Fried – Blick aus Berlin Die Wirtschaft klagt über Olaf Scholz – doch sie hat etwas Wichtiges übersehen

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geht neben Siegfried Russwurm, BDI-Präsident
Hier nebeneinander, aber gerne auch mal gegeneinander: Bundeskanzler Olaf Scholz (l.) und BDI-Präsident Siegfried Russwurm
© Michael Kappeler/ / dpa / Picture Alliance
Deutschland habe wegen Olaf Scholz zwei Jahre verloren, meint ein bedeutender Wirtschaftsmann. Doch Moment mal: Da war doch was, erinnert sich unser Autor. 

Der Ton war ruppig im Wahlkampf 1998. Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Olaf Henkel, warnte vor einem Wechsel von Helmut Kohl zu Gerhard Schröder: "Wie Deutschland nach 100 Tagen SPD-Regierung aussieht, möchte ich mir nicht ausmalen." Der sozialdemokratische Kanzlerkandidat nannte die Wirtschaftsverbände "Lautsprecher der Regierung". Und sein Parteichef Oskar Lafontaine beschimpfte Henkel sowie zwei weitere Arbeitgeberpräsidenten als "Trio asoziale". Am Wahlabend machte Henkel dann Furore, als er auf der SPD-Party erschien, Schröder gratulierte und sagte: "Ich bin immer bei den Siegern." Gefetzt haben sich die beiden trotzdem weiter.

Diese Geschichte fiel mir ein, als ich jetzt las, dass es zwischen Siegfried Russwurm, dem heutigen BDI-Präsidenten, und Olaf Scholz, dem heutigen SPD-Kanzler, rumst. Russwurm hat sich in der "Süddeutschen Zeitung" beklagt, er fühle sich von Scholz mit seinen Sorgen um die Wirtschaft nicht ernst genommen und bekomme immer nur den abschätzigen Satz zu hören: "Die Klage ist das Lied des Kaufmanns".

Die schwierige Beziehungskiste von BDI-Chefs und Kanzlern geht also weiter, übrigens gab es sie auch mit der CDU-Kanzlerin: Auf dem Tag der Industrie 2019 schimpfte der damalige BDI-Präsident Dieter Kempf, die Große Koalition habe das Vertrauen der Wirtschaft verspielt. Angela Merkel schlug mit den Worten zurück, mit dem Dieselskandal habe die bedeutsame Autoindustrie das Vertrauen der Politik verspielt.

Nun singt ein weiterer Kaufmann mal wieder sein Lied: Russwurm klagt, mit Blick auf den Wirtschaftsstandort seien die ersten Ampel-Jahre "zwei verlorene Jahre" gewesen. Da habe ich kurz gestutzt, weil in meinem Hinterkopf eine Frage leise klingelte: War da nicht was in den vergangenen zwei Jahren? Und da fiel es mir ein: richtig, der Krieg in der Ukraine und seine Folgen in Deutschland.

Ist wirklich nur die Ampel schuld?

Es gibt nicht allzu viel, was man der Ampelregierung zugutehält, aber dass sie das Land unmittelbar nach ihrem Amtsantritt unter schwierigen Voraussetzungen in hohem Tempo gut gegen die Energieknappheit und einen noch massiveren Wirtschaftseinbruch gewappnet hat, würden wohl viele bestätigen. Russwurm selbst war im Sommer 2022 noch voll des Lobes, nannte Entscheidungen der Regierung "extrem hilfreich" oder "sehr gescheit" und befand: "Die Art der Interaktion finde ich gut." Zwei verlorene Jahre?

Ein Grund dafür, dass Deutschland energiepolitisch anfällig war, lag bekanntlich in der Fixierung auf russisches Gas. Politisch haben das Gerhard Schröder und Angela Merkel zu verantworten, allerdings haben sie auch auf Druck der Wirtschaft reagiert. Billig sollte die Energie sein.

Man muss Siegfried Russwurm zugutehalten, dass er 2022 im Nachhinein auch die Rolle mancher Manager in dieser Energiepolitik kritisiert hat. "Wir haben uns die Feuerwehr gespart, weil wir das Brandrisiko für vernachlässigbar gehalten haben", räumte er ein. "Jetzt brennt es lichterloh." Die Lösung des Problems, das sie mitverursacht hat, schob die Wirtschaft aber der Politik zu. Inzwischen baut die Ampel die Energieversorgung um, zügig, wenn auch bestimmt nicht immer reibungslos. Aber zwei verlorene Jahre?

Vielleicht hört Olaf Scholz, bekanntlich ein Freund des Liedguts in der Politik ("You'll Never Walk Alone"), dem BDI wieder mehr zu, wenn die nächste Strophe der Kaufmannsklage etwas realistischer klingt.

Erschienen in stern 16/2024