Fried – Blick aus Berlin Unser Autor war erstaunt, von Olaf Scholz sehr viel Blödsinn auf sehr wenigen Zeilen zu lesen

Olaf Scholz gibt auf der Eu Summit eine Pressekonferenz
Seit wann entscheidet der Kanzler über zulässige und unzulässige Befindlichkeiten?, fragt sich stern-Kolumnist Nico Fried
© Omar Havana / Picture Alliance / AP
Olaf Scholz findet die Ukraine-Debatten peinlich. Ist es Sache des Kanzlers, das zu bewerten? Unser Kolumnist findet: Damit macht sich Scholz selbst lächerlich.

Vergangene Woche hat der Kanzler sich über außenpolitische Debatten in Deutschland mokiert. Jetzt fragen Sie sich vielleicht: Warum kommt der Fried damit jetzt noch mal an? Das will ich Ihnen sagen: weil ich finde, dass Olaf Scholz für seine Äußerungen noch nicht ausreichend die Hucke vollbekommen hat.

Der Kanzler ist ein kluger Mann, in vielen Themen kundig, umfassend gebildet. Ich habe ehrlich Respekt vor Olaf Scholz, auch vor seiner Ukrainepolitik. Deshalb war ich erstaunt, von ihm plötzlich sehr viel Blödsinn auf sehr wenigen Zeilen zu lesen.

Scholz war Gast auf der Konferenz "Europe 2024", die unter anderem der Berliner "Tagesspiegel" veranstaltete, der dann auch das Gespräch mit dem Kanzler abdruckte. Als Erstes wurde Scholz nach der Überlegung seines Fraktionschefs Rolf Mützenich gefragt, den Ukrainekrieg einzufrieren. Als Antwort schimpfte er, dass diese Debatte "an Lächerlichkeit nicht zu überbieten" sei.

Scholz' Einstellung wirft einige Fragen auf 

Leider weiß man nicht, ob er nun die Äußerung selbst meinte oder die Debatte darüber, dass Mützenich das besser nicht gesagt hätte. Dass Scholz mit einer Antwort zwei neue Fragen aufwirft, ist aber nicht neu. So war es auch mit seiner Position zur Lieferung des Marschflugkörpers Taurus.

Im Interview wurde Scholz auch danach gefragt. Das war die nächste Debatte, die er "als wenig erwachsen und peinlich" empfand. An anderer Stelle hatte er schon gesagt, dass in Deutschland außenpolitisch nicht in der Sache debattiert werde, sondern anhand "komischer Fahnen, die jemand hoch- oder runterzieht". Und wissen Sie was? Da habe ich mich allmählich gefragt, ob es Sache des Regierungschefs ist, Debatten als richtig oder falsch zu qualifizieren, nur weil er keine Lust hat, sich daran zu beteiligen. Und ob es sich für einen Kanzler geziemt, Debatten für doof zu erklären, nur weil sie ihm unliebsame Fragen aufwerfen.

Damit nicht genug. Scholz berichtete, dass es ihn schon nach seinem Einzug in den Bundestag 1998 gestört habe, wie über den Nato-Einsatz im Kosovo diskutiert wurde. Da habe es "viele abstrakte Debatten darüber gegeben, was das mit der deutschen Vergangenheit zu tun hat, und wenige darüber, wie die konkrete Situation in Kosovo ist". Befindlichkeitsdiskussionen seien das gewesen. Da habe ich mich gefragt, wie Scholz eine Debatte derart abtun kann, die nur acht Jahre nach der Wiedervereinigung geführt wurde, für die in Europa große Sorgen vor einer Remilitarisierung Deutschlands zu überwinden waren. Und wie ein historisch so belesener Kanzler so ahistorisch daherschwätzen kann. Zeitzeugen erinnern sich übrigens, dass Scholz SPD-Abweichler vor der Kosovo-Abstimmung mahnte, die junge rot-grüne Koalition nicht zu gefährden. Das war natürlich außenpolitisch sehr erwachsen argumentiert.

Klingt ein bisschen nach Nordkorea

Mich ärgert auch das Wort Befindlichkeiten. Der Kanzler nimmt für sich in Anspruch, die Ängste vieler Deutscher vor einem Atomkrieg ernst zu nehmen. Sind Angst und Sorge keine Befindlichkeiten? Und warum ist dann die Sorge, Deutschland könne zu wenig für die Ukraine leisten, eine falsche Befindlichkeit? Und seit wann entscheidet überhaupt der Kanzler über zulässige und unzulässige Befindlichkeiten?

Scholz wünscht sich Debatten, in denen herausgestellt wird, wie viel seine Regierung der Ukraine hilft, und in denen seine Haltung nicht als Zögerlichkeit, sondern als Besonnenheit erkannt wird. Hat er wirklich so gesagt. Klingt ein bisschen nach Nordkorea.

Gelobt seist Du, großer Kanzler, und gepriesen seien Deine tollen Leistungen – aber nicht mit mir.

Erschienen in stern 14/2024