Lech Wałesa, die Haare und der markante buschige Schnauzbart nicht mehr dunkelbraun wie 1980, sondern schlohweiß, sitzt an einem sonnigen Freitagmorgen im zweiten Stock des Europäischen Zentrums der Solidarność in seiner Heimatstadt Danzig. Das Gebäude wird als Bildungsstätte und Museum genutzt, fast will man sagen als Wałesa-Museum, weil unten im Shop Wałesa-Puppen, Wałesa-Shirts und Wałesa-Hoodies verkauft werden, aber das Solidarność-Zentrum ist dem Kampf der gleichnamigen Gewerkschaft gegen das sowjetische Regime gewidmet.

Herr Wałesa, Sie werden bald 80 Jahre alt...
Das ist die Frage? Ja, danke schön.
Wie feiern Sie?
Ich weiß es nicht. Meine Freunde organisieren etwas für mich, ohne meine Hilfe.
Wer ist eingeladen?
Ich weiß nicht, wer. Nächste Frage. Tempo Tempo.
Lech Wałesa, das ist nicht nur für Polen eine Jahrhundertgestalt. Unten im Museum hängen die Bilder zur Legende. Der junge Gewerkschaftsführer 1980 auf den Schultern seiner Kumpels der Danziger Werft, gerade hat er der Regierung seines Landes Freiheiten abgetrotzt, die einzigartig waren für den sozialistischen Block, allen voran die Erlaubnis, eine Gewerkschaft zu gründen, die "Solidarność". Schwarz-weiße Filmaufnahmen flackern über die Wände, Tausende jubeln ihm zu, rufen seinen Kosenamen: "Leschek, Leschek!" Der einfache Arbeiter Walesa, der sich den grauen sozialistischen Diktatoren entgegenstellt, wird weltberühmt, bekommt den Friedensnobelpreis, wird später Präsident.
Heute schaut Europa wieder auf Polen. Der Krieg im Nachbarland Ukraine. Die Aushöhlung des Rechtsstaats durch die rechtsnationale PiS-Regierung. Die anstehenden Wahlen im Oktober. Und man fragt sich: Was sagt Wałesa dazu? Kann er dem Land den Weg weisen? Findet sich in den grobkörnigen Schwarz-Weiß-Bildern das Granulat für die Lösung aktueller Probleme?