Nachfragen sind nicht gestattet. Als Kevin McCarthy am Dienstag gegen 11 Uhr Ortszeit in Washington vor die Kameras tritt, erklärt er etwa vier Minuten lang, weshalb er ein Amtsenthebungsverfahren gegen US-Präsident Joe Biden forciert. Der Sprecher des US-Repräsentantenhauses hatte lange gezögert – und nun tut McCarthy etwas, was er vor weniger als zwei Wochen ausgeschlossen hatte. Gerne hätte die amerikanische Presse ihn mit seinem Umdenken konfrontiert. Aber es bleibt dabei: keine Nachfragen.
Als die Demokraten vor vier Jahren ihr erstes Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump in Gang setzten, sagte McCarthy, seine Amtsvorgängerin Nancy Pelosi könne nicht eigenmächtig darüber entscheiden. "Das erfordert eine ordentliche Abstimmung des Repräsentantenhauses." Die Sprecherin oder der Sprecher hat durchaus das Recht ein sogenanntes "Impeachment" im Alleingang einzuleiten. McCarthy hielt es aber stets für klüger, dies mit Hilfe einer Mehrheit der Parlamentarier zu tun. Und noch vor elf Tagen hatte der Republikaner gesagt: "Wenn wir ein Amtsenthebungsverfahren vorantreiben, würde dies durch eine Abstimmung im Repräsentantenhaus erfolgen und nicht durch eine Erklärung einer Person."
Was ist in diesen elf Tagen passiert? Wer das erklären will, muss sich weniger mit Joe Biden, sondern mit McCarthy und seiner Partei beschäftigen. Im Repräsentantenhaus sitzen derzeit 222 Republikaner, die über eine Mehrheit von gerade Mal vier Stimmen verfügen. Als McCarthy sich im Januar als Sprecher zur Wahl stellte, bekam er erst im 15. Wahlgang eine Mehrheit. Der rechte Flügel, der sogenannte "Freedom Caucus", hält McCarthy für eine Fehlbesetzung. Schon ein einzelner Abgeordneter kann jederzeit die Absetzung des Sprechers fordern und eine Abstimmung erzwingen. McCarthy ist die Geisel seiner eigenen Partei.
In einer Vereinbarung mit den Hardlinern seiner Fraktion hatte er weitreichende Zugeständnisse gemacht. Nun fühlen sich viele McCarthy-Gegner betrogen. Den ultrarechten Abgeordneten hatte insbesondere missfallen, dass McCarthy mit Biden einen Kompromiss ausgehandelt hatte, um das Schuldenlimit anzuheben. Zwar konnte der Sprecher einige Kürzungen in Bidens Haushaltsplan durchsetzen. Doch von einem Budget mit harten Einschnitten und deutlich geringeren Neuschulden sind die USA weit entfernt.
McCarthy will sich selbst retten
Aktuell wird im Kongress erneut ums Geld gestritten. Bis Monatsende muss das Parlament diverse Gesetze verabschieden, damit 438 Bundesbehörden am 1. Oktober nicht das Geld ausgeht. Passiert dies nicht, käme es zu einem weitreichenden "Shutdown", tausende Regierungsbeamte müssten zu Hause bleiben, viele Behörden würden ihre Arbeit einstellen. Die Vereinigten Staaten von Amerika währen lahmgelegt.
Dem rechten Flügel der Republikaner käme das gerade recht. Sie wollen ein Exempel statuieren, damit die Staatsausgaben endlich sinken. McCarthy ist nun in der Zwickmühle. Soll er – wie bei der Schuldenobergrenze – mit den Demokraten zusammenarbeiten und einen Teil seiner Fraktion vor den Kopf stoßen? Zum Wohle des Landes?
Genau darauf dürfte es am Ende hinauslaufen. Nur stürzen ihn dann seine eigenen Leute? McCarthy hofft, dass er mit dem Impeachment-Verfahren sich selbst schützen kann. Es gebe glaubhafte Anschuldigungen, dass Biden an illegalen Geschäften seines Sohnes beteiligt gewesen sei, sagte McCarthy am Dienstag. "Es geht um Vorwürfe des Machtmissbrauchs, der Verschleierung und der Korruption, und sie rechtfertigen weitere Ermittlungen." Beweise für diese Anschuldigungen blieb er schuldig.
Selbst bei den Republikanern gibt es mehrere Abgeordnete, die ein Amtsenthebungsverfahren gegen Biden für einen Fehler halten. Sollte das Repräsentantenhaus in den nächsten Monaten darüber abstimmen, könnten die Republikaner eine Mehrheit verfehlen. Und selbst wenn es diese geben sollte, muss Biden nicht viel fürchten. Der Senat hat in einem solchen Verfahren das letzte Wort. Die Kammer müsste mit Zweidrittelmehrheit gegen den Präsidenten votieren. Die Demokraten haben im Senat derzeit eine knappe Mehrheit. Um sein Amt muss sich Biden also keine Sorgen machen, zumindest nicht bis zur Wahl im November 2024, bei der er für eine zweite Amtszeit antreten will.
Fürchten muss sich hingegen Kevin McCarthy. Wenige Minuten nach dessen Ankündigung, das Amtsenthebungsverfahren gegen Biden auf den Weg zu bringen, trat der republikanische Abgeordnete Matt Gaetz aus Florida im Kongress ans Mikro. Er warf McCarthy vor, die Vereinbarung, die er mit den Ultrakonservativen getroffen hatte, nicht einzuhalten. Sollte sich das nicht ändern, müsste McCarthy aus seinem Amt "entfernt" werden.
Der Biden-Jäger ist selbst ein Gejagter.