1. Bundesliga Ein Spiel für Taktikfreunde - Borussia Dortmund - Bayern München 1 -0

"Leidenschaft"? "Siegeswillen"? In unserer Taktikanalyse erfahren Sie statt solcher Phrasen, warum Bayern eigentlich nicht hätte verlieren dürfen, wie wichtig Jürgen Klopps Doppelwechsel war und wie Dortmund spielt, wenn es nicht wie Dortmund spielt.

Zum vierten Mal in Folge hat Borussia Dortmund den FC Bayern besiegt. Die klar bessere Mannschaft war der BVB dabei über 90 Minuten nicht. Aber nach vier Siegen in Folge ist Zufall keine besonders plausible Erklärung für die Unfähigkeit der Münchner, ihren Rivalen zu besiegen. Beim Vergleichen verschiedener Liveticker sind uns die üblichen Erklärungen, die in Deutschland dafür herhalten müssen, zu verstehen, warum eine Mannschaft die Oberhand in einem Spiel hat, wieder begegnet: "Bayern fehlt der letzte Wille", "Dortmund zeigt zu wenig Laufbereitschaft" etc.

Nicht wenige Fans und Journalisten denken bekanntlich, Fußballspiele würden hauptsächlich "im Kopf entschieden" - und meinen damit nicht einmal Spielintelligenz oder die Fähigkeit von Profis, taktische Konzepte umzusetzen, sondern die berüchtigte "Leidenschaft", die scheinbar mal da ist, mal weniger. Warum aber irgendein Profi, der vor über 80.000 Zuschauern im Topspiel des Bundesligajahres aufläuft, Probleme mit der Motivation haben sollte, ist uns unklar.

Deshalb haben wir ein paar Beobachtungen zum Spiel zusammengetragen, in denen es um vieles geht - aber garantiert nicht um Siegeswillen oder den Charakter der Spieler.

1) Dortmund spielte kein reines 4-2-3-1, sondern oft eher ein 4-4-1-1 oder gar 4-4-2

Ein zentrales Merkmal des Dortmunder Offensivspiels ist normalerweise das flexible Positionsspiel von Shinji Kagawa hinter der einzigen Spitze (neben den überlappenden Läufen der Außenverteidiger, besonders über die rechte Seite). Gegen Bayern aber ordnete sich der Japaner bei gegnerischem Ballbesitz nicht im Mittelfeld ein, sondern operierte als hängende Spitze neben oder schräg hinter Robert Lewandowski.

Das hatte zur Folge, dass Bayern im zentralen Mittelfeld oft numerische Überlegenheit auf den Platz brachte. Ein Problem, das Dortmunds Spielplan aber nicht schadete, solange die Außen gut gegen Franck Ribéry und Arjen Robben doppelten und die Innenverteidigung verhinderte, dass Mario Gomez a) Kopfballduelle gewann oder b) Platz hinter der Abwehr fand.

2) Bayern gewann im Verlaufe des Spiels die Oberhand im zentralen Mittelfeld

Bayern hatte mehr Ballbesitz, je länger das Spiel voranschritt. Da Mario Gomez ein großes Pensum im Spiel gegen den Ball leistete und immer sofort auf Mats Hummels draufging, sobald der den Ball führte, hatte der BVB Schwierigkeiten, durch die Zentrale hindurch kontrolliert Angriffe zu initiieren. Luiz Gustavo machte ein exzellentes Spiel gegen Shinji Kagawa, und Ilkay Gündogan musste sich tief fallen lassen, um von Hummels angespielt werden zu können.

Die Gefahr schneller Ballstafetten war so reduziert, und nach der guten Dortmunder Anfangsphase gelang es dem BVB kaum noch, seine typischen Dreiecke einzusetzen, bei denen der ballführende Spieler immer zwei Anspielstationen hat und mit einer Ballberührung weiterleiten kann. Vielmehr operierte Dortmund ungewöhnlich oft mit langen, hohen Bällen nach vorne, fast wie in einem altertümlichen Premier League-Spiel.

Das hätte im Idealfall dazu führen sollen, dass Lewandowski die Bälle per Kopf ablegt auf Kagawa, der dann die steil durchstartenden Mitspieler aus dem defensiven Mittelfeld oder diagonale Läufe von den Außenbahnen bedienen sollte. Doch gerade in der zweiten Halbzeit musste Lewandowski oft den Ball erst einmal halten und auf nachrückende Anspielstationen warten. Das leistete er sehr gut, und es ist auch im Prinzip nichts Negatives an dieser Spielweise. Es ist aber nicht das klassische Spiel des BVB.

Das lag neben einer etwas vorsichtigeren BVB-Spielweise nicht zuletzt am sehr guten Spiel von Franck Ribéry, der defensiv wie offensiv im Zusammenspiel mit David Alaba glänzte. Warum bloß verlor Bayern dann ein Spiel, in dem so vieles grundsätzlich nach Wunsch lief?

3) Jürgen Klopps Doppelwechsel war ein kleiner, aber feiner Beitrag zum Sieg

Im Nachhinein ist die Versuchung bei einem Sieg in einem Spitzenspiel immer groß, zu erklären, was der Sieger alles richtig gemacht hat und wo der Verlierer versagt hat. Dabei hat Bayern gar nicht so viel falsch gemacht. Einen Elfmeter zu verschießen und den Ball aus fünf Metern übers leere Tor zu heben hat nichts mit falscher Taktik zu tun.

Zumindest für ein Unentschieden tat Bayern eigentlich genug. Aber der Wechsel, den Jürgen Klopp in der 74. Minute vornahm, änderte die Optionen des BVB ganz leicht, aber entscheidend - zugegebenermaßen nur in einer einzigen Szene. Aber diese reichte indirekt aus. Moritz Leitner kam faktisch positionsgleich für Ilkay Gündogan und Ivan Perisic für Kagawa. Der traditionell linklastige Perisic bot jedoch auch die Option, die linke Außenbahn zu überladen, auf der Arjen Robben nicht so diszipliniert mit nach hinten arbeitete wie auf der anderen Seite Ribéry.

Dass Bayern zunächst davon ausging, Perisic werde eins zu eins die Kagawa-Rolle fortsetzen, zeigte sich daran, dass Luiz Gustavo ihn gleich übernahm. Doch nur zwei Minuten nach der Einwechslung tauchte Perisic auf einmal links an der Seitenauslinie auf, wo Schmelzer sich im offenen Spiel nur selten nach vorne traute, und bot sich Kevin Großkreutz als Anspielstation an. Aus dieser plötzlichen Überzahlsituation auf der Seite entstand der Doppelpass, der zur Ecke vor dem 1:0 führte.

4) Das mangelnde Tempo nützte Bayern nur defensiv

Nach einer eher schnelleren Anfangsphase wurde das durchweg gute Bundesligaspiel nicht mehr auf all zu hohem Tempo gespielt. Das hätte den Gästen eher zugute kommen sollen als dem BVB. So entsprach das Spiel grundsätzlich eher dem Fußball, den Bayern gewohnt ist. Doch das erzeugte mehr eine Pattsituation als einen messbaren offensiven Vorteil für die Münchner, die nicht zum ersten Mal in dieser Saison gegen eine gut verschiebende Defensive kaum Torchancen herauszuspielen wussten.

Defensiv jedoch erfüllte die Taktik ihren Zweck, denn als Kettenreaktion von Gomez' Stören gegen Hummels (ein Aspekt des Spiels, der in den teils harschen Kritiken der Leistung des Stürmers zu wenig gewürdigt wird) und Luiz Gustavos Fast-Manndeckung gegen Kagawa wurde es Dortmund verunmöglicht, viele Spieler in Positionen zu bringen, aus denen sie überfallartig ausschwärmen konnten um in klassischer BVB-Manier urplötzlich vier Anspielstationen im Strafraum platziert zu haben, bevor der Gegner gemerkt hat, dass er nicht mehr im Ballbesitz ist. Diese Szenen gab es nur in der Anfangsviertelstunde, danach stand Dortmund zu tief, um so umzuschalten und kam vor allem nach Standards zu Torchancen (zweimal durch den zweiten Ball).

5) Dortmund hat einen Plan B - Bayern nicht

Wir hatten oben schon betont, dass es Bayern gelungen ist, Dortmund von seiner gewohnten Spielweise abzuhalten. Das hätte auch zu einem Unentschieden oder gar einem Sieg der Münchner führen können. Doch es kann nicht übersehen werden, wie sicher der BVB defensiv im Mannschaftsgefüge stand und nach der furiosen Startphase damit zufrieden war, nicht mehr von vorne weg zu pressen (anfangs gingen Kevin Großkreutz und Kuba immer schon direkt auf die Außenverteidiger und zwangen diese zu Quer- oder Rückpässen), sondern als kompakteres Gefüge in der eigenen Hälte auf die Münchner zu warten.

Das konnte Dortmund in der Gewissheit tun, dass a) ein Unentschieden ein akzeptableres Ergebnis für den BVB als für die Gäste gewesen wäre und b) Bayern wenige Alternativen im Spiel hatte, um die Schwarzgelben zu überraschen. Schön und gut, dass Robben, Ribéry und Thomas Müller ständig die Positionen tauschten. Aber ausgeklügelte Laufwege der ganzen Offensive über die Breite des Feldes gingen damit meistens nicht einher. Vielmehr wirkte Müller über weite Strecken so, als bestünde seine Hauptaufgabe darin, den Platz frei zu machen, den einer der beiden Außenbahnspieler in der Mitte gerade einnehmen wollte.

Das Tolle am Dortmunder Spiel ist ja oft das Zusammenwirken der Einzelteile. Immer wieder hat man das Gefühl, dass jeder weiß, wie alle seine Mitspieler laufen werden, und das unmittelbar nach einer veränderten Spielsituation, die gedankenschnell erfasst und ausgenutzt wird. Bei Bayern hat man dieses Gefühl selten, meistens laufen immer nur die ballnächsten ein oder zwei Spieler sich in Position. Dank der individuellen Klasse der Spieler reicht das in den meisten Spielen ja schon. Und auch in Dortmund hätten ein, zwei Einzelaktionen von Ribéry mit etwas Glück zu Toren führen können.

Aber eine wirklich verlässliche Alternative zur gewohnten Spielweise, auf die man zurückgreifen könnte, wenn es mal nicht so gut läuft, scheint Bayern nicht zu kennen. Es mag an der mangelnden Flexibilität der Stars liegen, vor allem aber legt es einen Schluss nahe: Borussia Dortmund hat einfach den besseren Trainer.

Daniel Raecke

sportal
sportal.de

PRODUKTE & TIPPS