KZ Ravensbrück Ganz normale Frauen

Erstmals wendet sich eine KZ-Gedenkstätte mit einer Ausstellung den Biografien und Motiven der Täter zu. Die Schau in Ravensbrück berichtet über die SS-Aufseherinnen des größten deutschen Frauenlagers.

"Was hätten Sie denn gemacht?", fragt in Bernhard Schlinks Buch "Der Vorleser" die frühere KZ-Aufseherin Hanna das Gericht. Diese Frage könnte als Motto über der neuen Ausstellung der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück stehen. Erstmals wendet sich eine deutsche KZ-Gedenkstätte den Tätern zu - ihren Biografien, Motiven und Taten. Die Ausstellung berichtet anhand von Dokumenten, Fotos und Exponaten über die SS-Aufseherinnen des größten deutschen Frauenkonzentrationslagers von 1939 bis 1945.

Die Dokumentation macht es dem Besucher nicht leicht, zwingt ihn, genau hinzusehen und sich selbst zu befragen. Denn sie bedient nicht das Klischee der blutrünstigen SS-Frauen, sondern stellt Menschen vor, die ihre Macht über die Häftlinge unterschiedlich nutzten. "Wir wollen zeigen, dass die im Frauen-KZ begangenen Verbrechen auf staatlichem Handeln beruhten und nicht von wenigen Exzesstätern verübt wurden", sagt Simone Erpel, Historikerin und Leiterin des Ausstellungsteams.

Idyllische Häuser und außergewöhnlicher Komfort

In der Parklandschaft vor der früheren Kommandantur steht eine Gruppe von Häusern im Fachwerkstil. Geradezu idyllisch wohnten die KZ-Aufseherinnen - zudem mit einem für die damalige Zeit außergewöhnlichen Komfort. Nur wenige Schritte entfernt begann die Welt des Lagers mit Elend, Grauen und Tod. In ihm wurden zwischen 1939 und 1945 rund 130.000 Menschen gefangen gehalten, Zehntausende starben an Hunger, Krankheiten, medizinischen Experimenten und Misshandlungen oder fielen einer der Mordaktionen der SS zum Opfer.

In sieben der Häuser ist seit 2002 die Jugendbegegnungsstätte Ravensbrück mit einer Jugendherberge untergebracht. Im achten Haus befindet sich das Museum über die Aufseherinnen. Handwerker haben einen spitzen Winkel aus Holz vor die Fassade gesetzt - ein Kunstgriff des Architekten, um die neue Nutzung zu verdeutlichen, der sich im Inneren der originalgetreu sanierten Räume fortsetzt.

Auf einem Monitor im Foyer berichten Frauen, die im KZ inhaftiert waren, über die Erniedrigungen und die Brutalität, die sie erlitten haben. In den unteren Räumen wird gezeigt, in welchen Bereichen die Aufseherinnen zur Bewachung eingesetzt waren, wie sie lebten, wie sie ihre Freizeit verbrachten und in welcher Form sie sich an den in Ravensbrück begangenen Verbrechen beteiligten. Ihr Selbstverständnis wird durch Fotos deutlich: Es zeigt sie beim Spaziergang, beim Besuch im Ort Fürstenberg, angetreten zur Visite des SS-Chefs Heinrich Himmler.

Auf einer Wand, die sich bis in den ersten Stock hinaufzieht, prangen Porträts der Aufseherinnen - wie es scheint ganz normaler Frauen. Doch viele von ihnen haben andere Frauen drangsaliert, geschlagen, Hunde auf sie gehetzt und sie in die Gaskammer geführt. Die meisten kamen aus einfachen Verhältnissen, hatten die Volksschule besucht und waren ungelernt, sagt Erpel.

"Gewissermaßen Angestellte im öffentlichen Dienst"

"Diese Frauen waren die untere Schicht der Bewacher", sagt die Leiterin der Gedenkstätte, Sigrid Jacobeit. "Sie kamen täglich mit den Häftlingen in Berührung, waren selbst keine SS-Angehörigen, sondern gewissermaßen Angestellte im öffentlichen Dienst. Sie führten aber durchaus nicht nur angeordnete Verbrechen aus, sondern hatten einen gewissen Spielraum."

So gab es Aufseherinnen, die sich Häftlingen gegenüber menschlich verhielten. Es gab aber auch Fälle wie den der Dorothea Binz. Die aus dem brandenburgischen Groß-Dölln Stammende stieg, um Karriere zu machen, zur Leiterin des berüchtigten Zellenbaus auf und beteiligte sich aktiv an der Ermordung von Häftlingen. Nach dem Krieg wurde sie im Alter von 27 Jahren hingerichtet.

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Thomas Kunze/DPA

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