Sieben Fragen zum Rentenstreit Wird die Rente künftig sinken?

Reicht die Rente? Eine ältere Person hat Münzen in der Hand – und hält sie so, als würde sie das Geld zählen
Beim Rentenstreit geht es nicht anders zu als in jedem Privathaushalt: Jeder Euro ist umkämpft
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Der Rentenstreit zwischen Union und SPD verunsichert viele: Ist das Rentensystem noch bezahlbar? Kann meine Rente im Alter gekürzt werden? Der stern sortiert die Fakten.

1. Woran genau entzündet sich der aktuelle Streit?

Im Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD auf drei kurzfristige Maßnahmen geeinigt: die Einführung der "Aktivrente", eine Art steuerliche Belohnung für Arbeitnehmer, die über 67 Jahre alt sind und weiterarbeiten – eine Forderung der CDU. Dazu die Ausweitung der Mütterrente für Kinder, die vor 1992 geboren wurden – eine Forderung der CSU. Und die Festschreibung des Rentenniveaus bei 48 Prozent bis zum Jahr 2031 – ein Vorhaben, das der SPD wichtig ist. Alle drei Pläne tragen die jungen Abgeordneten der Union mit.

Um das Niveau von 48 Prozent zu halten, soll der Nachhaltigkeitsfaktor in der Rentenformel, der die Rentenzuwächse jedes Jahr gegenüber den allgemeinen Gehaltszuwächsen bremsen soll, für fünf Jahre ausgesetzt werden. Nach aktueller Prognose wäre das Rentenniveau 2031 so einen Prozentpunkt höher als ohne Haltelinie. Der Streit entzündet sich nun daran, wie es danach weitergeht: Fällt das Rentenniveau sofort auf den Wert, der ohne die Haltelinie gegolten hätte? Oder wird der eine Prozentpunkt dauerhaft weiterfinanziert? Genau das sieht der Gesetzentwurf von Sozialministerin Bärbel Bas (SPD) vor.

2. Stimmt die Rechnung von bis zu 120 Milliarden Euro Mehrkosten?

Die Zahl klingt gewaltig, aber sie entsteht durch die lange Nachwirkung des jetzt geplanten Eingriffs. Zwar würde das Rentenniveau ab 2032 bis 2040 auf 46 Prozent sinken, es bliebe aber dauerhaft einen Prozentpunkt höher als ohne Haltelinie. Das kostet 2031 zunächst 11 Milliarden Euro. Der Betrag steigt im Laufe der Zeit, 2040 rechnet der Bund mit 15,1 Milliarden Euro extra gegenüber dem heutigen Status.

Rechnet man diese Jahresbeträge über die neun Jahre von 2032 bis 2040 zusammen, kommt man auf eine Summe von 115 bis 120 Milliarden Euro, die das höhere Rentenniveau auch dann noch kostet, wenn eigentlich das alte Recht wieder gilt.

Allerdings: Das gilt natürlich auch für die Kosten der Mütterrente. Die sechs Monate zusätzliche Erziehungszeiten für alle Kinder, die vor 1992 geboren wurden, kosten pro Jahr etwa fünf Milliarden Euro extra, ebenfalls zu zahlen vom Bund. Über neun Jahre kommen auch hier Mehrkosten von rund 45 Milliarden Euro zusammen. Sie kommen übrigens zu dem, was der Bund ohnehin schon jedes Jahr an Bundeszuschüssen für die Rente überweist: allein 2025 sind das mehr als 120 Milliarden Euro.

3. Warum ist das Rentenniveau der SPD so wichtig?

Die Haltelinie für die Rente ist schon jetzt nicht gerade üppig. Dazu muss man wissen, wie sie genau definiert ist. Ausgegangen wird von der sogenannten Eckrente: Die erhält, wer 45 Jahre lang durchgehend im Durchschnitt aller Löhne und Gehälter verdient und in die Rentenkasse eingezahlt hat. Im Ruhestand soll es dann 48 Prozent des Gehalts als Rente geben. Die meisten Leute arbeiten aber nicht 45 Jahre, und sie verdienen auch nicht immer genau im Durchschnitt. Das Rentenniveau existiert also vor allem in der Theorie.

Das bedeutet, die allermeisten müssen mit deutlich weniger als den 48 Prozent ihres letzten Gehalts auskommen, was auch alle ahnen, die schon mal eine Renteninformation erhalten haben. Dazu kommt: Trotz Riester-Reform und betrieblicher Altersrenten hat etwas mehr als die Hälfte aller Rentner keine weitere Absicherung. All das treibt die SPD um. Allerdings hätte auch der Staat nicht viel davon, wenn das Rentenniveau zu sehr sinken würden. Am Ende müsste er dann umso mehr an Grundsicherung und Zuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie später für die Pflege in Altersheimen zahlen.

4. Kann die Rente jetzt oder in Zukunft sinken?

In der aktuellen Debatte geht es um das Absenken des Rentenniveaus, nicht um das Absenken der Rente. Das ist ein wichtiger Unterschied. Wenn das Rentenniveau von aktuell 48 Prozent langsam abgesenkt wird, dann bedeutet das nicht automatisch, dass die Rentenzahlungen in einem der kommenden Jahre sinken müssen. Sie würden aber deutlich langsamer steigen als die Löhne und Gehälter. Praktisch bedeutet das auch, dass künftige Rentenerhöhungen ab 2032, anders als in den vergangenen Jahrzehnten, wohl auch die Inflation nicht mehr ausgleichen können. Der reale Wert der Rente, also das, was man sich mit der Rentenzahlung kaufen kann, würde tatsächlich sinken.

Ferner sieht die aktuelle Gesetzeslage vor, dass die Rente selbst dann nicht sinken kann, wenn die Löhne und Gehälter in einem Jahr sinken – die sogenannte "Rentengarantie". Diese wird jedoch mit den Lohn- und Rentensteigerungen der kommenden Jahre verrechnet.

Das ist wohl auch einer der Hintergedanken des Gesetzentwurfs von Bärbel Bas: Würde das Rentenniveau tatsächlich, wie von der Jungen Union gefordert, im Jahr 2032 direkt um einen Prozentpunkt abgesenkt werden, könnte das, je nach Wirtschaftslage, direkt zu Nullrunden für die Rentner führen. Das Abschmelzen des Rentenniveaus geschähe nicht ganz langsam und unauffällig, sondern abrupt – und für alle direkt spürbar.

5. Belastet das Gesetz einseitig die junge Generation?

Die Sorge der jüngeren Generation ist nachvollziehbar: Künftig müssen immer weniger Arbeitnehmer immer mehr Rentner finanzieren. Mitte der 90er-Jahre waren es noch vier Beschäftigte, die einen Rentner unterhalten mussten. 2020 waren es drei. Bis 2035 sind es nur noch 2,4 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, die einen Rentner finanziell tragen.

Auf zwei Weisen wird die gesetzliche Rente finanziert: erstens und vor allem über den Beitragssatz. Der liegt aktuell bei 18,6 Prozent vom Bruttolohn, die Hälfte zahlt der Arbeitgeber. Zweitens über Steuern, 2025 mehr als 120 Milliarden Euro. Um das Rentenniveau bis 2031 bei 48 Prozent zu stabilisieren und dann einen Prozentpunkt höher zu halten als geplant, soll beides steigen: der Beitragssatz bis 2040 auf 21,4 Prozent, die Bundeszuschüsse zusätzlich um bis zu 15 Milliarden pro Jahr.

Nutznießer, so der erste Eindruck, wären allein die Rentner. Aber das ist zu kurz gedacht, denn wenn das Rentenniveau auf Dauer höher ausfällt, profitieren später auch die heutigen Beitragszahler – sobald nämlich auch sie in Rente gehen. So zumindest argumentiert die SPD.

Bereits vor einigen Monaten stellten Ökonomen im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung eine komplizierte Rechnung für eine noch längere Haltelinie auf. Ergebnis: Über alle Jahrgänge von 1940 bis 2010 hinweg stieg die Rendite auf die eingezahlten Beiträge durch das höhere Rentenniveau. Etwas mehr bei den Boomern, aber auch die junge Generation profitierte unterm Strich.

Aktuell liegt die sogenannte implizite Rendite in der gesetzlichen Rente, die sich aus der Koppelung an die Lohn- und Gehaltsentwicklung ergibt, im Schnitt über alle Jahrgänge bei knapp 3,5 Prozent für Männer und knapp 3,9 bei Frauen (wegen der längeren Lebenserwartung).

6. Wie entwickeln sich Rentenbeitrag und Bundeszuschuss in den kommenden Jahren?

Ein Kernelement des Rentenpakets ist, dass die Haltelinie von 48 Prozent bis 2031 aus Steuermitteln finanziert wird. Das heißt aber nicht, dass die Rentenbeiträge nicht steigen. Denn die Haltelinie für den Beitragssatz von 20 Prozent wird nicht verlängert.

So steigt der Rentenbeitrag 2027 das erste Mal und erreicht 2028 bereits die 20-Prozent-Marke. Bis 2040 würde er, kommt es zu keinen weiteren Entlastungen, bei 21,4 Prozent liegen, unabhängig davon, ob das Rentenpaket kommt oder nicht. Auch der Bundeszuschuss wird in den kommenden Jahren massiv steigen, selbst ohne Reform.

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7. Welche Reformoptionen gibt es für die gesetzliche Rente noch?

Es gibt wenige Felder in der Politik, die sich so langfristig planen lassen wie die Altersvorsorge. Alle Faktoren sind lange bekannt, und im Prinzip gibt es nur wenige Stellschrauben, mit denen sich das Rentensystem in der Balance halten lässt.

Die erste Schraube sind die Einnahmen, also Steuern und Rentenbeiträge. Sie zu erhöhen und damit mehr Geld in die Rentenkasse zu holen, ist möglich, trifft aber auf Widerstände, derzeit in der Unionsfraktion, genauso auch bei Unternehmen und in der Wirtschaft. In die Kategorie "mehr Einnahmen" gehört auch die Idee, Selbstständige und/oder Beamte in die gesetzliche Rente einzubeziehen.

Die zweite Stellschraube sind die Ausgaben: Um die Jungen nicht zu überlasten, könnte man die Leistungen reduzieren. Auch dies ist unpopulär, die Bevölkerungsgruppe der Rentner und Bald-Rentner stellt heute schon fast ein Viertel der Gesamtbevölkerung.

Die dritte Stellschraube ist der Faktor Arbeit: Je länger wir arbeiten, desto stärker entlastet dies die Rentenversicherung, und zwar auf beiden Seiten: bei den Einnahmen, denn es werden länger Beiträge gezahlt, und bei den Ausgaben, weil sich die Bezugsdauer in der Rentenversicherung verkürzt. Über kurz oder lang führt kein Weg daran vorbei, das Rentenalter weiter zu erhöhen. Schon deshalb, weil auch die Lebenserwartung seit Jahren steigt.

Eine vierte Stellschraube könnte einen Ausgleich für geringere gesetzliche Renten bringen: Eine bessere kapitalgedeckte Vorsorge, privat organisiert oder auch staatlich wie in Schweden, könnte den aktuellen Reformstreit in der Union entschärfen. Das alte Riester-System ist gescheitert, es braucht dringend einen sinnvollen Ersatz. Auch hier könnte die Koalition Reformen anschieben und so den Unmut der jungen Abgeordneten besänftigen. Es hat in den vergangenen Jahrzehnten unzählige Reformkommissionen mit vielen Vorschlägen gegeben. Union und SPD müssen darauf bloß zurückgreifen. Dafür brauchen sie nur eines: Mut. 

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