"Ja, es ist warm, sehr warm sogar, es ist schwül, aber darüber freuen wir uns. Es wird Zeit, dass wir wieder spielen." Michael Ballack wirkt entspannt wie immer, fast schon gelangweilt. Aber da ist er nicht der einzige. Ruhetage sind bei großen Turnieren immer "Saure-Gurken-Tage", abends kann man sich keine Spiele im TV ansehen, und der Umfang der Berichterstattung nimmt auch deshalb ab, weil nur noch vier Teams im Wettbewerb verblieben sind. Völlig klar, dass man da als noch beteiligter Fußballer möglichst schnell wieder für Schlagzeilen sorgen möchte. Für positive Schlagzeilen.
Das kluge Hirn des Teams
Ballack ist der Anführer dieser Mannschaft. Aber er ist eben auch das kluge Hirn des Teams. Und so lässt er sich natürlich nicht das entlocken, worüber knapp 24 Stunden vor dem Anpfiff im Basler St. Jakob-Park die ganze (Fußball-)Republik rätselt. Wird Torsten Frings in die Startformation zurückkehren? Bleibt es auch gegen die Türkei bei der von Trainer Joachim Löw fast schon genial ausgeheckten neuen taktischen Ausrichtung?
Da können die ob der Schwüle wie halbtote Fliegen in ihren Stühlen klebenden Journalisten noch so hartnäckig nachfragen. Ballack setzt dann sein spitzbübisches Lächeln auf, räuspert sich etwas verlegen und lässt vielsagende Sätze wie diese von sich: "Torsten (Frings) hat gut trainiert, er ist schmerzfrei, ihn spielen zu lassen, wäre kein Risiko." Und zur Taktik: "Och, wir haben flexibel trainiert. Das 4-4-2-Sytsem haben wir jahrelang praktiziert. Nun hat es gegen Portugal eben auch mal mit einer anderen Taktik gepasst. Wir wollen uns das offen lassen." Diplomatischer geht's nimmer. Ballack wäre ohne Frage auch in der Politik ein Großer.
Kein Formationswechsel ohne Not
Nun weiß man, dass Joachim Löw ein Trainer ist, der ohne große Not nicht noch einmal seine Formation wechseln wird. Nach dem Österreich-Spiel musste der Coach handeln, zu dürftig waren die Vorstellungen seines Teams, allen voran die Leistung seines Stürmers Mario Gomez. Löw stellte um, man gewann gleichsam überzeugend wie überraschend gegen die Portugiesen und steht urplötzlich im Halbfinale dieser EM. Warum also wechseln? Weil ein Torsten Frings in Topform unverzichtbar für die deutsche Nationalmannschaft ist. Das weiß natürlich auch Michael Ballack. Nur sagen will er es heute nicht.
Dennoch sickert am Lago Maggiore einen Tag vor dem Spiel gegen die Türken Stück für Stück durch, dass höchstwahrscheinlich der zweite Leitwolf neben Ballack in die Mannschaft zurückkehren und Trainer Löw (trotzdem) an der Portugal-Taktik mit dem 4-5-1-System festhalten wird. Gegen ein Team, dessen Stärke vor allem im mentalen Bereich liegt. Das hat auch Michael Ballack bemerkt. "Die Türken muss man gar nicht stark reden, die sind ein unangenehmer Gegner, vor denen man auf der Hut sein muss."
Kämpfen bis zur 90. Minute
Wie man gegen eine solche Truppe, die ihre Kontrahenten stets einzulullen versucht, auftreten muss, verrät der Kapitän gleich mit: "Wir müssen wirklich bis zur 90. Minute kämpfen, damals im WM-Halbfinale gegen die Italiener haben uns ein paar Prozent hinten raus gefehlt. Jetzt hoffe ich, dass wir in einer möglichen entscheidenden Endphase noch zulegen können."
Ballack sagt, dass er das "hofft". Aber die Körpersprache des Chelsea-Stars verrät etwas anderes. Keine Spur von Unsicherheit ist da festzustellen. Der Mann ist fest entschlossen, und siehe da, plötzlich gibt Ballack dann doch noch einen Einblick in sein Seelenleben so kurz vor einem der wichtigsten Halbfinal-Spiele seiner Karriere: "Innerlich bin ich sehr ruhig, jetzt liegt es nur noch an uns, den letzten Schritt zu machen. Zwei gute Leistungen müssen noch her - und ein bisschen Glück", sagt der Kapitän noch und setzt dabei wieder sein charmantes Lächeln auf. Dann verlässt er eilig den Glutofen im Centro Sportivo in Tenero. Ballack will heute schnell zurück ins Hotel, er will zur Mannschaft. Der "Capitano" plant den ganz großen Wurf, jede Sekunde zählt.