Über 10 Milliarden Euro jährlich pumpen wir Steuerzahler in die Deutsche Bahn – dafür ist sie dann in 140 Ländern der Welt im Big Business tätig. Aber hierzulande ist die Bahn eine echte Zumutung: Die Züge fahren immer unpünktlicher, oft fahren sie gar nicht und manchmal sind sie ein Risiko für unser Leben.
"Der Auslöser, dieses Buch zu schreiben,war ein Lachanfall", schreibt Arno Luik in seinem Vorwort. Wir stellen die Neuerscheinung mit einem Auszugs des Kapitels "Der kleine Bahnhof" vor.
Es war im Januar 2018 auf der Fahrt von Königsbronn nach Ulm, auf der Brenztalstrecke. Beim Halt in der Kreisstadt Heidenheim krächzte es aus den Lautsprechern, der Zugchef meldete sich, um im breiten Schwäbisch dies zu sagen: "Sie haben es wahrscheinlich schon gemerkt, dass unsere Klos defekt sind. Ich weiß auch nicht, warum das so ist. Aber auf Gleis 3 steht ein Zug, dort funktionieren die Klos. Wenn Sie also unbedingt müssen – gehen Sie durch die Unterführung rüber, wir warten auf Sie!"
Es ist ja ein Volkssport geworden, über die Bahn zu spötteln, zu höhnen, zu lachen. Früher in der DDR spotteten die Bürger über ihre runtergekommene Reichsbahn so: Vier Feinde hat sie – Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Und das, genau das, gilt seit einigen Jahren auch für die Bahn AG.
Sie fährt – wie die DDR-Reichsbahn damals – heute auf Verschleiß. Und sie hat noch einen weiteren, einen überaus mächtigen Feind: die Bahnchefs. Aber dazu später.
"Zum Wohl der Allgemeinheit"
Laut Grundgesetz ist die Bahn ein besonderer Betrieb – sie hat einen klaren, einen grundgesetzlich vorgeschriebenen Auftrag: den Bürger mit einem günstigen Transportmittel zu versorgen. Jeden Bürger, egal wo. Die Bahn soll agieren "zum Wohl der Allgemeinheit", so steht es im Paragraf 87 des Grundgesetzes. Und sie soll – auch aus ökologischen Gründen – dafür sorgen, dass mehr Personen- und vor allem auch mehr Güterverkehr auf die Schienen kommt und runter von der Straße. So sagen es die Politiker seit Jahrzehnten.
Beides funktioniert nicht. Bei beidem versagt die Bahn. Es ist absurd, konstatierte die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung", "wenn ein Konzern, der zu 100 Prozent im Staatsbesitz ist, sich nicht um die Gesetze des Staats kümmert".
Die Deutsche Bahn hat sich verselbstständigt.
Sie ist – auch unter tätiger Mithilfe vieler Politiker – zu einem Staat im Staate geworden. Die Bahn macht, was sie will.
Nein, übrigens: Das ist keine Polemik.

Es stellen sich viele Fragen: Wie konnte es passieren, dass dieser Staatskonzern dermaßen aus dem Ruder läuft? Der jährlich weit über zehn Milliarden Euro an Steuergeldern bekommt – aber seinen Bürgern, den tatsächlichen Besitzern dieser Bahn, immer weniger bietet, schlimmer noch: sogar rücksichtslos ihnen gegenüber ist? Der aus Kostengründen an Bahnschranken spart – und so Tote in Kauf nimmt. Der aus Kostengründen auf Bahnsteigen Durchsagen einspart – und so Tote in Kauf nimmt.
Der, wie der Bundesrechnungshof im Januar 2019 scharf kritisierte, keines, aber auch wirklich keines der Ziele verwirklicht hat, die mit der Bahnreform 1993/94 (also mit der Abschaffung der Deutschen Bundesbahn) hätten verwirklicht werden sollen: etwa Ausbau und Erhalt des Schienennetzes, finanzielle Konsolidierung.
Ein Fall für die Gerichte
Der stattdessen in über 140 Ländern agiert, einfach so, keine Regierung hat ihn dazu beauftragt, aber dieser imperiale Größenwahn bringt den Bürgern hierzulande nichts – außer Zerfall und Ärger. Der ökonomisch so mies wirtschaftet, dass er, um den Verkehr irgendwie noch aufrechtzuerhalten, ständig nach mehr staatlichen Mitteln ruft. Und sie auch bekommt – ohne an der desaströsen Strategie etwas ändern zu müssen, die dazu geführt hat, dass der Konzern heute mit über 20 Milliarden Euro verschuldet ist. Im Grunde pleite ist.
Der aber seinen Chefs, Vorständen (und Aufsichtsräten) hohe Millionengehälter bezahlt, obwohl die seit Jahrzehnten unverantwortlich handeln und gegen das Aktienrecht verstoßen – eigentlich ein Fall für Gerichte.
Stattdessen darf dieser Konzern weiterhin – ungerührt und ungestraft – Milliarden Euro in so gigantische wie unnötige Großprojekte verschleudern, etwa in Stuttgart 21, in Münchens zweite Stammstrecke, in Hamburg-Diebsteich – alles unfassbar teure Megaprojekte, die den Verkehr behindern, die Reisenden ärgern, aber die Beton-, Stahlindustrie- und die Tunnelbohrmaschinenunternehmen erfreuen.
Ein Staatskonzern, der so konsequent wie frech das politisch-offizielle Mantra des Staats konterkariert, nach dem mehr Verkehr auf die Schiene soll – der seit Jahrzehnten Schienen rausreißt, Weichen abbaut, Bahnhöfe stilllegt, die Infrastruktur sträflich verkommen lässt, der, so muss man es leider sagen, sich im Autoland Deutschland, offenkundig sehr anstrengt, den Bahnverkehr zu behindern, nein, ihn auf Dauer zu zerstören.
Ist das in diesem Autoland ein Zufall?
Vielleicht.
Vielleicht aber auch nicht?
Und so muss dieses Buch mit Stuttgart beginnen, mit dem dortigen Bahn- und Immobilienprojekt Stuttgart 21. Einem milliardenschweren Mega-Unterfangen.
S21 ist längst zur Chiffre geworden für den strukturellen Irrsinn der Bahn: wie überehrgeizige Bahnmanager und ignorante Politiker sich ein unfassbar teures Denkmal setzen wollen. Auf Kosten des Bahnverkehrs. Auf Kosten der Bürger. Auf Kosten der Sicherheit. Auf Kosten der Umwelt.
Bei S21 findet sich alles, was den Bahnverkehr zerstört. S21 ist der Meilenstein im Niedergang der Bahn.
Wie konnte das alles bloß geschehen? Wie konnte die Bahn, Deutschlands größter Staatskonzern, bloß so verkommen?
Für dieses Bahndesaster gibt es Verantwortliche, gibt es Täter. Es ist Zeit, sich mit den Tätern anzulegen.