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"maybrit illner" Von Hirschhausen zerlegt Klimapolitik – doch das Timing für die Debatte ist unglücklich

Eckhart von Hirschhausen sitzt vor einem blauen Hintergrund
Echkart von Hirschhausen bei Illner
© ZDF/Jule Roehr
Debatten über die Klimapolitik tun not. Gerade in Zeiten von Corona wurden sie vernachlässigt. Und dennoch: Dass Maybrit Illner ausgerechnet so knapp nach der Regenflut über die Klimakrise sprechen wollte, war kein gutes Timing.

Ursprünglich hatte Maybrit Illner das Thema Außenpolitik für Donnerstagabend auf der Agenda, mit Blick auf die Zukunft: Wie geht's weiter nach der Ära Merkel? Doch dann kam nach dem Dauerregen die Flut in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Kurzerhand wurde der Talk neu betitelt mit "Regenflut und Hitzerekorde – schutzlos in der Klimakrise?".

Zuerst denkt man wahrscheinlich: Ja, worüber hätte sie denn sonst sprechen sollen, tagesaktueller geht es doch nicht. Aber kaum lief die Sendung, war deutlich zu spüren: Ein Talk mit Menschen, die frischfrisiert im Trockenen sitzen, und dann über Klimapolitik und -ziele debattieren, ist zu diesem Zeitpunkt völlig fehl am Platz und wirkt geradezu abgehoben.

Dazu ist die Katastrophe, sind die Bilder noch zu frisch: Ganze Städte stehen unter Wasser, stehen teilweise völlig isoliert, ganze Landstriche sind überflutet, Häuser eingestürzt, andere vom Einsturz bedroht, Tausende Menschen mussten ihre Wohnungen verlassen, es gibt zig Vermisste und Verletzte und schon mehr als 80 Tote. 

Angesichts der Existenznot, der Trauer und der akuten Angst, in der zahlreiche Bürger des Landes gerade leben, sei die Frage erlaubt: Hätte man nicht besser den Talk darauf verwenden können, per Schalte Helfer und Betroffene zu Wort kommen zu lassen? Oder Lokalpolitiker, die Einblick geben in die Lage vor Ort und was gerade wo gebraucht wird? Vielleicht auch Psychologen, die aufklären über die emotionale Situation der Hilfsbedürftigen? Das mag nicht bis ins Detail dem Konzept des politisch ausgerichteten Illner-Talks entsprechen, aber das hätte der gebotenen Pietät entsprochen.

Menschen sitzen bei Maybrit Illner am Tisch und diskutieren, im Hintergrund ist ein Bildschirm für die Live-Schalte
Die Gäste im Politik-Talk (von links): Claudia Kemfert, Andreas Jung, Maybrit Illner, Christiane Hoffmann, Eckart von Hirschhausen und in der Schalte: Karl Lauterbach
© ZDF/Jule Roehr

Laschet: Müssen schneller aus der Kohle aussteigen

Spontaner Berichterstatter war immerhin CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet, der für wenige Minuten aus dem Krisengebiet Stolberg zugeschaltet war und von Menschen erzählte, die ihr gesamtes Hab und Gut verloren haben – ein helfender Feuerwehrmann gar sein Leben. Schnell aber nahm ihn Illner in die Pflicht, Stellung dazu zu nehmen, dass er als Bundeskanzler das Klima retten müsse.

Laschet wies darauf hin, dass man schneller aus Kohle aussteigen werde als das in den Plänen der Kohlekommission vorgesehen sei. Man müsse aber dabei unbedingt "die soziale Frage mit im Blick haben". Zudem müssten Bahnstrecken viel schneller geplant und gebaut werden. Überhaupt, es brauche bei den Maßnahmen zum Klimaschutz "mehr Tempo".

Armin Laschet in der Zuschalte bei Illner, er steht im Regenmantel vor einer verregneten Straße
CDU-Kanzlerkandidat äußerte sich bei Illner zur Hochwasser-Katastrophe
© ZDF/Jule Roehr

Karl Lauterbach wird bei Illner zum Klima-Experten

Und dann ist da plötzlich wieder Karl Lauterbach. Erst denkt man: Moment mal, hat der sich etwa in die Sendung verirrt, heute geht´s doch gar nicht um Corona? Aber kaum hat man sich versehen, präsentiert sich der SPD-Politiker als Experte für den Klimawandel. Laut eigener Aussage beschäftige er sich schon seit vielen Jahren damit und schreibe gerade ein Buch darüber. Man fragt sich, was als nächstes kommt, vielleicht Gender-Experte, aber wahrscheinlich ist viel wesentlicher, dass Lauterbach in seiner uns inzwischen vertrauten Rolle auftritt: als großer Mahner.

Lauterbach verfällt also in seinen typischen Duktus. Man müsse, so prognostiziert er, mit deutlich mehr Hochwasser und Fluten rechnen, das werde für die nächsten 80 Jahre so weitergehen und die Lage würde sich über die Jahrzehnte erheblich verschlechtern. Mit Blick auf die USA meinte er: "Wenn wir die Wende nicht hinbekommen, werden Teile Kaliforniens nicht mehr bewohnbar sein." Ihn überrasche, dass dort überhaupt noch jemand wohnen und investieren wolle.

Ungewohnt persönlich dann der Moment, als Lauterbach seine 87-jährige Mutter erwähnte, die in einem aktuellen Krisengebiet "zwischen zwei Bächen" wohne, sie sei in Sicherheit. "Es gibt nichts Schlimmeres, als nachts heimgesucht zu werden", fuhr er mit Blick auf die Betroffenen fort. Und wurde emotional: "Bitterleid tun mir diese Menschen."

Von Hirschhausen geht Wirtschafts-Priorisierung "auf den Sack"

Dann Eckhart von Hirschhausen. Auch wenn sich der Arzt und Komiker, das war zu spüren, für das Klima sehr engagiert – er ist Unterstützer der "Scientists for Future" – brachte er mit Sätzen wie "kein Mensch kann sich seine eigene Außentemperatur kaufen" und "die Situation ist extrem bedrohlich" keinen neuen Erkenntnisgewinn.

Ein spontanes "Ui" entfuhr Illner, als er lospolterte: "Die Priorisierung von Wirtschaft geht mir so auf den Sack."

Illner fehlt Einordnung, stattdessen gibt es Alarmismus

Lieber hätte man einen Gast gehabt, der die grundsätzlichen Begriffe klärt, die so selbstverständlich in der Klimadebatte verwendet werden. Wer das unnötig findet, sollte sich vor Augen halten, dass auch in anderen Debatten mit Begriffen geschlampt wird. Trotz eineinhalb Jahre mit Corona wissen beispielsweise immer noch nicht alle, dass "infiziert" und "erkrankt" nicht gleichzusetzen sind. In der Klimadebatte gibt es ebenfalls eine unzulässige Gleichsetzung, die immer wieder, auch bei Politikern, zu beobachten ist. Daher: Klima ist nicht gleich Wetter.

Zudem muss gefragt werden – und Illner tat dies–, inwiefern ein einzelnes Wetterereignis wie aktuell die Hochwasserkatastrophe die Folge einer Klimaveränderung ist. Interessant wäre auch ein Überblick über den Niederschlag in Deutschland innerhalb der letzten Jahrzehnte gewesen. Also: Einordnung statt Alarmismus. Gerade auch in der aktuellen Lage.

Sonst bleibt das schale Gefühl, man wolle das, was für viele eine ganz persönliche Katastrophe ist, für klimapolitische Ziele instrumentalisieren. Leider hatte aber die ganze Sendung diesen "Sound". Illner sprach auch offen an, welche Rolle die Hochwasser-Tragödie im Wahlkampf spielen werde.

"maybrit illner": Von Hirschhausen zerlegt Klimapolitik – doch das Timing für die Debatte ist unglücklich

Trotz Wahlkampf bei Illner: Klimawandel ist real 

Das ist kein Widerspruch dazu, dass der Klimawandel nun mal im Gange ist und er zu größeren Klimaextremen führt und führen wird. Dass es neben Hitzeperioden auch immer häufiger Überflutungen geben wird, erklärt sich so: Je wärmer es wird, desto mehr Feuchtigkeit nimmt die Luft auf und entlädt sich in Starkregen. Man wisse um diese Entwicklungen seit über vierzig Jahren, sagte Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung "Energie, Verkehr und Umwelt" am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Aber: "Uns wollte keiner hören." Auch in den letzten Jahren unter der Kanzlerin sei wenig passiert. Nun müsse man den Turbo einlegen und den Ausbau erneuerbarer Energien schnell vorantreiben. "Wir können optimistisch sein, weil wir wahnsinnig viel stemmen können, wenn wir nicht mehr auf Bremse stehen", sagte Kemfert.

Ob die Bürger bei der Entfesselung mitmachen, ist die andere Frage. Trägt eine Mehrheit die zusätzlichen Kosten mit? Kemfert ist sich sicher: "Die Gesellschaft ist soweit." Andreas Jung, Klimaexperte der Unionsfraktion, gab sich ebenfalls zuversichtlich: "Bis 2045 ist Deutschland klimaneutral, auch die Industrie."

Zurück in die Gegenwart. Mit guten Nachrichten von Katja Horneffer aus der ZDF-Wetterredaktion: Es habe sich über den Krisengebieten "abgeregnet". Die Folge sei eine "meteorologische Entspannung."

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