Naher Osten Gelingt Joe Biden ein Durchbruch zum Frieden?

Biden neben einem Sarg, der von Soldaten getragen wird
Letzte Ehre für die getöteten US-Soldaten: Präsident Biden auf der Dover Air Force Base im Bundesstaat Delaware
© UPI/laif
Der US-Präsident verfolgt einen ambitionierten Friedensplan für den Nahen Osten. Doch der ist riskant. Worum geht es und wer sind die wichtigsten Player?

Während Joe Biden vor wenigen Tagen mit versteinerter Miene an den Särgen dreier in Jordanien getöteter US-Soldaten stand und danach Langstreckenbomber in den Nahen Osten schickte, bereitete sich sein Chefdiplomat Antony Blinken auf seine fünfte Nahost-Mission seit Beginn der Gaza-Krise vor. Es könnte die folgenreichste werden. Bidens Plan, den sein Außenminister diese Woche in Riad, Doha, Kairo, Jerusalem und Ramallah in Ganz setzen soll, ist äußerst ambitioniert.

Im Kern geht es um eine Art Ringtausch für den Frieden, mit zwei zentralen Playern neben den USA: der eine ist Saudi-Arabiens Kronprinz Muhammad Bin Salman, kurz MBS. Der Prinz verlangt Sicherheitsgarantien der USA für sein Land sowie Unterstützung für ein ziviles Nuklearprogramm inklusive der Fähigkeit zur Urananreicherung im eigenen Land. Im Gegenzug wäre er, so heißt es, bereit, einen Pakt mit Israel einzugehen. Eine solche Annäherung kann MBS innenpolitisch aber nur vertreten, wenn die israelische Regierung konkreten Schritten zur Schaffung eines Palästinenserstaats zustimmt und den Krieg in Gaza beendet.

Netanyahus Macht hängt von radikalen Koalitionspartnern ab

Der zweite entscheidende Mann für Bidens Plan, Israels Premier Benjamin Netanyahu, genannt Bibi, arbeitet zwar seit Jahren auf eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und Saudi-Arabien hin. Doch auf die Bedingungen der Saudis kann er sich in der aktuellen Lage kaum einlassen. Seine Macht hängt von radikalen Koalitionspartnern ab, die ihn stürzen wollen, sollte er den Palästinensern gegenüber Zugeständnisse machen. Außerdem fürchtet er den Zorn des Volkes wegen des Staatsversagens unter seiner Führung am 7. Oktober, als Armee und Geheimdienste vom Überfall der Hamas aus Gaza und den folgenden Massakern überrascht wurden und die Bürger in den Ortschaften entlang des Gazastreifens nahezu schutzlos den Terroristen ausgeliefert waren.

Joe Biden selbst hat im US-Wahljahr gleich zwei große Ziele in Nahost vor Augen: Eine Zweistaatenlösung zwischen Israel und den Palästinensern. Und die Eindämmung des Regimes in Iran. Er weiß: Nichts wäre wirksamer gegen Teherans aggressives Hegemonialstreben als eine verlässliche Achse Riad–Jerusalem. Und er hat erkannt, dass Israel in Gaza militärisch und Netanyahu persönlich auf eine Sackgasse zusteuern. Der Ausweg, den Biden Bibi anbieten könnte: einen ehrenvollen Platz im Geschichtsbuch statt eines Abgangs in Schimpf und Schande. 

Ein Durchbruch zum Frieden ist heute deutlich komplizierter

Als historische Parallele werden oft die 1970er Jahre herangezogen, als Netanyahus Amtsvorgänger Menachem Begin, wie Bibi zur rechten Likud-Partei gehörig, fünf Jahre nach dem Überraschungsangriff auf Israel an Jom Kippur einen Friedensvertrag mit dem damaligen Erzfeind Ägypten schloss, der bis heute hält. Damals wie heute war amerikanische Diplomatie ein entscheidender Faktor. Der jüngst verstorbene Henry Kissinger drängte damals den zögerlichen Begin zum Umdenken. Nun soll sein Amtsnachfolger Antony Blinken diese Rolle spielen.

Nur: Die Risiken für ein Scheitern der heutigen US-Friedensinitiative sind ungleich größer als das vor 50 Jahren der Fall war. Damals verhandelten Staaten miteinander. Die amerikanischen Vermittler konnten mit allen Beteiligten direkt sprechen und je nach Bedarf Druck aufbauen oder Verhandlunghürden mit eigenen Garantien überwinden helfen. Etwa, indem sie Jerusalem günstige Energie-Lieferungen aus den USA zusagten, um es zur Rückgabe der besetzten Sinai-Halbinsel an Ägypten zu bewegen, samt der dortigen Gasfelder, die Israel seit Beginn der Sinai-Besatzung 1967 erschlossen hatte. Der Frieden gelang, weil alle Beteiligten am Ende überzeugt waren, dass er in ihrem Interesse war. Daran hat sich seither nichts geändert. Auch weil die USA Israel wie Ägypten seither jährlich mit üppigen Zahlungen alimentieren.

Die Ausgangslage für einen Durchbruch zum Frieden ist heute deutlich komplizierter. Nicht nur, weil Premier Netanyahu ein erklärter Gegner einer Zwei-Staaten-Lösung ist. Sondern auch, weil es eine ganze Reihe von nicht-staatlichen Akteuren gibt, die mehr Interesse an einer Fortsetzung des Konflikts mit Israel haben als an einem Frieden: Von der Hamas im Gaza-Streifen über die libanesische Hisbollah bis hin zu den jemenitischen Huthis und den Milizen im Irak und in Syrien, die die dort stationierten US-Soldaten und ihre Verbündeten seit Monaten zigdutzendfach mit Drohnen und anderem Gerät attackiert haben. 

Die Gefahr einer Eskalation bleibt groß

Mit diesen Milizen kann Amerika nur indirekt über Zwischenleute wie die Kataris oder die Regierungen in Beirut und Bagdad verhandeln. Was einen Interessenausgleich mit ihnen noch schwieriger macht als zwischen verfeindeten Staaten. Das zeigen zum Beispiel die aktuellen Verhandlungen über eine Freilassung der verbliebenen Hamas Geiseln oder über ein Ende der brandgefährlichen Scharmützel zwischen der Hisbollah und der israelischen Armee an Israels Nordgrenze. Die Alternative sind Luftangriffe, wie sie seit Wochen im Jemen und nun auch im Irak und Syrien stattfinden. Die treiben zwar den Preis hoch, den die Milizen für ihr Störfeuer zahlen. Eine Stabilisierung der Lage ist dadurch allein aber nicht erreichbar. Und: Die Gefahr einer Eskalation – selbst einer ungewollten – bleibt groß. Für beide Seiten. 

Das weiß auch die iranische Führung, die die Milizen als Stellverteter unterstützt, um Amerikas Friedenspläne zu unterminieren, ohne selbst dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Zuletzt haben prominente Stimmen in Washington gefordert, die USA sollten auch Ziele im Iran angreifen, um das Regime dort für die Attacken seiner Stellvertreter zur Rechenschaft zu ziehen. Joe Biden wird das zu vermeiden suchen, er will ja Frieden, keinen neuen Konflikt mit der Regionalmacht Iran. Trotzdem könnten ihm die Forderungen der Iran-Falken im Kongress nützen, denn nichts fürchtet Teheran so sehr wie einen direkten Konflikt mit den USA, der die Existenz des Regimes der Islamischen Republik gefährden könnte. Irans Oberster Führer, der greise Ayatollah Ali Khamenei, hat mit Bibi Netanyahu sonst wenig gemein. Aber auch er hat wohl seinen Platz im Geschichtsbuch im Blick. Als einer, der sein Land in einen katastrophalen Konflikt mit der Supermacht USA führte, möchte er eher nicht in Erinnerung bleiben.

Die Zeit drängt für Joe Biden

Was Joe Biden braucht, sind konkrete Erfolge, erste Schritte in Richtung der großen Lösung – und zwar bald. Ihm bleiben nur Wochen, höchstens wenige Monate Zeit. Ein Deal zwischen Israel und der Hamas zur Befreiung der verbleibenden 136 Geiseln im Gazastreifen müsste wohl am Anfang des Prozesses stehen. Den soll sein Außenminister durchsetzen. Doch die aktuellen Meldungen nach Antony Blinkens ersten Treffen im Nahen Osten wecken Zweifel, ob selbst dieser Anfangsschritt gelingt.

Joe Biden setzt trotzdem weiter auf seine gewagte Friedens-Strategie. Die Alternativen sind noch riskanter. Nicht nur für den Nahen Osten, sondern für die ganze Welt.

Erschienen in stern 07/24

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