"Putin wird sich keine neun, keine sieben oder fünf Jahre mehr an der Macht halten. Seine Uhr tickt und für ihn geht es jetzt eher noch um Monate als um Jahre", das sagte gestern der russische Anwalt Ilja Nowikow, der auch den Oppositionellen Alexej Nawalni verteidigt hatte. Mittlerweile hat der Anwalt Russland verlassen und gilt als ausländischer Agent, die Staatsanwaltschaft sucht ihn. Aber man muss sich nicht mal kritisch äußern, um ins Fadenkreuz der russischen Justiz zu geraten, ein falsches "Like" bei Facebook genügt schon, sagt die Russlandexpertin und stern-Reporterin Bettina Sengling. Deswegen sei es aktuell auch so schwierig, ein Gefühl für die Stimmung in Russland zu bekommen: "Russland ist so ein autoritäres Land, das man die Stimmung gar nicht spürt", sagt sie in der 430. Ausgabe des Podcasts "heute wichtig".
Thema Ukraine ist ein Tabu unter den Menschen in Russland
Bettina Sengling war in diesem Jahr mehrfach in Russland, sie hat beobachtet, wie der Krieg in der Ukraine die Gesellschaft verändert: "Das Thema Ukraine ist ein wahnsinniges Tabu, es gibt keine Zeitungen, keine Diskussionen, es ist alles nicht offen", sagt sie im Gespräch mit "heute wichtig"-Redakteur Dimitri Blinski. Viele Menschen sind müde von diesem Krieg – und zwar auf beiden Seiten, denn auch die Russ:innen unterstützen diese "Militäroperation" lange nicht mehr so stark, wie etwa die illegale Annexion der Krim. "Ich habe gespürt, dass es eine Dynamik gab von einer großen Unterstützung am Anfang und immer mehr Leuten, die kritisch sind am Ende. Mittlerweile wünscht sich mehr als die Hälfte der Russen (…) Friedensverhandlungen und ein Ende."
Doch genau diese Verhandlungen kann sich die ukrainische Seite überhaupt nicht vorstellen, gerade nach den Misshandlungen und der Folter etwa in Butscha oder auch den perfiden Angriffen auf die kritische Infrastruktur, wie den Heizkraftwerken. Und ein weiteres Argument bringt Bettina Sengling an: "Die Niederlage liegt sozusagen in der Luft" - und damit mein sie die Niederlage der russischen Armee. "Russland hat nicht mal genügend Soldaten, nicht mal genügend Waffen." Gerade in dieser Situation ist der Wille zu kämpfen, auf ukrainischer Seite, größer denn je.
"Die Leute explodieren, sie treten in Mienen in ihren Gärten"
Bettina Sengling war vor wenigen Tagen noch in der Ukraine und hat sich die Lage in einigen Regionen angeschaut. Die Gas- und Stromausfälle führten zu einer dramatischen Situation, gerade jetzt im Winter, sagt sie. Zusätzlich gibt es ein großes Problem mit den Mienen, die die russischen Soldaten hinterlassen haben: "Die Leute explodieren, sie treten in Mienen in ihren Gärten."
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