Vermisst wird der Seemann Martinez. Filipino, vermutlich. Ungeduldig rufen die Bordlautsprecher nach ihm. Fehlanzeige. Mit reichlich Verspätung löst sich das Schiff in Oranjestad vom Kai, gefolgt von Fregattvögeln. Die Signaltröte wummert. Noch eine Weile flimmern die Lichter der Insel Aruba an Backbord. Plötzlich rauscht ein Lotsenboot heran, geht längsseits, setzt den verlorenen Sailor über. Der hat die Abfahrtszeit vertüdelt, 19 Uhr mit 18 Uhr. Kann schon mal passieren auf einem Dampfer, der jeden Tag einen anderen Karibikhafen ansteuert? Ja, kann. Darf aber nicht. Anderntags, in der beliebten "nautischen Fragestunde" auf dem Pooldeck, wo Kapitän Dr. Ing. Friedhold Hoppert den verehrten Passagieren schon mal erklären muss, weshalb ein Schiff kein Kabelfernsehen hat, wird nach dem Grund der Verspätung gefragt. Der Kapitän umschifft das Thema elegant. Was er nicht sagt: Erstens wird dem Unglücksraben ein Dollar pro Minute vom Lohn abgezogen, macht 90 Grüne. Zweitens zahlt er den Bootstransfer, für den die Hafenbehörden von Aruba stolze 300 Dollar berechnen - exakt seine Monatsheuer. Drittens könnte ihm der Käpitän, müsste er Stoff geben, um die Verspätung einzufahren, auch noch die Diesel-Mehrkosten aufbrummen. Wahrscheinlicher ist, dass der Mann nicht mehr lange an Bord sein wird. Zu spät kommen, das ist auf einem Kreuzfahrtdampfer eine Todsünde. Selbst Passagieren bläst der Kapitän da ganz fürchterlich den Marsch. So ein Dickschiff ist ein logistisches Gesamtkunstwerk. Da greift alles ineinander, hat alles unerbittlich zu funktionieren. Gestatten: Traumschiff.
Sie - Schiffe sind grundsätzlich weiblich - heißt "A'Rosa Blu". 14 Decks hoch und 245 Meter lang, maximal 1596 Passagiere und 677 Besatzungsmitglieder, 70 000 Bruttoregistertonnen, dieselelektrischer Antrieb, 50 400 PS. Reisegeschwindigkeit 20 Knoten = 37 km/h. Die "A'Rosa" mit dem am Bug aufgemalten Rosen-Kussmaul klappert gerade die so genannten ABC-Inseln Aruba, Bonaire und Curacao ab. Kunterbunt bemalte Shoppingparadiese mit niederländischen Fassaden und karibischen Stränden. Kaum Armut, Kriminalität oder Krankheit - fröhliche Tropen. Nichts stört auf so einem Trip, außer vielleicht die Mitpassagiere. Doch davon später. Vorerst tigern wir mal wieder durch den Unterbau unserer Schönen - am dritten Tage immer noch verwirrt. Sie ist vielschichtig wie eine Hochzeitstorte, die weiße, schnittige Meeresbraut mit der auffallenden Denkerstirn über der Brücke. Die wichtigsten Futterplätze sind rasch geortet (Heck), ebenso die besten Tränken (Pooldeck/Schiffsmitte). Wo aber liegen das Kino, das Theater, die Internet-Corner, das Eiscafé? Wo ist das Edelrestaurant Rossini, in dem man für das Sechs-Gänge-Menü ein bisschen zuzahlen muss, aber wirklich nur ein bisschen? Wo sind die Bibliothek, die Confiserie Leysieffer, die Sushi-Bar? Warum traben wir, wenn wir aus dem Fahrstuhl treten, immer in die falsche Richtung? Dagmar Berghoff ist uns da weit voraus. Die "Tagesschau"-Ikone dreht an Bord Bausteine für die NDR-Endlosserie "Heimat in der Ferne". Sie war schon auf diversen Kreuzern, kennt die Strukturen gut. An der Blu-Bar erinnert sie sich bei Whiskey Sour, wie sie einst die noble "Hanseatic" getauft hat. Im Rock, natürlich! Und etwas Bein zeigend, selbst redend! Seeleute sind irre abergläubisch, weiß Frau Berghoff. Eindeutig weiblich muss die Patin sein. Würde ein männliches Wesen ein Schiff taufen, schiene Unheil unvermeidlich. "Schon seltsam, dass Iris Berben die "A'Rosa" im Hosenanzug getauft hat", sagt Frau Berghoff gedehnt. Medienladys! Zum Absacker an die Pool-Bar. Die Filipinos hinterm Tresen reden deutsch, zum Beispiel "sswei Radeberger". Das lernen sie in Kursen unter Deck. Die "A'Rosa", Heimathafen London, Reederei Seetours Rostock/Neu-Isenburg, ist bis über die Toppen auf Deutschsprak geflaggt. Das gehört zum Konzept. Marilou, unser Zimmermädchen, sagt "Guten Tag". Klingt vertraut. Pedro staubt morgens im Buena-Vista-Restaurant die Stühle und Tische mit einer schwarz-rot-goldenen Bürste ab. Heimat in der Ferne. Kapitän Hoppert, ein gebürtiger Thüringer, streift abends durch die Restaurants und gibt seinen Standardwitz zum Besten, wenn ihn einer danach fragt, wer denn das Schiff zurzeit steuere: "Die Friseuse. Die kennt sich mit Wellen aus." Wie gesagt, ein deutscher Dampfer.Seereisen sind die einzige Tourismussparte, die sich nach dem 11. September weltweit gut behauptet hat. Im Katastrophenjahr 2001 legten Hochseekreuzfahrten um 3,4 Prozent, Flussreisen gar um 15,5 Prozent zu, während andere Reiseformen teilweise spektakulär einbrachen. Bis 2006, so die Schätzung in einer Untersuchung der Deutschen Verkehrsbank, werde die Kreuzfahrtflotte auf den Weltmeeren um 18 Prozent wachsen. Bei der Bettenzahl soll das Plus sogar 35 Prozent betragen. Denn der Trend bei Neubauten geht zu XXXL. Zu schwimmenden Städten wie der "Navigator of the Seas", die Ende vergangenen Jahres von Steffi Graf in Miami getaufte wurde. 3800 Passagiere passen drauf. "Die Zielgruppe der Kreuzfahrer", so die Studie, "ist gegen Krisen resistenter als andere."
Warum? Zum Teil ist das pure Psychologie. Ein Schiff kommt Touristen paradoxerweise "erdgebunden" vor, wie Befragungen ergaben. Zu ihren Einschiffhäfen düsen die Keuzfahrer selbst in Krisenzeiten unverdrossen. Einmal an Bord, fühlen sie sich heimelig und geborgen. Längst vergessen die Entführung der "Achille Lauro" durch palästinensische Terroristen im Jahre 1985, bei der ein amerikanischer Passagier ermordet wurde. Für viele Törns muss man nur kurz oder gar nicht fliegen. Der Mittelmeerraum steht bei Deutschen ganz oben. Flussreisen auf Donau, Elbe, Rhein, Rhone oder Wolga sind ein boomender Nischenmarkt, dessen Klientel freilich oft in biblischem Alter steht. Ostsee-Cruises und die schon in der Nazi-Zeit populären Nordlandfahrten durch die Welt der Gletscher und Fjorde ("Kraft durch Freude") sind oft ausgebucht. Einzig die klassischen Nilfahrten, nach Anschlägen in Ägypten vor dem 11. September wieder der Renner, sind nur mehr schwer verkäuflich. Ein Irakkrieg würde ihr vorläufiges Aus bedeuten. Sicherheit ist Trumpf. Die Security-Abteilungen vieler Schiffe wurden verdoppelt. Jeder Gast wird vor dem Einschiffen digital abgelichtet, Bild und Passdaten im Bordcomputer gespeichert. Wer an Land geht oder zurückkehrt, muss sich mit einer Magnetkarte identifizieren, sein Handgepäck wie auf Flughäfen röntgen lassen. Die Brücke besichtigen? Aus Sicherheitsgründen nicht mehr möglich, heißt es. Den Offizieren kann das nur recht sein. Früher wurden Passagiere en masse durchgeschleust, und die dort Dienstschiebenden mussten sich den Mund fusselig reden. Wer mag, kann auf der "A'Rosa" durchgehend spachteln. Von den sieben Restaurants ist der California Grill rund um die Uhr offen. Dort lassen sich die Zeiten zwischen Frühstück, Mittagessen, nachmittäglicher Kaffee- & Kuchenschlacht und Abendessen überbrücken. Einzelne Paare und Kleingruppen nehmen nahezu permanent Nahrung auf, wie Kriegsheimkehrer. Die meisten speisen normal. Heißt auf einem Kreuzfahrer, sie vertilgen das Doppelte dessen, was ihr Körper abbauen könnte, würden sie sich etwas bewegen. Das Essen ist gigantisch, in Quantität, Qualität und Optik. Jeden Tag werden unter anderem 1000 Eier, 500 bis 600 Kilogramm Fleisch und Huhn sowie 170 bis 250 Kilo Meeresfrüchte aufgefahren. Pro Woche sind es 20 bis 25 Tonnen Lebensmittel, die gecatert werden müssen. "Wenn das Essen nicht stimmt, sind die Gäste unzufrieden", sagt Chefkoch Thomas Klug, "selbst wenn wir die schönsten und exotischsten Plätze anlaufen." Müsste bei den ungeheuren Mengen, die verfüttert werden und über die Kläranlage ins Meer gehen, das Schiff nicht allmählich leichter werden? Am Ende womöglich gar schneller? "Kaum", lacht Klug. "Was gegessen wird, reichert sich ja in den Gästen an." Ein Nullsummenspiel. Nach US-Untersuchungen legt der Absolvent einer "7NC"-Reise (Seven Nights Caribbean) im Durchschnitt zwischen drei und fünf Kilo zu. Deutsche Erhebungen stehen noch aus. Auf dieser Reise beträgt der Altersdurchschnitt der erwachsenen Passagiere 51 Jahre, hat die Schiffsleitung anhand der Pässe ermittelt. Für Kreuzfahrer ist das erstaunlich jung. Der Durchschnittspassagier hat erkennbares, wenn auch nicht dramatisches Übergewicht. Die Dicksten lagern ausgerechnet an den Pools, wo alle sie betrachten müssen. Dabei bietet der Fitness- und Wellness-Bereich der "A'Rosa" 1001 Möglichkeiten, nach Fressorgien wenigstens den Status quo zu halten. Doch das 1300 Quadratmeter große Spa über der Brücke, das opulenteste der Flottenwelt, zieht anscheinend die Falschen an. Trimm-Dich mit Blick auf den Atlantik machen ausgerechnet die, deren Körper ohnehin trainiert wirken. Rücken-Workout, Tai Chi, Qi Gong, Spin Cycle, Stretch & Relax oder einen Complete Body Workout buchen jene Gäste, die ganz gut beieinander sind. Wie im wahren Leben.
Abends ins Theater. 800 Plätze, komfortable Sitze, Top-Programm. 27 Künstler aus acht Nationen (vor allem aus den lohngünstigen des Ostens) geben eine furiose, erotisch aufgeladene Performance. Ufa-Schlagerrevue, Hollywood-Melodien, Las-Vegas-Evergreens. Das Programm wird wie die gesamte Bordunterhaltung von der Seetours-Tochter "SeeLive" konzipiert. So auch die "A'Rosa-Hymne" "Following my heart", die bei jedem Auslaufen über die Bordlautsprecher dröhnt. Der künstlerische Leiter von SeeLive, "Schmidts-Tivoli"-Gründer Corny Littmann, weilt zwecks Inspektion an Bord. "Selbst ich als Schwuler spüre, dass das Ganze ziemlich sexy rüberkommt", freut sich der St.-Pauli-Sanierer. Stimmt.Die ukrainischen Tänzerinnen mit fleischfarbenen Bodys unter Glockenröckchen sind irgendwie beunruhigend. Zum Glück hat uns die Theater-Bardame den Gin-Tonic großzügig eingeschenkt. Die Gedanken driften zu Dagmar Berghoff. Schön war die Zeit. Wie es auf einem Traumschiff zugeht, wissen wir dank Wolfgang Rademann. 42 Folgen der TV-Soap, die im ZDF teils ozeanische Quoten erzielten, hat der Erfolgsbolzen seit 1981 produziert, größtenteils auf Dampfern des Neustädter Traditions-Reeders Peter Deilmann. Lange Jahre auf dessen eher mittelprächtiger "Berlin", inzwischen auf der eleganteren "Deutschland". Rademanns Rezept: "Bei mir wird nicht vergewaltigt, nicht gemordet, nicht groß Scheiße jebrüllt." Stattdessen sinken Menschen in feinem Zwirn einander vor flammenden Sonnenuntergängen in die Arme, und am Ende gibt's immer Eisbombe mit Wunderkerzen. Die Keuzfahrtbranche müsste dem Träumefabrikanten die Füße küssen, oder? Nicht ganz. Die Serie, sagt Seetours-Vizepräsident Richard Vogel, habe allein die Deilmann-Reederei beflügelt. Der Branche habe sie nichts genützt, im Gegenteil. Das verstaubte "Schrankkoffer-Image" der Kreuzfahrt sei durch sie noch zementiert worden - die landläufige Vorstellung vom dauernden Aufbrezeln, von starren Essenszeiten, strengen Tischordnungen und quälendem Small Talk mit reichen alten Langweilern. Über das Thema gab es Zoff zwischen Seetours und Deilmann. Der Neustädter, eine skurrile Persönlichkeit, legt sich mit jedem an, der seine Schiffe (sämtlich unter deutscher Flagge laufend) nicht ganz so lieb hat wie er selbst.Seetours, eine Tochter der britischen P & O Princess Cruises, hat mit dem 1996 in Dienst gestellten Clubschiff "Aida" erstmals das Freestyle-Cruising der Amerikaner auf den deutschen Markt übertragen. Kernpunkte sind ein lockerer Dresscode, Essen, wo und wann man will, keine Sitzordnung, viel Sport, Animation und Hully-Gully - alles wie im Club an Land. Ferner wöchentliche Reisezyklen und die leichte Erreichbarkeit der Häfen mit Charterfliegern - kurz, die gute alte Pauschalreise, nur seewärts verfrachtet. Seetours meidet das Wort Kreuzfahrt, redet von "Urlaub auf dem Wasser". Ein völlig neues Publikum habe man generiert, so die Reederei - jüngere "First Hand Cruiser", die nie eine konventionelle Kreuzfahrt gebucht hätten. Der Erfolg des Fun-Kreuzers - 70 Prozent der Deutschen kennen sein Kussmund-Logo - ließ die Reederei zwei Schwesterschiffe nachlegen. Mit der "A'Rosa" zielt man nun auf eine Gruppe, die altersmäßig und sozial zwischen der Aida-Rasselbande und den "bürgerlichen" Kreuzfahrern liegen soll.Das deutsche Ambiente der Schiffe sei ein Wettbewerbsvorteil, findet Vogel, der auch im Vorstand des Deutschen Reisebüroverbandes DRV sitzt. "Es gibt zum Beispiel keinen internationalen Humor", sagt der smarte Manager. "Sie können nicht eine Woche lang fünf Nationen zugleich unterhalten." Auch Psycho-Seminare oder Piraten-Vorträge, an Bord firmiert so etwas unter "Edutainment", könne man schwerlich mehrsprachig veranstalten. Die Völker, so weiß die Reisebranche, mischen sich im Urlaub ungern, an Land wie auf dem Wasser. Deutsche fühlen sich im eigenen Kral auf mysteriöse Weise sicherer vor Durchfall, Herzschlag und Terrorismus. Wie zitiert Alleinunterhalter Rudy beim Schmunzellyrikabend in der Blu-Bar so trefflich: "Man sieht die Welt und ist daheim." Eugen Roth - oder Ringelnatz? Kästner?
Deutsch sein heisst auch, eine Liege um ihrer selbst willen zu besetzen. Obzwar die "A'Rosa" keineswegs ausgebucht ist, bombardieren Frühaufsteher die blauen Sonnengrills flächendeckend mit gelben Badetüchern. In der Bordzeitung wird immer wieder "eindringlichst", aber vergebens gebeten, solches Tun zu unterlassen. Hotelmanager Axel Sorger und seine Leute arbeiten an Gegenstrategien. Erwogen wurde schon, das Problem satirisch im Theater oder Bordfernsehen anzuschneiden.Aber Vorsicht! Manche Gäste fühlen sich schnell angefasst, zum Beispiel, wenn man zart andeutet, dass sie vielleicht nicht schweißtriefend und in Badelatschen zum Büfett schreiten sollten. Also, künftig kann sich nicht mehr jedermann unbegrenzt Badetücher von einem Stapel holen, um seinem Besatzerhandwerk zu frönen. Ein frisch bestallter Lakenwart aus Manila wird gebrauchte gegen frische Tücher tauschen - das werde Besserung schaffen. Hofft man, natürlich abermals vergebens. Die Leute werden einfach andere territoriale Hoheitszeichen auf den Liegen postieren - Sonnencremetuben, Utta-Danella-Paperbacks oder zerfledderte Focus-Money-Hefte. Und dann und wann einen Scholl-Latour.Blick von der Brücke. Friedhold Hoppert sieht nicht ganz so kapitänig aus wie Traumschiff-Skipper Fred Paulsen alias Siegfried Rauch. Er ähnelt eher dessen Vorgänger Heinz Weiss. Aber ein Klasse-Seemann ist er. Und Storys aus seiner Fahrenszeit als Frachtschipper kann er erzählen! Von Piraten im südchinesischen Meer, die ein Stahlseil zwischen zwei Boote spannen und sich vom Tropfenbug des Frachters quasi unterhaken und gegen die Schiffswand drücken lassen. Dann die Enterhaken hoch und Messer raus. "Wir haben unser Schiff nachts rundum ausgeleuchtet", erzählt Hoppert. "Freilich, wenn Nebel aufkam..." Gehört zum Job des Kapteins, gute Döntjes auf Lager zu haben. Landgang auf Bonaire. Wir bummeln durch das Städtchen Kralendijk. Organisierte Landausflüge, wie sie der Buchungsschalter offeriert, sind zumeist überteuert, immer aber Marke 08/15. In Athen besucht man die Akropolis, auf Curacao die Likörfabrik. Routiniers verraten uns ihre Strategie: einen Packen Reiseführer mitnehmen und auf eigene Faust sightseen, per Leihwagen oder Taxi. Ändert aber auch nichts daran, dass man schon nach einer Woche alles durcheinander bringt. Jeden Tag ein neuer Hafen. Welcher Kopf kann das sortieren?An Land einen Pförtner vom Hamburger Verlagshaus getroffen. Fährt mit seiner Frau auf der "A'Rosa" den Zwei-Wochen-Törn doppelt. Nicht langweilig, alle Häfen zweimal zu besuchen? "I wo" sagt er. "Das erste Mal gehen wir nach links, das zweite nach rechts." Ein geborener Kreuzfahrer.Der Trend zum Dickdampfer ist manchem ein Graus. An Bord erreicht uns die Hass-Mail eines Bekannten, der auf den Kleinen Antillen individuelle Segelkreuzfahrten organisiert. Auszug: "Habt ihr schon einmal erlebt, wie das ist, wenn sich aus einer schwimmenden Blechburg 3000 weißbesockte Sandalenträger über eine Insel wie Grenada oder Tobago ergießen? Der Boom im Kreuzfahrttourismus ist eine der schlimmsten Entwicklungen für die Karibik..." Wir lesen geschockt von dröhnendem Jet-Ski-Terror an den Stränden, stinkenden Autobuskonvois, Rummel, Ramsch und Abfallbergen. Zum Schluss der Knockout: "Erhebungen in Grenada haben ergeben, dass jeder Kreuzfahrer im Schnitt ganze fünf Dollar auf der Insel lässt." Rasch zurück zum Boot. Man kriegt ja Schuldgefühle! Die Margaritas an der Blu-Bar helfen drüber weg.
Tresendiskussion: Wann ist ein Schiff ein Schiff? Die "A'Rosa", 1990 in Italien gebaut, fuhr lange für die Amerikaner. Vor einem Jahr wurde sie komplett umgebaut und auf Deutsch getrimmt. Das Spielcasino verkleinert, das Theater vergrößert, die Restaurants aufgefächert. Ihre Standardkabinen sind mit 17,5 Quadratmetern nach heutigen Maßstäben relativ klein, und die meisten davon haben keinen Balkon. Sie besitzt noch herkömmliche Schiffsschrauben, so genannte Festpropeller, und ein altmodisches Ruder. Neue Schiffe werden immer öfter mit vibrationsarmem Azipod-Antrieb ausgerüstet. Ruder brauchen sie nicht mehr. Die "A'Rosa" dagegen sendet bei schneller Fahrt spürbare Signale ihres Schiff-Seins aus. Bei höherem Wellengang rollt sie ein bisschen, trotz der Stabilisatoren. Wiegt uns in den Schlaf, wenn wir vom "Hüttenabend" aus dem Heavens-Club kommen, wo Filipinos in krachledernen Hosen Paulanerbier zapfen. Wie im Wasserbett fühlen wir uns. Dazu knarzt es leise aus den Holzverkleidungen. Urgemütlich!Über die Preise findet ein Schiff sein Publikum. Sie werden in Tagesraten angegeben, damit man eine Vorstellung kriegt, was auf einen finanziell zukommt. Ein "A'Rosa"-Tag kostet zum Beispiel 160 bis 180 Euro pro Person in der Standardkabine. Trinkgeld eingeschlossen, allerdings ist es üblich, am Ende der Reise etwas Geld im Umschlag zu hinterlassen. Auf Hapag-Lloyds Flaggschiff "Europa", laut Berlitz-Kreuzfahrtführer das beste Schiff der Welt, liegt die Tagesrate bei 500 Euro. Dort werden auch weitaus üppigere Trinkgelder erwartet als auf bescheideneren Dampfern, und die Nebenkosten erreichen leicht das Doppelte oder Dreifache. Sogar auf den Massencruisern der Amerikaner sind Tips von mindestens 25 Dollar am Tag obligatorisch. Wer einfach nur ein Meer-Erlebnis sucht, ist auf Frachtern preiswert aufgehoben. Spezialagenturen wie Hamburg-Süd vermitteln Passagen von einer Woche bis sechs Monaten Dauer, zum Beispiel auf Containerriesen. Die Kabinen sind sehr geräumig, gegessen wird in der Offiziersmesse. Wer eine Frachterreise tut, kann wirklich was erzählen. Die Schiffe laufen oft spannende, untouristische Häfen an. Doch ergeben sich von Fahrt zu Fahrt Unterschiede, die kaum kalkulierbar sind. Eine Reise auf der "Hornbay" in die Karibik mit einer netten baltischen Crew ist ein Genuss. Der Brasilientrip auf der "Comship Spirit" gerät zur Tortur, wenn ein mecklenburgischer Muffelpott von Kapitän an Bord ist, wie's ein Passagier erleben musste.Die im Dunkeln sieht man doch - manchmal. Wer im Hades der "A'Rosa" wirkt, in den für Passagieraugen unsichtbaren Gängen und Trakten und Lastenaufzügen, kann ab und zu eine "Leisure card" beantragen. Damit darf er sich nach Dienstschluss in Zivilkleidung unter die Passagiere mischen. Auf dass sein soziales Leben nicht in den Mannschafts-Reservaten hinter dem Schornstein, auf dem Vordeck oder an der Crewbar verkümmert. Die Schiffsführung erwähnt das nicht ohne Stolz. Niedere Chargen bemäkeln aber, immer dieselben rissen sich die begehrten Ereigniskarten unter den Nagel. So die Rezi-Leute (Rezeption), die ohnehin genug Passagierkontakte hätten. 100 Mann arbeiten allein im Küchen- und Servierbereich. Die Gerüchteküche dampft auch ganz hübsch. Wie heißt noch gleich der Hahn im Wellness-Korb, von dessen Präsenz manche Damen ihre Buchung abhängig machen ("Der schließt bei Massagen immer von innen ab...")? Bei welcher bildhübschen Samariterin haben sich schon alle mal die Zähne ausgebissen, bis auf diesen Sowieso? Ist wirklich wahr, dass es in den Mannschaftsbereichen Sex gegen...? "Werden Sie hier bloß nie krank", rät uns einer von der Crew fröhlich. Wie? Ist die Krankenstation mit ihren zwei Fachärzten und zwei Schwestern denn nicht vorbildlich aufgestellt? Moderner ausgestattet als das Zentralkrankenhaus von Havanna? "Schon", sagt der Seemann. "Aber wenn Sie die Rechnung kriegen, fallen Sie tot um." Ortstermin im Karbolbereich. Doc Harry Richt (Chirurgie) und Doc Christian Leimbrock (Inneres) stehen für alle Fälle bereit, assistiert von Schwester Tanja (gekräuselt blond) und Schwester Kathrin (glattblond). Sechs Betten plus ein Intensivbett, alles nur erdenkliche medizinische High Tech, Notfallpacks, Beatmungsgeräte. Rund 20 Patienten pro Sprechstunde, Wehwehchen quer durch den Garten. Seltsam, an den Verdauungsorganen ist wenig zu kurieren. Offenbar besitzen Kreuzfahrer wahre Kuhmägen.Betagte Passagiere geben den Ärzten zu Beginn der Reise schon mal Patientenverfügungen, des Inhalts, sie nach vier Minuten Herzstillstand nicht zu reanimieren. Manche wünschen sich eine Seebestattung. Rechtlich etwas schwierig. Wer auf Ewige Kreuzfahrt geht, wird in einem der beiden geräumigen Kältesärge auf der Krankenstation zwischengelagert. Und wenn mehr als zwei Hugos* anfallen, wie Urlauberleichen im Tourismusgeschäft heißen? "Es gibt genügend Kühlmöglichkeiten im Food-Bereich", sagt Doc Richt. Ärzte haben Humor. Die erste Kreuzfahrt der Welt ging von deutschem Boden aus. Lustfahrt nannte man das damals, ohne Unterton. 241 Passagiere stiegen im Januar 1891 in Cuxhaven an Bord des Luxus-Schnelldampfers "Augusta Victoria". Ziel: das östliche Mittelmeer. Man legte in Alexandria, Kairo, Jaffa, Jerusalem, Beirut und Damaskus an, ließ sich in Basaren übers Ohr hauen, aß wie ein Scheunendrescher, trank wie ein Bauarbeiter, spielte Karten, lästerte über Mitreisende, las Schicksalsromane. Und immer wieder Landgang. Schnell verloren die Kreuzfahrtpioniere den Überblick. Auf der Akropolis, notierte ein Tagebuchschreiber, habe ihn eine verwirrte Dame gefragt: "Wo sind wir eigentlich?" Klingt ziemlich aktuell.Mitarbeit: Elfriede Roth* Heute unerwartet gestorbenes Objekt.