Solche Huldigungen wurden Olaf Scholz lange nicht mehr zuteil. Der niederländische Regierungschef Mark Rutte nannte die Idee des Kanzlers "genial". Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba jubelte, was Scholz getan habe, werde "in die Geschichte eingehen". Und der Kanzler selbst berichtete in aller Bescheidenheit, es hätten sich auf dem EU-Gipfel auch noch "andere gefreut".
Ja, was war denn da los?
Als sich am Donnerstagabend vergangener Woche die Verhandlungen über Beitrittsgespräche mit der Ukraine der Abstimmung näherten, fragte Scholz den ungarischen Ministerpräsidenten, der als Einziger gegen die Aufnahme der Ukraine-Gespräche war, ob er nicht den Raum verlassen wolle. Das war keine spontane Idee, sondern lange vorbereitet. Trotzdem war nicht klar, wie Viktor Orbán reagieren würde. Tatsächlich stand er schließlich auf und ging – die Angaben widersprechen sich da – einen Kaffee trinken oder auf die Toilette oder beides. Die restlichen 26 Staats- und Regierungschefs konnten so, im Einklang mit der Geschäftsordnung, einstimmig zugunsten der Ukraine votieren.
Die Episode bietet Anlass, über den Trick in der Politik nachzudenken, zumal gerade Scholz häufig in Verdacht gerät, sich dieses Mittels zu bedienen. Es ist erst ein paar Tage her, dass er einen neuen Haushalt für 2024 präsentierte, den Oppositionsführer Friedrich Merz postwendend als "finanzpolitische Trickserei" bezeichnete. Und nötig geworden ist der neue Etat wiederum, weil das Verfassungsgericht ein Haushaltsverfahren als rechtswidrig kassiert hat, das Scholz erfunden hatte. Die "Süddeutsche Zeitung" sprach nach dem Karlsruher Urteil von einem Trick, der "Spiegel" und die "Taz" ebenso; und ich auch.
Trickreicher Kanzler Olaf Scholz
Die Frage lautet nun: Wann ist ein Trick ein guter Trick und wann ein schlechter? Hängt es nur daran, ob er funktioniert oder nicht? Wäre Scholz’ Idee schlecht gewesen, wenn Orbán sitzen geblieben wäre? Oder wäre das Verschieben von Milliarden im Haushalt gut gewesen, wenn die Union nicht geklagt und das Verfassungsgericht nichts zu urteilen gehabt hätte? Immerhin floss jede Menge Geld an Empfänger, die es gut gebrauchen konnten. Wenn aber der Zweck alle Mittel heiligt, sogar die verfassungswidrigen, wird’s schnell schwierig mit der Grenzziehung. Und nur wer findet, Politik sei sowieso ein schmutziges Geschäft, wird den Wert eines Tricks allein nach seiner Funktionalität beurteilen. Leider finden das ziemlich viele.
Ein ähnlich ambivalentes Bild ergibt die Frage, ob der Trick von Brüssel dem Kanzler schadet oder nützt. Auch wenn die Idee erfolgreich war, unterstreicht sie das Bild von Olaf Scholz als Politiker, der gern mit, sagen wir: unkonventionellen Methoden arbeitet. Oder aber man erkennt die Scholz’schen Tricks als positiven Beweis dafür an, dass der Kanzler die Probleme stets tief durchdrungen hat, was ihm überhaupt erst ermöglicht, kreative Lösungen zu finden. Anders gesagt: Weil Scholz sich frühzeitig in die Dossiers vertieft, ist er anderen bei Gelegenheit eine Nasenlänge voraus.
Vermutlich wäre Letzteres die knapp mehrheitsfähige Deutung im Kanzleramt.
In der Pressekonferenz in Brüssel sagte Scholz übrigens, bei dem Orbán-vor-die-Türe-Bitten habe es sich gar nicht um einen Trick gehandelt. Er habe vielmehr etwas getan, "was man tun kann, wenn man sich wechselseitig helfen will, selbst dann, wenn man nicht einer Meinung ist". Ob das wieder so ein Trick war, um diese Kolumne zu verhindern?