Sozialstaat Die Ampel will die Pflege verbessern – doch ruiniert sie stattdessen

Pflege: Eine Pflegekraft kümmert sich um eine ältere Frau in einem Rollstuhl
Pflege wird für viele Menschen im Alter unbezahlbar werden
© Dean Mitchell / Getty Images
Die Koalition will die Mindestlöhne in der Pflege erhöhen. Das ist gut für die Beschäftigten, aber schlecht für Heimbewohner und Angehörige. Sie zahlen immer mehr und finden weniger Hilfe.  

Geld ist für die Politik ein besonderer Stoff. Es dient dazu Wähler anzulocken, Konflikte in einer Regierung zu lösen und streitende Parteien eines Bündnisses zusammenzuhalten. Das war lange Zeit auch in der Ampel so. Und die Ergebnisse waren nicht schlecht.

In der Corona-Pandemie hat das Staatsgeld viel Elend erspart, der Doppel-Wumms für bezahlbare Energiekosten hat die hiesige Wirtschaft vor dem Absturz bewahrt, und von der Abhängigkeit russischen Gas und Öls hat sich dieses Land schneller befreit, als viele Experten dachten.  

Rekordgewinne der Konzerne

Irgendwie gerecht zugehen, sollte es aber schon, wenn unser aller Steuergeld verteilt wird. Die Reichen muss der Staat nicht noch reicher machen. Konkret gesagt: Brauchen Unternehmen wirklich Steuervorteile von der Ampel, wenn sie kräftig Profit gemacht haben? VW verdiente vergangenes Jahr 22 Milliarden Euro, Mercedes-Benz 20,5 Milliarden Euro, die Umsätze und Gewinne der Dax-Konzerne erreichten neue Rekorde, und die Inflation füllte auch die Kassen von Erdölfirmen, Konsumgüterherstellern und vielen Mittelständlern.  

Äußerst knausrig dagegen geht die Ampel mit Leuten um, die es nötig haben. Etwa den Pflegebedürftigen. Wer im Heim lebt, lernte zuletzt, dass er immer mehr selbst zahlen muss. Der Eigenanteil liegt inzwischen monatlich bei knapp 2550 Euro, etwa 350 Euro mehr als Mitte vergangenen Jahres.  

Die Menschen werden bald noch mehr hinblättern müssen. Arbeitsminister Hubertus Heil und Gesundheitsminister Karl Lauterbach wollen die Mindestlöhne für Pflegekräfte erhöhen. Eine Kommission hat vorgeschlagen, sie bis Mitte 2025 um 16 Prozent anzuheben, für Hilfskräfte sollen sie von 13,90 Euro pro Stunde auf 16,10 Euro steigen, für ausgebildete Beschäftigte von 14,90 Euro auf 17,35 Euro und für geprüfte Fachkräfte von 17,65 Euro auf 20,50 Euro.   

Gute Nachricht für Pflegekräfte

Für alle, die in der Pflegebranche arbeiten, ist das eine sehr, sehr gute Nachricht. Der Job ist beschwerlich, zehrt an Körper und Geist, viele hören weit vor dem Rentenalter auf, weil sie sich überlastet fühlen. Wer gute Leute will, muss sie gut bezahlen.

Für alle, die in Heimen leben, klingt die Nachricht weniger gut. Denn sie werden einen erheblichen Teil der höheren Löhne stemmen müssen. Das liegt an der Pflegeversicherung, sie trägt nur einen Teil der Kosten.

Miete und Verpflegung zahlt der Heimbewohner ohnehin. Er zahlt aber auch die Investitionskosten, wenn ein Heim renoviert wird, die Ausbildungskosten, damit überhaupt jemand den Beruf ergreift, und eben den Teil der Pflegekosten, den die Pflegeversicherung nicht übernimmt. Diese Posten summieren sich auf jene 2550 Euro, und das ist nur der Durchschnitt, manche zahlen noch mehr.

Das ist viel Geld, bedenkt man, dass die durchschnittliche Rente für Männer im Westen bei 1279 Euro (Frauen 789 Euro) und im Osten bei 1360 Euro (Frauen 1155 Euro) liegt. Manche verfügen über Ersparnisse, eine Lebensversicherung, vielleicht eine eigene Wohnung, doch viele Menschen haben neben der Rente nichts. Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung besitzen 40 Prozent der deutschen Haushalte fast kein Vermögen, besonders Ostdeutsche sind oft ärmer. Sie verdienen weniger und erben seltener.  

Heime in Finanznot

Es gibt noch ein weiteres Problem. Viele Heime stecken in Finanznot. Sie bekommen kein Personal, kämpfen mit gestiegenen Preisen und Löhnen, können diese aber nicht völlig an die Bewohner weitergeben und rutschen so in die Pleite. Laut dem Branchendienst Pflegemarkt verschwanden letztes Jahr vom Markt über 140 Heime und 430 örtliche Pflegedienste, im ersten Quartal gingen weitere 200 Anbieter in Konkurs, die steigenden Mindestlöhne erschweren die Lage weiter. Wer seine Angehörigen unterbringen will, findet in Zukunft noch schwerer einen Platz.

Abhilfe ist nicht zu erwarten. Die Ampel hat für die Heimbewohner einige Zuschüsse leicht angehoben, gegen die steigenden Kosten nützt das wenig. 32,5 Prozent der Heimbewohner beantragen bereits Sozialhilfe, also Grundsicherung im Alter, in drei Jahren sollen es laut Berechnungen des Bremer Pflegeexperten Heinz Rothgang 36 Prozent sein.

Ein Problem wächst heran, das die Politiker weitgehend ignorieren. Alte Menschen, die stets auf eigenen Füßen standen, werden in ihrem Lebensabend zum Fürsorgefall, weil die Kosten über den Kopf wachsen. Alt werden, heißt in Zukunft zum Bittsteller zu werden. Die Pflege wird für viele unbezahlbar. Wer nach Gründen sucht, warum sich derzeit viele Menschen von der Politik enttäuscht fühlen und rechtsradikalen Parteien, wie der AfD, zuwenden, hier findet er eine Ursache.

Lindner verschärft Finanznot

Die Sache wird aber noch schlimmer. Die Ampel verschärft nämlich die Lage. In der Coronakrise hat die Pflegeversicherung vieles gezahlt, was eigentlich der Staat hätte tragen müssen. Die Heime übernahmen Coronatests, hielten Betten offen, schützten Beschäftigte und Bewohner, die AOK beziffert die offene Rechnung auf etwa fünf Milliarden Euro. Weil sich Finanzminister Christian Lindner weigerte, die Kosten zu übernehmen, mussten Sie und ich zahlen. Zum Juli stiegen die Beiträge zur Pflegeversicherung um 0,35 Prozentpunkte auf 3,4 Prozent des Bruttolohns, Kinderlose zahlen etwas mehr, Kinderreiche weniger.

Lindner hat aber noch mehr getan. Er hat den jährlichen Zuschuss zur Pflegeversicherung von einer Milliarde Euro für die nächsten vier Jahre gestrichen und verschärft die Notlage der Pflegeversicherung weiter. Die Sache ist so verfahren, dass der Bundesrechnungshof Gesundheitsminister Lauterbach abwatscht. Über dessen Finanzplanung schreiben die Rechnungsprüfer in einem Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestages, dass "es zweifelhaft ist, ob die Finanzplanung in dieser Form Bestand haben kann". Doch eine Reform der Pflege steht bis zur nächsten Bundestagswahl 2025 nicht an.

Was das alles heißt?

Sie und ich können sich schon auf weiter steigende Pflegebeiträge einrichten. Die Heimbewohner werden noch mehr zahlen oder müssen Sozialhilfe beantragen, dafür schränken Heime und Pflegedienste ihre Angebote ein. Das sind die Ergebnisse einer Regierung, die, wohlgemerkt, die Pflege verbessern will. Wer darin einen Erfolg sieht, hält auch Whisky für alkoholfrei.

Christian Lindner interessiert das alles nicht. Lieber treibt er sein Nonsens-Projekt "Aktienrente" voran, das neuerdings Generationenkapital heißt. Bis zu 200 Milliarden Euro will er darin in den nächsten zwölf Jahren versenken, obwohl das Vorhaben weder jungen Leuten, Arbeitnehmern oder Rentnern hilft, mit steigenden Kosten im Alter klarzukommen. Nutzen soll es vor allem der FDP. Sie will dem Tal der Umfragen entfliehen.   

Betroffene sollten Kosten kennen

Die Nöte der Pflege ließen sich natürlich lösen. Pragmatisch. Die Regierung könnte den Eigenanteil der Heimbewohner begrenzen, die Fachleute sprechen vom "Sockel-Spitz-Tausch", wobei wir die Details an dieser Stelle nicht vertiefen. Wichtig wäre, dass jeder Betroffene weiß, mit welchen Kosten er bei der Pflege rechnen muss und später nicht ausgeplündert wird.  

Die Regierung könnte noch weiter gehen. Sie könnte das Versprechen einlösen, was die Politik vor Einführung der Pflegeversicherung vor knapp 30 Jahren gegeben hat. Die Pflegeversicherung übernimmt danach alle Kosten, die mit der Pflege zusammenhängen, Länder und Kommunen tragen die Investitionskosten, und den Rest zahlt der Einzelne. Doch von solchen Ideen ist die Koalition weit entfernt. Die Ampel pampert lieber die Gewinner der Krise. 

Was ist eigentlich noch sozialdemokratisch an Olaf Scholz?