Berti Vogts "Spanien ist eine gefährliche Mischung"

Unter Berti Vogts gewann die deutsche Nationalmannschaft 1996 die Europameisterschaft in England - ihr letzter Titel. Im stern.de-Interview spricht der 61-Jährige über schönen Offensivfußball, die Chancen der Deutschen im Finale und seinen Aberglauben.

Was bedeutet dieser Finaleinzug für den deutschen Fußball?

Wenn wir ehrlich sind, haben wir doch alle damit gerechnet, nachdem wir bei der WM Dritter wurden und eine gute Qualifikation gespielt haben. Verbunden mit den Gedanken war die Hoffnung, dass wir mit dieser Mannschaft wieder einen Schritt weiter gekommen sind. Das hat sich bewahrheitet, schaut man auf das Spiel gegen Portugal. Es zeigt, dass Deutschland wieder in der Weltspitze angekommen ist.

Viele Favoriten flogen vorher raus. Was macht den Unterschied Deutschlands zu den Holländern, Kroaten und Portugal aus?

Portugal traf auf eine perfekt organisierte deutsche Mannschaft, die fast perfekten Fußball gespielt hat. Solche Naivität bei Freistößen kann man sich gegen eine deutsche Mannschaft nicht erlauben. Deshalb ist Portugal zu Recht ausgeschieden. Bei den anderen hat die Balance im Team nicht gestimmt, bei den Holländern zum Beispiel. Man kann nicht nur mit acht, neun Offensivspielern antreten. Russlands Coach Guus Hiddink kennt den holländischen Fußball sehr genau und hat die Schwachstellen ausgenutzt.

Zur Person

Berti Vogts war von 1990 bis 1998 Bundestrainer (102 Spiele, zwölf Niederlagen). Als Spieler wurde er 1972 Europameister und 1974 Weltmeister. Er absolvierte 96 Länderspiele und gewann als Trainer 1996 den EM-Titel in England. Nach Stationen in Schottland und Nigeria ist Vogts heute Nationaltrainer von Aserbaidschan.

Ist es ein Merkmal der Euro 2008, dass derjenige belohnt wird, der ein Risiko eingeht?

Man kann nur ein Risiko eingehen, wenn die Abwehr stimmt, wenn das Fundament steht. Mit permanentem Sturmlauf erreicht man manches, aber man ist verletzlich. Turniere gewinnen Mannschaften, die eine gute Balance haben. Auffällig war, vor allem in der Vorrunde, der offensive Fußball. Man hat versucht, immer wieder nach vorne zu spielen. Drei, vier Spieler waren immer vor dem Ballführenden. Das hat nichts mit einer oder drei Spitzen zu tun, das ist in dem Zusammenhang ein falsches Denken. Es wurde damit kein neues System erfunden. Schon vor zwei Jahren spielte Frankreich mit einer Spitze und dreien dahinter. In Spanien und der englischen Premier League gibt es das schon seit drei oder vier Jahren.

Was war aus Ihrer Sicht diesmal die taktische Neuerung?

Dass man zum Kombinationsfußball zurückfand. Zu einer unglaublichen Passgenauigkeit. Ich nenne das Ballhalten mit dem Blick nach vorne, um denjenigen, der in Position gelaufen ist, sofort anzuspielen. Man hat bei erfolgreichen Mannschaften sehr wenig weite und lange Bälle gesehen.

Darin sind die Spanier besondere Künstler?

Die Spanier sind, egal wie das Finale endet, die Mannschaft der Europameisterschaft. Sie haben sich keine Schwäche erlaubt. Ich hoffe trotzdem, Deutschland kann sie mehr als die anderen unter Druck setzen. Spanien ist eine gefährliche Mischung aus Routine und Kombinationsfußball mit kurzen Pässen. Das war auf dem Gebiet das Beste, was es bei dieser Euro zu sehen gab.

Und die Russen?

Wenn die Spanier die Mannschaft des Turniers sind, dann ist Russland die Überraschungsmannschaft der Euro 2008. Es ist beeindruckend, mit welcher Geschwindigkeit und Athletik die spielen und wie stark sie im individuellen Bereich sind. Das hat nichts mehr mit dem behäbigen russischen Bären zu tun, bei dem man wusste, Pass Nummer drei kommt genau an diesen Punkt.

Sie waren der letzte deutsche Trainer, der eine EM gewann, 1996 in England. Wie erlebt eine Mannschaft die letzten Tage und Stunden vor solch einem Endspiel?

Als Befreiung. Der Druck ist weg, die Last ist abgefallen: Man hat die Türken überstanden, gegen die konnte man sich nur blamieren, weil die Türkei sieben, acht ihrer Stammspieler ersetzen musste. Man musste das Finale einfach erreichen. Diese deutsche Mannschaft geht voller Zuversicht in dieses Spiel, sie haben alles richtig gemacht. Man kann sich nun auf einen Gegner konzentrieren. Man weiß aber auch, es hat schwächere Spiele gegeben. Das hilft, sich jetzt noch stärker zu konzentrieren.

Und wie fällt Ihre persönliche Erinnerung an 1996 aus? Sie standen nach dem Erfolg auf dem Rasen und machten mit den Fans die Welle.

Das war ein Dankeschön an die deutschen Fans, die zu mir standen. Wir hatten große Probleme vor dem Finale und sind mit nur neun gesunden Spielern ins Spiel gegangen. Viele mussten fit gemacht werden. Wir haben dann sogar für die Ersatztorhüter Trikots machen lassen, falls wir sie draußen brauchen würden. Die Mannschaft hat es dann mit einer unheimlichen Willenskraft geschafft.

Wo werden Sie das Finale der Euro 2008 am Sonntag anschauen?

Ich bin als Experte beim Schweizer Fernsehen, also in Zürich.

Und sie tragen wieder das Deutschland-Trikot?

Um Himmels Willen nein. Das habe ich vor dem Spiel gegen Kroatien getragen, und wir haben gesehen, was dabei herausgekommen ist. Ich hab das Ding schnell wieder ausgezogen und weggeworfen. Seitdem sitze ich nur noch in Anzug und Krawatte im Studio. Das hat gut funktioniert, wie wir gesehen haben. Vor dem Endspiel bin ich noch abergläubischer als sonst.

Ihr Tipp?

Ich hoffe auf ein 2:1 oder ein 1:0. Im Grunde ist mir alles Recht, selbst, wenn wir knapp im Elfmeterschießen gewinnen. Egal, wurscht, schnuppe, ich wünsche mir, dass wir gewinnen."

Interview: Oliver Trust

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