Zwischen dem Hype in Dortmund und der Hysterie in München eilt Leverkusen als stiller Jäger fast unbeachtet von Erfolg zu Erfolg. "Wenn noch etwas passieren sollte, müssten wir alle Spiele gewinnen", sagte Bayer-Cheftrainer Jupp Heynckes nach dem 2:1 am Sonntag gegen den FC St. Pauli, mit dem der Abstand zu Spitzenreiter BVB auf fünf Punkte geschmolzen ist. Mit fünf Erfolgen in Serie ist die Werkself "Mannschaft der Stunde" in der Fußball-Bundesliga. Eine Vorentscheidung im Titelkampf dürfte am Sonntag bei Bayern München fallen, wenn Bayer bei Heynckes' künftigem Arbeitgeber gastiert.
In der Saison 1986/87 hatte der heute 65-Jährige seinen Weggang von Borussia Mönchengladbach zu Bayern München auch vorzeitig bekanntgegeben und danach alle restlichen zehn Spiele mit den "Fohlen" gewonnen. "Ich weiß nicht, ob sich das noch einmal wiederholt", meinte Heynckes, "obwohl meine Mannschaft zu allem fähig ist". Erst am 34. Spieltag werde man sehen, ob die Verfolgung noch erfolgreich sei. "Wir haben noch fünf Partien. Der BVB hat fünf Punkte plus und das bessere Torverhältnis. Er hat alle Trümpfe in der Hand."
Dass die Karten vielleicht doch noch mal neu gemischt werden könnten, verdankt Heynckes seinen "Jokern" auf der Bank. Der eingewechselte Eren Derdiyok leistete die Vorarbeit für Stefan Kießling (65.), der die Führung der Gäste durch Charles Takyi (58.) ausglich. Den Siegtreffer markierte der ebenfalls neu in die Partie gekommene Lars Bender (77.). "Wenn wir am Ende oben stehen sollten, werden wir uns nicht dagegen wehren", sagte Bender, der in diesem Fall keinen Konflikt mit seinem beim BVB kickenden Bruder Sven sehen würde: "Wir neiden uns nichts."
Zum Drunter und Drüber vor dem Süd-West-Gipfel an der Isar - Trainer Louis van Gaal gefeuert, Superstar Arjen Robben ausgeflippt -wollte sich Heynckes konkret nicht äußern. "Wir streben an, in München zu gewinnen", sagte er nur. Ein Sieg würde beim viermaligen Vizemeister nicht nur die Titelträume wach halten, sondern auch die Rückkehr auf die große Fußball-Bühne fast perfekt machen. "Wenn alles gut läuft, können wir den Sack zumachen in Richtung Champions League - das ist das Ziel", sagte Stürmer Stefan Kießling.
Bayer 04 läuft Bayern den Rang ab und dem BVB vehement hinterher, bleibt aber der Biedermann der Liga. "Wir bedauern es, dass wir als Spielverderber der Liga nicht dazu beigetragen haben, den psychodelischen Taumel woodstockmäßig potenziert zu haben", konterte Bayer-Chef Wolfgang Holzhäuser eine Satire im Fußball-Magazin "11 Freunde" über das patentierte "Vizekusen". Sollte Leverkusen wirklich Meister werden, kündigte er "die beste Party" an, die man mit Spaßverderbern jemals gefeiert habe.
Weder Spaß noch Lust am Feiern hat der Tabellenvorletzte FC St. Pauli, der nach dem Becherwurf-Skandal mit einem Einspruch noch das "Geisterspiel" in knapp zwei Wochen gegen Werder Bremen abzuwenden hofft. Wohltuend war es für Gäste-Coach Holger Stanislawski, dass er Unterstützung vom Bayer-Kollegen bekam. "Ich würde es begrüßen, wenn der DFB die Strafe überdenkt und das Geisterspiel in die nächste Saison verlegt, um keine Wettbewerbsverzerrung zu haben", sagte Heynckes. Möglicherweise spielen die Hanseaten dann in der 2. Liga.