Die Verlierer wurden von den Fans mit reichlich Pfiffen in die Winterpause geschickt - die Gewinner saßen zu Hause vor dem Fernseher. Nach dem misslungenen Länderspiel-Abschluss 2008 mit der hochverdienten 1:2-Niederlage im Klassiker gegen England durften sich nur die deutschen Fußball-Nationalspieler freuen, die nicht dabei waren.
"Gerade in so einem Spiel sind die Klasse und Erfahrung dieser Spieler sehr hilfreich", redete Teammanager Oliver Bierhoff nicht um den heißen Brei herum. Ohne Führungskräfte wie Michael Ballack, Philipp Lahm und möglicherweise auch wieder Torsten Frings in Topform kann die WM-Mission 2010 kaum gelingen.
Ballack unverzichtbar
"Selbstverständlich geht so ein Prozess nicht von heute auf morgen", räumte auch Chefcoach Joachim Löw nach der ernüchternden Vorstellung vor 74.244 Fans ein. Ohne erfahrene und international gestählte Männer kann seine forcierte Erneuerung der Nationalelf bis zum Weltchampionat in Südafrika nicht klappen. "So ein Prozess geht über Monate, manchmal über ein, zwei Jahre", sagte Löw. 22 Neulinge schickte er seit 2006 ins Länderspiel-Feuer - allein fünf waren es nach der Europameisterschaft in diesem Sommer. Vor allem der 23 Jahre alte Hoffenheimer Marvin Compper bekam gegen die "Three Lions" den Unterschied zwischen Bundesliga und Länderspiel zu spüren.
Löw kann sich nach den Erfahrungen aus dem England-Match selbst dazu beglückwünschen, dass er nach der öffentlichen Kritik von Kapitän Ballack und dessen langjährigem Partner Frings nicht zu jenen radikalen Konsequenzen gegriffen hatte wie bei Kevin Kuranyi, den er nach seiner Stadionflucht gänzlich aussortiert hatte.
"Es ist unzweifelhaft, dass diese Spieler große Qualität haben und wichtig für uns sind. Wenn sie nicht wichtig wären, hätte Joachim Löw auch nicht gesagt, dass es mit ihnen weitergeht", betonte Bierhoff. Und der Bundestrainer selbst bekannte: "In der Zentrale waren wir nicht so präsent. Es war eine neue Zusammensetzung. Dort beginnt normalerweise die Organisation. Dass beide wichtige Spieler für uns sind, steht ja außer Frage." Das werden die TV-Zuschauer Ballack und Frings gerne vernehmen.
Keine Alarmsignale
Schon der im kommenden Jahr zu bewältigende Endspurt zur Weltmeisterschaft 2010 wird längst kein Selbstläufer werden, obwohl Deutschland die Tabelle der Gruppe 4 anführt. Noch steht das Rückspiel beim ärgsten Rivalen Russland an, in Finnland ließ man zwei Punkte liegen. Und gegen England wurde überdeutlich: Wenn wie aktuell in Per Mertesacker, Lukas Podolski, Miroslav Klose, Thomas Hitzlsperger und Bastian Schweinsteiger gleich fünf der sieben in diesem Jahr am meisten eingesetzten Spieler in einem Formloch stecken, bleibt von einer angestrebten Dominanz nichts übrig.
Trotzdem wollte der Bundestrainer aus der 15. England-Schlappe einer DFB-Elf keine Alarmsignale ableiten. "Für die Qualifikation hat es keine Bedeutung. Das Jahr war insgesamt positiv, spannend, interessant. Wir sind Vize-Europameister geworden. So gesehen stimmt uns die Niederlage nicht bedenklich", betonte Löw und wertete die dritte Pleite des Jahres nur als kleinen Betriebsunfall: "Wir werden daraus lernen. Es ist einfach eine gute Erfahrung für die Spieler."
Helmes kommt von hinten
Lernen müssen aufstrebende Kräfte wie Simon Rolfes oder Jermaine Jones, aber auch Aufsteiger wie Compper, dass gute Leistungen im Verein noch längst keine guten Nationalmannschafts-Auftritte garantieren. "Der Gegner hatte eine hohe Qualität", bemerkte Hoffenheims Innenverteidiger Compper, der zwar linker Verteidiger gelernt hat, dem aber die fehlende Praxis auf dieser Position anzumerken war. Genau darauf hatte Kapitän Ballack inhaltlich in seiner Kritik an Löw hingewiesen, die eine fast staatstragende Krise ausgelöst hatte. Zwar sei es "völlig in Ordnung", wenn der Bundestrainer fordert, junge Spieler sollten mehr Druck machen, hatte Ballack gemahnt: "Wir dürfen das Spiel aber nicht zu weit treiben."
Am tristen November-Abend von Berlin - in der deutschen Hauptstadt bleibt England unbesiegt - fehlten ohne Frings, Ballack und Lahm die Antreiber, die ein Team mitreißen können. Kein anderer setzte ein Signal, trat den Kollegen in den Hintern: Löw fehlt in seinem Team eine zweite Führungsebene. Am ehesten könnte die noch Schweinsteiger besetzen, doch der Münchner wirkte nach seiner Verletzungspause alles andere als fit. "Automatismen und Pass-Stafetten waren nicht zu erkennen", wies Per Mertesacker auf einen bitteren Negativ-Punkt hin.
Erst in knapp drei Monaten, am 11. Februar in Düsseldorf gegen Norwegen, kann der Eindruck aus dem enttäuschenden Jahresabschluss ausgemerzt werden. Löw hat viel zu tun: Auch in die Torwart-Frage ist nach dem Fehlgriff von René Adler und dem ordentlichen 45-Minuten- Debüt von Tim Wiese neue Spannung gekommen. Und im Angriff hat sich Patrick Helmes nach seinem ersten Länderspiel-Treffer ein klares Ziel gesetzt: "Wenn ich mich weiter so anbiete, werde ich früher oder später von Beginn an spielen."