Making-of heißt unser neues Format. Wir wollen Ihnen einen persönlichen Blick hinter die Kulissen ermöglichen, aus unserem journalistischen Alltag erzählen und von unseren Recherchen. Wir beginnen mit einer kleinen Serie, in der wir auf unsere Momente des Jahres 2023 zurückblicken.
Die Hügel zwischen Armenien und Aserbaidschan sind am Morgen ruhig. Die gewundene Straße in Richtung der Enklave Bergkarabach ist leer. Nur ein paar Hirten reiten auf Pferden über die Felder. "Das kann noch dauern", sagt einer der Dorfbewohner, der mitbekommt, wie Journalisten auf die Menschen warten, die über die Grenze kommen sollen.
Aserbaidschan hatte das armenisch bewohnte Bergkarabach zuvor wochenlang von der Außenwelt abgeschnitten, die Bewohner hungern lassen. Als ich morgens am Latschin-Korridor stehe, der einzigen Straße, die Armenien mit der Region verbindet, deutet nichts darauf hin, dass die Menschen an dem Tag über die Grenze kommen. Das Rote Kreuz hat Zelte aufgebaut, in denen die Menschen versorgt werden sollen, sobald sie da sind, doch die Mitarbeiter wissen auch nicht, wann es soweit sein soll.
Achterbahnfahrt durch den Kaukasus
Mit mir reisen ein armenischer Journalist, der auch die Gespräche übersetzt, und ein Fahrer. Wir warten fast zwei Stunden. Dann setzen wir uns ins Auto zurück in die Hauptstadt Jerewan. Die Straße führt durch den Kaukasus, stundenlang auf und ab, wie eine Achterbahn. Wir halten mehrere Male an und wechseln die Plätze, um unsere Mägen zu beruhigen. Der Fahrer hatte sich erst zwei Tage zuvor die Weisheitszähne ziehen lassen – er scherzt darüber, aber ihm macht die wilde Fahrt zu schaffen. Der armenische Journalist versucht währenddessen von seinen Kontakten in der Hauptstadt und in Bergkarabach mehr über die Lage zu erfahren. Er telefoniert, schreibt pausenlos und sagt irgendwann: "Es könnte heute noch passieren."
Ein guter Freund von ihm in Bergkarabach, so erzählt er, habe von Bussen gehört, die noch am gleichen Tag über die Grenze dürften. Gesichert sei die Information nicht. Niemand wisse etwas Genaues. Wir halten an. Sollen wir weiter in die Hauptstadt fahren? Oder umdrehen? Wenn die Grenze weiterhin geschlossen bleibt, ist ein ganzer Tag verloren, an dem ich andere Menschen interviewen könnte. Grenze oder Hauptstadt?
Kommen die Menschen tatsächlich herüber, würden wir zu den ersten Medien vor Ort gehören, die beschreiben, wie es ihnen geht. Was sie erlebt haben und fühlen. Ohne Tage dazwischen, in denen die Erinnerung verblasst oder die Familien im Land verstreut sind.
Also: Grenze.
Dort, wo vor Stunden noch Grenzbeamte gähnten, stehen nun angespannte Angehörige
Noch schneller als zuvor rauschen wir zurück über die Achterbahn-Straße, der Journalist ruft seinen Freund in Bergkarabach an und zwischen abgebrochener Telefon- und Internetverbindung erreicht er ihn. "Sie kommen", sagt er. "Die Busse fahren los."

Mit quietschenden Reifen halten wir an der Grenze, die wenige Stunden vorher noch ruhig war. Jetzt stehen neben den Grenzschützern in Uniform auch Familienmitglieder der Menschen in Bergkarabach. Sie wollen ihre Angehörigen abholen, pressen sich die Telefone ans Ohr und wählen immer wieder Nummern. Einige erzählen, wie sehnsüchtig sie seit Wochen auf diesen Moment warten und schon fast nicht mehr damit gerechnet hätten. Und dann kommen sie: Ein Krankenwagen nach dem anderen jagt die Hügelkette aus Bergkarabach hinunter, darin die Kranken und Geschwächten.
Später kommen Autos, in die die Vertriebenen ihr Leben gepackt haben: Kuscheltiere, einige Klamotten, Fotoalben. Uns erzählen die Menschen mit versteinerten Gesichtern: Wir wissen nicht, ob wir unsere Heimat jemals wiedersehen werden.