Antisemitismus Wie deutsche Neonazis versuchen den Angriff auf Israel für sich zu nutzen

Neonazis Palästina
Neonazis demonstrierten bereits 2018 mit Anti-Israel-Banner und Palästina-Flaggen zum 70. Gründungstag Israels
© Screenshot Youtube/@JournalistMarcusArndt
In Dortmund-Dorstfeld wehen Palästina-Flaggen und Neonazis jubeln auf Telegram über die Angriffe auf Israel. Wie die Rechtsextremen versuchen, den Krieg für ihren Antisemitismus zu nutzen.

Nach dem Angriff der Hamas auf Israel versucht die rechtsextreme Szene in Deutschland den Konflikt immer mehr für die eigene antisemitische und rassistische Propaganda zu nutzen. Eine Auswertung von Webseiten und Social-Media-Kanälen einschlägiger Parteien durch den "Spiegel" ergab, dass sich nahezu alle rechtsextremen Parteien solidarisch mit den Palästinenser:innen zeigen.

Im rechten Szenestadtteil Dortmund-Dorstfeld wurde in der vergangenen Woche ein Banner mit der Aufschrift "Der Staat Israel ist unser Unglück" gehisst. Die Aufschrift ist angelehnt an einen Leitspruch der Nazis: "Die Juden sind unser Unglück" – eine Parole des NS-Hetz-Blattes "Der Stürmer". Die Polizei entfernte das Banner sowie eine Palästina-Flagge über einem bekannten Nazitreffpunkt. 

Israelbezogener Antisemitismus

Die vermeintliche Solidarität mit Palästina hat eine lange Tradition innerhalb der extremen Rechten, zumindest, solange es gegen den jüdischen Staat Israel geht, erklärt Lorenz Blumenthaler von der Amadeu Antonio Stiftung gegenüber dem stern.

Der Autor hat kürzlich ein "Action-Kit gegen israelbezogenen Antisemitismus" veröffentlicht, in dem er verschiedene Merkmale antisemitischer Narrative vorstellt. Er sieht aufgrund der spaltenden Reaktionen auf den Nahost-Konflikt und dem gesamtgesellschaftlich verbreiteten Antisemitismus in Deutschland ein großes Anschlusspotential für rechtsextreme Gruppierungen und Narrative.

"Rechtsextreme sind besonders gut darin aktuelle Krisen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren", so Blumenthaler. "Wenn dies mit dem eigenen Antisemitismus verbunden werden kann, erscheint das für sie besonders lohnend." In der aktuell unübersichtlichen Lage wird demnach versucht, Menschen aus unterschiedlichen Lagern gegen Israel aufzuhetzen - auch wenn sich rechtsextremes Gedankengut schwer mit der politischen Ideologie propalästinensischer Aktivist:innen vereinbaren lässt. 

Neonazis verbreiten Hass gegen Israel im Internet

Der frühere NPD-Jugendverband "Junge Nationalisten" verteidigte den islamistischen Angriff gegen die jüdische Zivilbevölkerung damit, dass den Hamas-Angriffen "die völkerrechtswidrige Unterdrückung, die Besetzung und israelischer Massenmord" vorangegangen sei. Dazu posteten die deutschen Neonazis im Onlinedienst Telegram das Bild eines blutbefleckten Davidsterns und die Parole "Israel mordet und die Welt schaut zu".

Auch die rechtsextreme Kleinstpartei "Der III. Weg" rechtfertigt auf ihrer Website die Anschläge der Hamas als "Gegenangriff auf das zionistische Gebilde Israel" und Reaktion auf "anhaltende jüdische Provokationen". Die neonazistische Kleinstpartei "Die Rechte" geht sogar noch einen Schritt weiter und verbreitet auf ihrem Telegram-Kanal Links zu einem rechtsextremen Online-Shop, in dem "Solidarität mit Palästina"-T-Shirts angeboten werden, versehen mit der Bemerkung "aktueller denn je".

Genau hier sieht der Experte von der Amadeu Antonio Stiftung Anknüpfungspunkte zu anderen politischen Lagern. Wenn etwa ein sich als progressiv verstehendes Milieu bei einer Demonstration vor dem Auswärtigen Amt "Free Palestine from German guilt" skandiert, ist das gar nicht so weit entfernt vom rechtsextremen Geraune eines Deutschen "Schuldkults”, so Blumenthaler.

Palästina-Flaggen im Dortmunder Nazikiez

Auch das Banner mit der Aufschrift "Der Staat Israel ist unser Unglück", welches vergangene Woche über einer bekannten Neonazi-Kneipe in Dortmund gehisst wurde, bietet diesen Interpretationsspielraum, meint die Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalens Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Sie bestätigte gegenüber dem stern, dass "Die Rechte" Flyer mit derselben Formulierung bereits im Europawahlkampf 2019 verteilte. Mehrere Gerichte hätten sich damit mehrmals befasst, die Verwendung allerdings nur teilweise untersagt.

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Die ehemalige Bundesjustizministerin ist allerdings überzeugt, den Rechtsextremisten würde es beim Verwenden der palästinensischer Symbolik weniger um die Lage der Palästinenser, als vielmehr um die Unterstützung vermeintlicher Israel-Feinde und Delegitimierung Israels gehen. Auch Provokation spiele eine große Rolle. "Mit ihren Aktionen wollen sie auch die Demokratie destabilisieren", so Leutheusser-Schnarrenberger.

Quellen: WDR, Spiegel

Hinweis: In einer vorherigen Version dieses Artikels hieß es, dass die sich als linkspolitisch verstehende Partei MLPD an einer Demonstration der Partei "Die Rechte" in Dortmund teilgenommen habe. Die MLPD streitet eine Teilnahme ab. Wir recherchieren in dem Sachverhalt weiter, haben die entsprechende Passage aber vorübergehend entfernt.

jus