Die Spitzenkandidatenfrage ist zwar noch nicht beschlossen, aber entschieden. Auch die Umfragen sehen gar nicht schlecht aus – sowohl was das Weiße Haus betrifft als den Senat. Und das Beste: Ihr natürlicher Gegner Joe Biden, US-Präsident, wird mittlerweile von den eigenen Leuten infrage gestellt. Ein Jahr vor der nächsten Präsidentschaftswahl können sich die US-Republikaner berechtigte Hoffnung auf ihr großes Comeback in Washington machen. Dennoch liegen die Nerven bei den Konservativen blank, groß ist bei der "Grand Old Party" derzeit nur das gegenseitige Misstrauen.
Frühere Nummer drei der USA pöbelt herum
Erst vor wenigen Tagen bepöbelten sich mitten auf den Fluren des US-Kongresses die Abgeordneten Tim Burchett und Kevin McCarthy. Letzter, bis vor kurzem noch Parlamentssprecher und damit die Nummer drei der US-Hierarchie, soll Ersterem beim Vorbeigehen seinen Ellbogen in die Nieren gerammt haben. Ein paar Türen weiter hatte derweil der republikanische Senator Markwayne Mullin schon fast seinen Ehering abgezogen, um einen Disput mit Gewerkschaftschef Sean M. O'Brien wie "Erwachsene zu Ende zu bringen". Die angedeutete Schlägerei aber blieb aus.
Und dann gibt es noch den Abgeordneten George Santos. Der will zwar niemand seinen Ellenbogen reinrammen, aber dessen Eskapaden werden selbst den eskapadentolerantesten Republikanern zu viel. Santos, 35 Jahre alt und seit Anfang 2023 Parlamentarier im Repräsentantenhaus, machte schon vor Dienstbeginn Schlagzeilen mit nahezu durchgehend falschen Angaben über sein Leben, seine Finanzen und seine Karriere. Vor laufenden Kameras räumte er sogar ein, ein "fürchterlicher Lügner" zu sein. Aber das wars dann auch. Die strafrechtlichen Vorwürfe gegen ihn, darunter Scheckbetrug und Veruntreuung von Spenden, seien allesamt "eine abscheuliche politisierte Verleumdung", wie er nun schimpfte.
"Unverfroren" aus der Wahlkampfkasse "gestohlen"
Anlass seiner Tirade auf X, dem früheren Twitter, ist ein Bericht des Ethik-Ausschusses des US-Repräsentantenhauses. Darin untermauern die Abgeordneten die Vorwürfe gegen Santos mit "wesentlichen Beweisen". Weil er sich auf Bundesebene strafbar gemacht haben könnte, empfiehlt der Ausschuss, den Fall an das zuständige Justizministerium zu verweisen. In den USA ist die Regierungsbehörde gleichzeitig die oberste Staatsanwaltschaft. Daneben laufen bereits Ermittlungen gegen Santos in fast drei Dutzend Punkten, darunter schwerer Identitätsdiebstahl.
"Unverfroren" habe er aus seiner Wahlkampfkasse "gestohlen", so die Kommission weiter. Unter anderem soll er Wahlkampfmittel für den Kauf von Luxusartikeln des Modehauses Hermès, für Casinobesuche, Wochenendausflüge und Botox-Behandlungen ausgegeben haben.
Das alles aber ficht den Jungpolitiker nicht an: "Jeder, der an diesem schweren Justizirrtum beteiligt war, sollte sich schämen", schreibt er und bestätigt indirekt das Urteil des Ethik-Ausschusses. Denn dort heißt es: Die mangelnde Ehrlichkeit des Abgeordneten sei "besorgniserregend", er habe versucht, "anderen die Schuld für einen Großteil des Fehlverhaltens zuzuschieben". Der Politiker habe mit seinem Verhalten "das Repräsentantenhaus schwer in Verruf gebracht". So eng aber sehen es die Abgeordneten selbst nicht. Noch vor zwei Wochen wurde sein Parlamentsausschluss mit 213 zu 179 Stimmen abgelehnt.
George Santos – Sieger in Demokratenland
Die Unterstützung des gefallenen New Yorkers lag vor allem am reinen Machterhalt. Die Republikaner haben zwar die Mehrheit in der Parlamentskammer, aber nur eine hauchdünne von vier Sitzen. Da wird jede Frau und jeder Mann gebraucht, ganz gleich wie unseriös die auch sein mögen. Zumal Santos Wahlbezirk im Nordwesten von Long Island normalerweise in der Hand der Demokraten ist – eine Neuwahl dürfte eher nicht zugunsten der Republikaner ausfallen. Offen ist, wann und ob die New Yorker wieder an die Urne gehen. Zwar hat George Santos jetzt bekannt gegeben, sich keiner Wiederwahl stellen zu wollen, Abgeordneter aber will er bleiben. Vorerst.
Der Fall des "ulkig-dümmsten Hochstaplers aller Zeiten", wie ihn das linke Portal "The Daily Beast" nannte, entwickelt sogar noch nicht minder absurde Abzweigungen. So hat sich ein Spendensammler von Santos nun schuldig bekannt, sich als Stabschef von Kevin McCarthy ausgegeben zu haben. Das ist der mit dem Ellenbogencheck. Samuel Miele wird vorgeworfen, im Namen von McCarthy Wahlkampfgelder eingetrieben zu haben. Zuvor hatte bereits Santos-Vertraute Nancy Marks zugeben müssen, in eine Reihe von Betrugsversuchen verwickelt zu sein.
Neuer Anlauf für Santos-Rauswurf
Weil Santos gewillt ist, bis zum Ende der Legislaturperiode im Januar 2025 seinen Repräsentantenhaussitz zu behalten, unternimmt ein Parteikollege nun erneut den Versuch, ihn aus dem Parlament zu werfen. Michael Guest, Vorsitzende des Ethikausschusses, schreibt in seinem neuen Antrag, Santos sei angesichts seines "unerhörten" Verhaltens ungeeignet für das Abgeordnetenamt und fordert die Kollegen auf, für den Rauswurf zu stimmen. Wann genau und ob das passieren wird, ist unklar. Vermutlich soll die entsprechende Sitzung um Thanksgiving Ende November stattfinden. Sollte Santos gehen müssen, wäre er erst der sechste Abgeordnete der US-Geschichte, der aus der Parlamentskammer ausgeschlossen wird.
Quellen: "Daily Beast", "USA Today", DPA, AFP, George Santos auf Twitter, CNN, Yahoo News, Realclearpolitics