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"Zu sanft und weich" Kinderfußball ohne Tabelle: Warum die Kritik an der DFB-Reform völlig überzogen ist

Das alte System frustrierte und überforderte zu viele der Kleinen
Das alte System frustrierte und überforderte zu viele der Kleinen
© Getty Images
Die Kritik an der DFB-Reform im Kinder- und Jugendfußball wird lauter: Zuletzt äußerten Trainer wie Steffen Baumgart oder Ralf Rangnick erhebliche Zweifel an den neuen Spielformen, weil angeblich der Leistungsgedanke ausgehebelt werde. Aber das ist Unsinn.

Der Untergang ist nahe, mindestens: Steffen Baumgart macht sich große Sorgen um die Zukunft des deutschen Fußballs: "Wir sind eine Generation, die nur noch den weichen und seichten Weg geht", sagte der Trainer des 1. FC Köln im WDR-Podcast "Einfach Fußball". "Es ist doch nicht schlimm, wenn ein Kind verliert. Es muss doch lernen, mit Niederlagen umzugehen. Ich muss doch lernen, Spaß an dem Sport zu haben, nicht nur, wenn ich zehn Tore schieße.“

Ins gleiche Horn bläst die Kritik von Ralf Rangnick, aktuell Nationaltrainer von Österreich, und von Ex-Nationalspieler und TV-Experte Dietmar Hamann. Demnach müsse immer das Gewinnen und das Ergebnis im Vordergrund stehen. Thomas Helmer, ebenfalls ehemaliger Nationalspieler, nannte die Reform gar grotesk, weil der Leistungsgedanke kaum zum Tragen komme. Wenn man bei den jungen Menschen nicht zulasse, "da auch Fehler zu machen, eine Persönlichkeit zu entwickeln, glaube ich, geht das in die falsche Richtung".

Die Reform ist der richtige Weg

Was diese alten Herren, denen man eine gewisse Fußball-Kompetenz nicht absprechen kann, so in Wallung bringt, ist dieDFB-Reform im Kinder- und Jugendfußball. Die sieht vor, kurz gesagt: Von der G-Jugend (U7) bis zur E-Jugend (U11) soll das klassische Liga-System abgeschafft werden. Keine Spiele im klassischen Sinn mehr, keine Endresultate, keine Tabellen. Stattdessen schreibt der DFB verbindlich sogenannte Festivals mit mehren Mannschaften, die in kurzen Partien gegeneinander antreten. Jeder Spieler soll gleich viel Einsatzzeiten erhalten. Aber Fortschritt ist mühsam: Die neuen Formen verlangen mehr Organisationsaufwand. Das ist auch klar.

Dennoch macht die Reform Sinn: Es soll um mehr Spaß am Fußball gehen, um mehr Gerechtigkeit und schlicht darum, Spielformen einzuführen, die kindgerechter sind. Wer einmal als Eltern ein 18:0 in der F-Jugend erlebt hat, weiß aus eigener Anschauung, dass das wenig mit Fußball zu tun hat, weil Kinder in dem Alter gar nicht in der Lage sind, im eigentlichen Sinn richtig Fußball zu spielen, weder physiologisch noch kognitiv. Das alte System frustrierte und überforderte zu viele der Kleinen. Fußballbegeisterte Väter (besonders die!) und Mütter übersehen so etwas gern mal.

Das neue Spielsystem im Kinderfußball

Ab der der Saison 2024/25 soll im Kinderfußball verbindlich in einem "Festival"-System gespielt werden. Liga-Spiele und Tabellen werden abgeschafft. Künftig sollen mehrere Mannschaften in Turnierform auf Mini-Feldern mit jeweils mehreren Kleintoren gegeneinander antreten. Die Jüngsten spielen mit zwei gegen zwei. Je älter die Kinder werden, desto größer werden die Teams, und desto öfter werden große Jugendtore mit Torhütern involviert. Jede Mannschaft hat ein festes Rotationsprinzip für die Einwechselspieler (Wechsel nach jedem Tor), alle erhalten in etwa gleich viel Einsatzzeit. Liegt eine Mannschaft mit 0:3 zurück, erhält sie einen Spieler mehr. Die Gewinner (ja, die gibt es weiterhin!) rücken ein Spielfeld vor, die Verlierer eines zurück. Am Ende stehen sich jeweils gleich leistungsstarke Teams gegenüber und dürfen sich messen. Die Spielzeiten variieren je nach teilnehmenden Mannschaften, sollen aber maximal 15 Minuten (E-Jugend) betragen.

Im Jugendfußball von der U17 bis zur U19 wird die Junioren-Bundesliga abgeschafft und durch die Nachwuchsliga ersetzt. Die 56 Fußballvereine mit Nachwuchsleistungszentren sind automatisch dabei und können nicht absteigen. Acht Amateurvereine füllen das Feld auf. Die 64 Vereine werden dabei auf acht regionale Staffeln mit acht Teams verteilt. Die jeweils zwei Staffel-Besten kommen in die K.o.-Runde, in der der Meistertitel ausgespielt wird.

Offenbar mangelt es den Kritikern an Kenntnissen

Was die Kritik von Baumgart und Co. besonders ärgerlich macht, ist der Eindruck, dass sie sich nicht wirklich mit der Reform auseinandergesetzt haben. So ist etwa der Leistungsgedanke nicht ausgesetzt. Es gibt weiterhin Gewinner und Verlierer, es werden Tore geschossen. Auch im neuen Format muss man mit Niederlagen umgehen können. All das passiert eben nur auf eine altersgerechte Art. Das hat nichts mit "weich und sanft" zu tun, wie Baumgart den neuen Weg abfällig bezeichnete. Die Kritik daran klingt doch sehr nach "Früher war alles besser".

Vielleicht hilft den Herren ein Blick nach Berlin. Der Landesverband dort ist Vorreiter und hat das System für die G-Jugend bereits vor zwei Jahren eingeführt – mit Erfolg. In diesem Jahr folgt die F-Jugend. Auch ein Blick über den Tellerrand ins Ausland ist für das Verständnis hilfreich: Belgien, die Niederlande, die Schweiz und England haben längst umgestellt. Ein gewisser Jamal Musiala hat auf der Insel so sein Talent entwickelt. Im vergangenen Jahr sagte er den BBC:  "In Deutschland gibt es schon für unter Zehnjährige ein Ligensystem, wohingegen das in England bis zur U18 nicht üblich ist. Da hat man viel weniger Druck und mehr Zeit, sich zu entwickeln, man kann viel freier spielen."

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