Grüner Parteitag Auf Robert Habeck warten Tage des Zorns

Vizekanzler Habeck: Auf dem Parteitag könnte es unruhig werden
Vizekanzler Habeck: Auf dem Parteitag könnte es unruhig werden
© Hannes P. Albert / DPA
Wer bin ich und wenn ja, wie grün? Auf ihrem Parteitag wollen die verunsicherten Grünen auch auf diese Frage Antworten suchen. Habeck wünscht sich mehr Beinfreiheit – die Partei würde ihm lieber Fußfesseln anlegen. Geht das gut?

Robert Habeck hat sein Ministerbüro von heute bis Sonntag nach Karlsruhe verlegt. Offenbar befürchtet der grüne Vizekanzler andernfalls etwas zu verpassen, womöglich den Zorn seiner Partei. Vier Tage lang treffen sich die Seinen zum wohl längsten, sicher größten grünen Parteitag aller Zeiten.  

Vier Tage, die offiziell dazu dienen, die Kandidatinnen und Kandidaten zur Europawahl im kommenden Juni aufzustellen, das passende Wahlprogramm zu verabschieden, die milieuüblichen 1400 Änderungsanträge zu beraten und, ach ja, ihren Parteivorstand neu zu wählen. Aber das sind nur die offiziellen Anlässe für diesen Parteitag. Der wahre Grund, nein, der tiefere Sinn des Treffens ist: Selbstvergewisserung.  

Man könnte auch sagen, vor Robert Habeck und seinen Parteifreunden liegen vier Tage der Selbstbeschäftigung, und wenn es blöd läuft, der Selbstzerfleischung. Passenderweise am Ort ihres Gründungsparteitags im Jahre 1980 versuchen die Grünen in Wahrheit also, sich neu zu ergründen. Denn die Grünen des Jahres 2023 werden von vielen Fragen und Zweifeln gequält.

So viele Fragen, so viele Zweifel

Wer sind wir und warum hat uns plötzlich keiner mehr lieb?  

Warum werden wir mancherorts so gehasst, dass sich einfache Parteimitglieder nicht mehr auf die Straße trauen, um für die Partei zu werben (was längst kein exklusives Ostproblem mehr ist)?  

Warum nennt uns die FDP ein "Sicherheitsrisiko", erklärt uns die CDU zum "Hauptgegner"?  

Warum fliegen wir nicht nur in Berlin aus dem Senat, wo man die reine grüne Lehre umsetzen wollte (Stichwort autofreie Innenstadt), sondern auch in Hessen aus der Landesregierung, obwohl kein Grüner nirgends so geschmeidig war wie Tarek Al-Wazir zwischen Main und Rhein?  

Und warum zur Hölle stöhnen in diesem Land eigentlich alle auf, sobald jemand das Wort "Klimaschutz" auch nur erwähnt? 

War das nicht alles mal ganz anders, schöner? Womit wir wieder bei Robert Habeck sind. In ihren besten Zeiten – manche sagen, es waren jene, in denen er gemeinsam mit Annalena Baerbock die Partei in den Umfragehimmel entführte – verströmten die Grünen etwas anziehend Sympathisches. Bündnispartei wollten sie sein, was in etwa bedeutete: Wer die Zukunft zumindest in derselben Himmelsrichtung sucht, der war eingeladen mitzukommen. Die Grünen waren der Omnibus der politischen Parteien, heute erinnern sie viele eher an einen Abrissbagger. Mit Elektroantrieb versteht sich. 

Für das bisschen Klimaschutz? Das bisschen Energiewende?

Sicher, eine Partei, die für mehr Klimaschutz wirbt, kommt eben sympathischer daher als ein Minister, der den Leuten teure Heizungen verschreibt. Aber das ist nur die Außenansicht. Die Binnenperspektive ist nicht viel besser. Die Grünen haben lange alles mitgetragen, den brutalen Pragmatismus nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, die Energiedeals und LNG-Terminals. Die Aufrüstung der Bundeswehr, die Waffenlieferungen an die Ukraine. 

Nur fragen sich immer mehr Parteimitglieder, ob es das wert war. Und was sie im Gegenzug für ihren Pragmatismus eigentlich bekommen haben. Das bisschen Klimaschutz? Das bisschen Energiewende? Den zarten Hauch einer Kindergrundsicherung 

Den Beleg dafür liefert ein offener Brief, den kurz vor dem Parteitag mehr als 500 Mitglieder unterschrieben haben. Sie werfen ihren Führungsleuten vor, die einstige Partei der Veränderung in eine "Werbeagentur für schlechte Kompromisse" verwandelt zu haben. 

Das ist mehr als nur eine witzige Formulierung. Und darum ist dieser Parteitag für die Regierungsgrünen, allen voran Robert Habeck, nicht ganz ungefährlich. Nicht, weil ihn jederzeit der Zorn der Delegierten treffen könnte. Das kann er ab, das muss er aushalten, zumal bei den Grünen.  

Etwas anderes sollte ihm mehr Sorgen bereiten. Es hat mit dem Urteil zu tun, das in der vergangenen Woche nur acht Kilometer vom Tagungsort entfernt am Bundesverfassungsgericht verkündet wurde und das seitdem Land und Ampel in Atem hält. Jene Entscheidung zum Haushalt, zur Schuldenbremse, den vielen Milliarden-Sondertöpfen. 

Seitdem fürchten viele Grüne, es könnte nun noch enger werden für den Klimaschutz oder für Soziales, für die Kindergrundsicherung oder das Heizungsgesetz. Alles ist dieser Tage offen. Alles ist denkbar.  

Habeck muss einen Kurs beschreiben, den er nicht kennt

Zweimal will Habeck im Verlauf dieser vier Tage reden, mindestens. Er muss dabei das rhetorische Kunststück vollbringen, einen Kurs zu beschreiben, den er selbst noch gar nicht kennt. Er muss für eine Lösung werben, ohne etwas Konkretes in der Hand zu halten. Er muss um die notwendige Beinfreiheit bitten bei Leuten, die ihm immer weniger vertrauen; die ihm, im Gegenteil, am liebsten Fußfesseln anlegen wollen würden, auf dass seine nächsten politischen Schritte nur noch entlang der Parteilinie verlaufen mögen.   

Man kann es nachlesen im Brief von der Basis: "Bei richtungsweisenden Entscheidungen wünschen wir uns Mitsprachemöglichkeiten davor, statt einer Moderation der Mitglieder danach", heißt es da. Mit dieser Methode ließe sich vielleicht seine Partei befrieden – aber ganz sicher kein Land regieren.  

Habeck hat das schon mal erlebt, vor ziemlich genau einem Jahr auf dem Parteitag in Bonn. Damals stand eine Laufzeitverlängerung für die letzten drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke zur Debatte, um den ersten Winter auch ohne russische Energieimporte zu überleben. Die Ampel hatte sich zuvor auf keinen Kompromiss geeinigt. Die LNG- und Lützerath-genervten Grünen diskutierten sich in Rage – und der hilflose Habeck konnte nur mit großer Not verhindern, dass die eigenen Leute seine Idee einer Einsatzreserve mit einem Keine-Minute-länger-Beschluss torpedieren. Am Ende musste der Kanzler höchstselbst den Ampel-Streit per Machtwort entscheiden. 

Schon klar, Geschichte wiederholt sich nicht. Aber wenn doch, dann als Tragödie. Diesmal könnte sich der Unmut beim Thema Migration oder beim Haushalt entladen. Oder bei den Vorstandswahlen. Vielleicht war es darum eine weise Entscheidung von Robert Habeck (übrigens auch von Annalena Baerbock), dass er vorsorglich verkündet hat, auf einen Sitz im Parteirat künftig zu verzichten. Wenigstens bei den Wahlen bleibt ihm eine Abstrafung so erspart.