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Uruguay Montevideo: Wo Apotheken sogar Dope verkaufen – ganz legal

Montevideo, die Hauptstadt Uruguays mit 1,3 Millionen Einwohnern liegt am Wasser 
Montevideo, die Hauptstadt Uruguays mit 1,3 Millionen Einwohnern liegt am Wasser 
Montevideo zieht Ruhesucher und Entdecker an: Die Kapitale Uruguays zeigt sich Südamerika von ihrer liberalen Seite. Nicht nur Abtreibung und Homo-Ehe sind hier legalisiert. Dann ist da noch dieser ganz besondere Duft.

Montevideo sei so etwas wie die kleine Schwester von Buenos Aires, sagen sie drüben in Argentinien gern. Ähnliche Architektur, ähnliche Kultur, aber beschaulicher, langweiliger. Eine Kleinstadt eben, ein Städtchen. Und dann kommt man an, nach drei Stunden Bootsfahrt auf dem Río de la Plata, und tatsächlich gibt es eine Menge Tango und Matetee und Fußballliebe und Dulce de Leche und riesige Steaks und ein paar alte Gauchos wie beim großen Nachbarn.

Und es gibt guten Wein wie in Argentinien, aber der wächst sogar an den Hängen der Stadt. Und es gibt viele grüne Plätze und ein paar Hügel und Karneval und schöne Badestrände und eine kurvige Küstenpromenade, die Rambla. Denn anders als Buenos Aires ist Montevideo eine Stadt, die aus ihrer Nähe zum Wasser etwas gemacht hat.

Und dann dieser Duft. Mal süßlich, mal herb. Joints. Marihuana. Überall. "Ganz legal", sagt Florencia De Armas. "Jeder Bürger darf Cannabis anbauen. Es ernten. Es konsumieren. Sogar Apotheken verkaufen Dope. Auch das macht Montevideo für Touristen so reizvoll, obwohl sie als Ausländer Cannabis offiziell nicht kaufen dürfen."

Marihuana-Tours durch Montevideo

Florencia, 26, steht auf der Plaza Independencia, dem zentralen Platz Montevideos, dominiert vom riesigen Mausoleum José Artigas, Uruguays Nationalhelden, der schon 1830 die Sklaverei abschaffte, lange vor Brasilien (1888) und den USA (1865). Um sie herum rauchen Bürger Joints in diversen Formen und Stärken.

Der Salvo-Palast von oben und die Plaza Independencia
Der Salvo-Palast von oben und die Plaza Independencia
© Getty Images

In den Seitenstraßen der Innenstadt haben zahlreiche Geschäfte mit Hanfprodukten, Hanfdünger, Hanfsamen aufgemacht, sogar mit Hanf-Smoothies und Cannabis-Gerichten. Tourismusbüros bieten "Marihuana-Tours" an. "Das ist unsere letzte große Errungenschaft", erklärt Florencia. "Als erstes Land der Welt haben wir vor fünf Jahren Marihuana legalisiert."

Florencia macht eine politische Tour, sie führt zu den Stätten des Liberalismus in Uruguay, dem kleinsten und fortschrittlichsten Land auf dem südamerikanischen Kontinent. Sie hat sowohl in Buenos Aires gelebt als auch in Montevideo. Sie ist sowohl Soziologin als auch Tourguide. Sie trägt hellblaue Jeans, ein himmelblaues T-Shirt, himmelblaue Turnschuhe, die Nationalfarbe.

Staatspräsident Pepe Mujica fuhr VW Käfer

Gleich an der Plaza Independencia führt sie zum Präsidentenpalast, einem schlichten, funktionalen Bau aus den 60er Jahren, zu dem der ehemalige Staatspräsident Pepe Mujica immer mit seinem uralten VW Käfer und Sandalen anreiste. Mujica war es, der 2012 das Abtreibungsverbot kippte und die Homo-Ehe durchsetzte. "Diese Kombination – die Legalisierung von Abtreibung, Homo-Ehe und Cannabis – gibt es sonst nirgends in Lateinamerika", sagt Florencia.

Etwas weiter liegt der Parque Batlle, benannt nach Präsident Batlle y Ordónez, noch so ein Reformer, der schon früh im 20. Jahrhundert Staat und Kirche trennte, Arbeiterschutz gewährte, das Scheidungsrecht für Frauen einführte und auch das Frauenwahlrecht.

"In alldem sind wir Argentinien weit voraus", sagt Florencia stolz. Das Konkurrenzdenken dringt auch bei ihr durch. Uruguay sei zudem sicherer, stabiler, freundlicher, weniger korrupt, weniger neurotisch, sagt sie – und es ist so: Wer den Glauben an Südamerika nicht verlieren will, inmitten all der Nachrichten von Gewalt, Krisen und Korruption, ist hier ganz richtig.

Treiben lassen

Florencia schlendert durch die Altstadt aus neoklassizistischen Gebäuden. Hinter jeder Hausecke schimmert in der Ferne der Río de la Plata, der endlos scheint wie das Meer. Sie führt durch die angesagten Teile der Stadt, wo alles ein bisschen wie Brooklyn aussieht – Bärte, Schriften, Cafés, vegane Restaurants, Schallplattenläden. Aber das Tempo ist hier anders, ruhiger. Sie passiert viele grüne Plätze, die zum Lesen einladen. Museen, deren Eintritt kostenlos ist. Vorbei an Werken des Künstlers Joaquín Torres-García, die den Globus umgekehrt zeigen: die Südhalbkugel oben. Argentinien und Chile an der Spitze und gleich darunter schon Uruguay.

Die Playa de los Pocitos ist eine der schönsten Buchten Montevideos
Die Playa de los Pocitos ist eine der schönsten Buchten Montevideos
© Getty Images

Es ist Ausdruck des Selbstbewusstseins Uruguays, dieses "Flusses der Vögel", wie es in der Sprache der Ureinwohner heißt, der Guaraní. Das Land, in dem 3,4 Millionen Menschen leben, ist halb so groß wie Deutschland, wird aber von seinen Nachbarn gern ignoriert. Argentinier kommen höchstens für die schönen Strände, die sie selbst nicht haben, und um Geld anzulegen, das zu Hause von der Inflation gefressen wird. Brasilianer kommen, um Skandalen zu entfliehen oder dem Trubel in der Heimat. Touristen besuchen gern Haciendas für das alte Gaucho-Leben und die Stadt Colonia, Unesco-Welterbe, sowie Punta del Este am Atlantik, wo Uruguay wie Miami oder Nizza sein will. Vor allem besuchen sie Montevideo.

Mehr WM-Titel als Spanien

Die Hauptstadt eignet sich wunderbar zum Schlendern und Entdecken. An vielen Stellen trifft man auf Reformer und Pioniere, etwa im Café Brasilero, wo der Schriftsteller Eduardo Galeano sein Hauptwerk "Die offenen Adern Lateinamerikas" schrieb.

Grillkunst: Fleisch in Hafenmarkt von Montevideo
Grillkunst: Fleisch in Hafenmarkt von Montevideo
© Getty Images

Oder man kommt am monumentalen Estadio Centenario vorbei, wo 1930 die erste Fußballweltmeisterschaft stattfand, die Uruguay gleich gewann (4:2 gegen Argentinien). Jeder hier verweist darauf, dass das kleine Uruguay bisher so viele WM-Titel gewonnen hat wie das große Argentinien, nämlich zwei, und sogar einen mehr als die Eroberernation Spanien.

Mit eben diesem Selbstbewusstsein einer liberalen Uruguayerin bleibt Florencia zum Schluss andächtig vor der Kathedrale stehen. Aber sie betet nicht. Sie sagt stolz: "Wir hatten schon früh die Trennung von Staat und Kirche. Kruzifixe wurden aus staatlichen Schulen und Krankenhäusern verbannt. Heute gibt es genauso viele Agnostiker und Atheisten wie Katholiken – wie in keinem anderen südamerikanischen Land."

Warum, glaubt sie, ist das so? Sie sagt: "Wem es gut geht, wie uns in Uruguay, der braucht nicht so viel Gott."

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