Mit Spannung erwarten nicht nur die Amerikaner die Antrittsrede von US-Präsident George W. Bush am Donnerstag, mit der er in seine zweite Amtszeit startet. An Themen mangelt es nicht - die amerikanische Gesellschaft ist gespalten wie selten zuvor, die Zukunft des Iraks ist weiter offen, der Nahost-Friedensprozess steht nach dem Tod Jassir Arafats vor einem Neubeginn, Osama bin Laden ist noch nicht gefasst und das Verhältnis Washingtons zu den europäischen Verbündeten weist tiefe Risse auf.
Viele Antrittsreden geraten in Vergessenheit
Die Antrittsrede am Tag der Vereidigung gehört zu den wichtigsten Ansprachen eines Präsidenten. Das gilt insbesondere dann, wenn sich ein neuer Präsident vorstellt. Aber auch ein Amtsinhaber wie Bush kann mit einer gelungenen Rede zu Beginn seiner zweiten Regierungszeit Akzente setzen, die über den Tag hinausreichen. Die meisten der Antrittsreden der bislang 43 Präsidenten sind jedoch rasch in Vergessenheit geraten. Das trifft auch auf Bushs erste Rede vor vier Jahren zu. Nur wenige Reden wurden nach Jahren oder gar Jahrzehnten noch zitiert, wie etwa die von John F. Kennedy, Franklin Roosevelt oder Abraham Lincoln.
Eine gelungene Antrittsrede, darin sind sich die Historiker einig, muss die zentrale Botschaft der Regierung möglichst in einem einzigen einprägsamen Satz enthalten. In diesem Sinn wurden Franklin Roosevelts Worte "Das einzige, was wir fürchten müssen, ist die Furcht selbst" zu Beginn seiner ersten Amtszeit 1933 zum Prüfstein nicht nur für seinen Kampf gegen die Wirtschaftsdepression in den USA, sondern auch für seinen Kampf gegen Hitler-Deutschland. Der Satz fand acht Jahre später Widerhall in Roosevelts Rede über die vier Freiheiten, in der er seine Vision von einer Nachkriegsordnung darlegte.
Auch John F. Kennedys Ermahnung "Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann, sondern fragt, was ihr für euer Land tun könnt" fand später seinen Niederschlag etwa in der Schaffung des Friedenskorps. Theodore Sorensen, Kennedys Redenschreiber und maßgeblicher Mitgestalter von dessen historischer Antrittsrede vom 20. Januar 1961, hielt für Bushs Vorgänger Bill Clinton einen Rat bereit: die Antrittsrede solle möglichst kurz sein. Denselben Rat gab vor Jahren auch der Historiker James MacGregor Burns. Beide sind der Ansicht, dass die Ansprache misslingt, wenn der Redner versucht, sein ganzes Regierungsprogramm für die nächsten Jahre darzulegen. Die Rede muss die eigentliche Vision der Regierung auf den Punkt bringen.
Wie Gedanken zu Worte werden
In seinem Buch "Kennedy" schildert Sorensen am Beispiel der Entwicklung von Kennedys Antrittsrede anschaulich, wie Gedanken in Worte gefasst werden. So sagte Kennedy zu ihm, er sei es Leid zu lesen, was die Regierung für die nächsten hundert Tage alles an Wundern plane. "Lass uns das einfach so ausdrücken, dass dies nicht alles in hundert oder tausend Tagen gemacht werden kann", meinte er zu seinem Redenschreiber. Aus diesem Gedanken wurde dann in der Rede die Passage: "All dies wird nicht in den ersten hundert Tagen getan sein. Auch nicht in den ersten tausend, oder bis zum Ende unserer Amtszeit, ja vielleicht nicht einmal bis zum Ende unseres Lebens auf diesem Planeten. Aber lasst uns beginnen."