Österreich - Deutschland Löws schwerstes Spiel

Von Jens Fischer
Da ist es wieder, das berühmte Schicksalsspiel: Gegen Österreich muss die deutsche Nationalmannschaft mindestens einen Punkt holen, sonst ist die EM gelaufen. Aber nicht nur das: Ein Scheitern würde ein ganzes System in Frage stellen - und eine Person wäre wohl kaum noch zu halten.

Was waren alle froh: Die deutsche Nationalmannschaft war im eigenen Land gerade WM-Dritter geworden und hatte das deutsche Volk über vier Wochen hinweg mit ihrem "Sommermärchen" verzaubert. Alles war gut, alle liebten Jürgen Klinsmann und dessen emotional aufgeladene Art. Nur eines passte nicht: "Klinsi" hatte nach der WM keine Lust mehr. Was nun?

Zum Glück gab es zu diesem Zeitpunkt einen Joachim Löw - Verwalter des Klinsmann-Erbes und ein Fußball-Lehrer, dem alle Experten höchste Affinität zu moderner Trainings-Analytik sowie kraftvollem und schnellem Offensiv-Spiel bescheinigten. Löw übernahm das Kommando und das erfolgreich. Die Qualifikation für die EM wurde relativ mühelos bewältigt, alle waren zufrieden und unterstellten der deutschen Mannschaft internationalen Standard. Die Zeit des hässlichen Rumpelfußballs schien endgültig Geschichte, Deutschland war wieder auf dem Level, um ganz vorne mithalten zu können.

Viele Fragen, wenig Antworten

Zumindest auf den ersten Blick. Aber bereits in der Qualifikation schlichen sich erste Zweifel ein, was den wahren Leistungsstand der Löw-Truppe betrifft. Die Heimpleite gegen Tschechien (0:3!) gab erste Indizien, dass lange noch nicht alles gut ist im deutschen Team. Danach gab es im Vorfeld der EM zwar klare Siege gegen Zypern (4:0) und in der Schweiz (4:0), dazwischen lag aber auch das grauenvolle Auftreten in Österreich, wo man zwar gewann, aber spielerisch wieder beim archaischen Fußball aus den Zeiten Ribbecks und Völlers angekommen schien.

Und nun die Pleite gegen Kroatien und das bevorstehende "Endspiel" gegen den 92. der Weltrangliste, Österreich. Keiner weiß so richtig, wo die Mannschaft steht. Was war los gegen die Kroaten? War es Überheblichkeit? Wo war das Tempo? Wo war die taktische Flexibilität? Wo die Leidenschaft, wo der Mannschaftsgeist? Fragen, die sich Löw jetzt gefallen lassen muss - von ihm werden Antworten erwartet. Das weiß er auch, deswegen begibt er sich in den Tagen zwischen Kroatien und Österreich auf Spurensuche. Er holt sich die Spieler in den Garten des Quartiers, führt mit ihnen lange Einzelgespräche und versucht zusammen mit dem Mannschaftspsychologen Hans-Dieter Hermann herauszufinden, wieso die Mannschaft gegen die Kroaten völlig von der Rolle war.

Die Mannschaft wirkt zerstritten

Löw steht vor seinem schwersten Spiel. Er weiß: Gegen Österreich muss die Mannschaft anders auftreten, aber kann sie das überhaupt? "Ich werde nichts über den Haufen werfen", sagt Löw gleich einmal und macht sich somit auch zur Zielscheibe. Schließlich war es gerade die Taktik, die den Deutschen gegen die Kroaten zum Verhängnis wurde.

Löw ist davon überzeugt, dass Kroatien nur ein Ausrutscher war, er ist sich sicher, dass seine Mannschaft nur ihr großes Potenzial nicht ausgeschöpft hat. Die Reaktion der Spieler nach dem Spiel lässt aber durchaus auch anderes vermuten: Da beklagte sich der formschwache Miroslav Klose über den Egoismus in der Mannschaft, da wurde ein Bastian Schweinsteiger nach dessen roter Karten offen attackiert, da wurde von Kapitän Michael Ballack Überheblichkeit angeprangert. Innerhalb der Mannschaft scheint also nicht alles zu stimmen.

Was ist mit der Taktik los?

Auch in Taktik-Fragen muss sich der Trainerstab Fragen gefallen lassen. Löws Co-Trainer Hans-Dieter Flick machte diesbezüglich während er EM nicht immer eine glückliche Figur. Auf Fragen nach seinem Aufgabengebiet reagierte er unsicher, und vom kroatischen Überfall-Kommando so überrascht zu werden – das geht mit auf seine Kappe. Und auch auf die vom Chefscout Urs Siegenthaler.

Gegen Österreich steht die Löw'sche Philosophie auf dem Spiel. Bei einer Niederlage wäre er kaum noch zu halten, auch wenn DFB-Präsident Theo Zwanziger schon einmal vorgebaut hat und Löw eine Job-Garantie bis 2010 ausgestellt hat. Dass diese sehr schnell zur Makulatur werden kann, ist aber auch klar. Da genügt ein Blick in die DFB-Historie: Jupp Derwall, Erich Ribbeck, Rudi Völler – sie alle mussten nach einem EM-Debakel gehen.

System auf dem Prüfstand

Ein Scheitern Löws wäre auch ein Scheitern des Systems. Die Nationalmannschaft begeisterte mit Beginn der Klinsmann-Ära zwar die Fans, mit den Verantwortlichen in der Bundesliga gab es aber immer wieder Ärger. Speziell Teammanager Oliver Bierhoff wird Arroganz und Eigensinn vorgeworfen, die Interessen der Bundesliga würden von ihm nicht ausreichend berücksichtigt werden.

Fazit: Das gesamte Konstrukt "Nationalmannschaft" steht gegen Österreich auf dem Prüfstand - eine Niederlage hätte nicht nur historische Ausmaße, sondern würde wohl auch personelle Konsequenzen nach sich ziehen.

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