemandem so recht. Also - und dies nur als Symptom für vieles - wird die große, mutige Merzsche Steuerreform in zwei Werkstücke zersägt und die Aufhebung der Steuerfreiheit für Nacht- und Sonntagszuschläge mit sechs Jahren Übergangsfrist vertagt. Nehmen wir an, die Union siegt 2006. 2007 geht die Steuerreform durchs Parlament, 2008 tritt sie in Kraft: Dann wäre sie 2014 (!) endlich vollständig abgewickelt.
Agonie - wir kennen das von Kohl. Und das Land geht den Bach runter
Schlagen wir nun den Bogen von Kohl über Schröder bis Merkel, dann wird klar, warum das Land abdriftet. 1982 wurde Kohl Kanzler, 2014 läuft die Endmoräne der Merkelschen Reformen aus (wobei wir um der Einfachheit der Betrachtung willen unterstellen wollen, dass sie wirklich reformiert): Das wären drei Jahrzehnte, welche die deutsche Politik verbraucht hätte, um die von Anfang an klar erkennbaren Sanierungsarbeiten bei Rente, Gesundheit, Steuern und Arbeitsmarkt zu erledigen. Drei Jahrzehnte: In dieser Spanne durchlebte Deutschland den Ersten Weltkrieg, die Weimarer Republik und Hitlers Reich.
Eine gewaltige, eine historische Spanne, die den verheerenden Zeitverlust deutscher Politik begreiflich macht. Ein Zeitverlust, der - und nun sind wir beim bitteren Kern des Problems - für die Deutschen einen zwar schleichenden, aber dramatischen Verlust an Wohlstand bedeutet. Eben weil die Politik nichts schnell und nichts gründlich zu Ende bringt, weil alles Reformieren Stückwerk bleibt und weil die Menschen das erkennen, aus Furcht vor dem Unabsehbaren ihr Geld zusammenhalten und die Konjunktur nicht auf die Beine kommen lassen. Was den Wohlstandsverlust zum Teufelskreis macht, den Reformdruck unablässig weiter erhöht - und ganz Europa lähmt.

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Der Wohlstandsverlust der Deutschen
Drei Beispiele für den Zeitverlust der Politik: Die letzte Stufe der Steuerreform vom Beginn der Kanzlerschaft Schröders tritt 2005 in Kraft; zum Big Bang, wie in anderen Ländern, fehlte damals der Mut. Das Arbeitslosengeld II, Ende 2003 durchgepaukt, ist auf 2005 vertagt. Die wahre Gesundheitsreform wollen Rot-Grün wie Union erst 2006 zum Wahlkampfthema machen.
Und drei Ziffern, die den Wohlstandsverlust der Deutschen illustrieren: 400 000 Arbeitsplätze wurden 2003 dauerhaft vernichtet. 1998 polemisierte Schröder noch gegen eine Senkung des Rentenniveaus von 70 auf 64 Prozent; in diesen Tagen hat er eine Reduzierung von 53 auf 43 Prozent exekutiert. Beim Pro-Kopf-Einkommen stürzten die Deutschen von 1992 bis 2003 vom dritten auf den elften Rang in der EU.
Möge ein gütiges Schicksal richten, dass Gerhard Schröder rasch resigniert, statt noch zwei Jahre uninspiriert zu vergeuden. Und dass Angela Merkel nicht mehr erschrickt, wenn sie mit Maggie Thatcher verglichen wird. Es wäre nicht Drohung, sondern Verheißung.