Fan- und Ultraproblematik Die Gefahr aus der Kurve

Von Frank Hellmann, Frankfurt
Am Wochenende provozierten gewaltbereite "Fans" beim Spiel zwischen Eintracht Frankfurt und dem 1. FC Nürnberg fast einen Spielabbruch. Die Ultra-Gruppierungen werden immer mehr zu einer neuen Bedrohung im deutschen Profifußball.

Das Telefon steht nicht mehr still. Im Haus der Deutschen Sportjugend an Otto-Fleck-Schneise 12 ist auch die Koordinationsstelle Fan-Projekte (KOS) untergebracht. Eine kleine Institution, 1993 gegründet, die bundesweit fokussiert und koordiniert, verwertet und bewertet, was bei deutschen Fußballfans passiert. Nach den Vorfällen in Frankfurt, als Mitglieder der Ultras Nürnberg beinahe einen Spielabbruch provozierten, sind Volker Goll und Michael Gabriel wieder sehr gefragte Ansprechpartner.

"Wohin die Ultra-Gruppierungen genau steuern, wissen die meisten womöglich selbst noch nicht. Es gibt keine einheitliche Entwicklung und deswegen sind wir auch in einer permanenten Erkenntnisphase", erklärt Goll. "Fakt ist, dass es offensichtliche eine andere Bereitschaft zu Auseinandersetzungen gibt. Dass die Ultras wissentlich dem Verein schaden - das ist neu. Womöglich auch eine Reaktion gegen die durchkommerzialisierten und durchstrukturierten Abläufe im Stadion. Wenn die Ultras dort einen Störfaktor darstellen, werten sie das Erfolg."

Der Umgang mit dieser Gruppierung ist ein diffiziles wie vielschichtiges Problem. Pauschalurteile sind da wenig hilfreich. Heribert Bruchhagen, besorgter Vorstandsboss der von einer teilweise nicht unproblematischen Ultra-Gruppierung heimgesuchten Frankfurter Eintracht, warnt bereits vor "italienischen Verhältnissen" im deutschen Fußball. Doch der Vergleich ist eigentlich nicht gerechtfertig, wie auch DFL-Geschäftsführer Holger Hieronymus erklärt: "Davon sind wir meilenweit entfernt." In der Tat: In der Serie A ist die Entfremdung zwischen Vereinen und Fans über Jahrzehnte so weit fortgeschritten, dass eine lange angelegte Unterwanderung durch die Ultras dazu geführt hat, dass gewaltbereite Gruppierungen gar den Verkauf von Eintrittskarten und Fanartikeln eigenmächtig regelten. Die Ultra-Bewegung hat ihre Wurzeln in Italien in den 50er- und 60er-Jahren. Und: Teilweise erkämpften sich diese Szene gar Mitspracherecht in den Vereinsgremien. Von solchen Machtmissbrauch ist der deutsche Profifußball (noch) weit entfernt.

Fahnen, Plakate und Choreografien

Doch KOS-Leiter Gabriel gesteht: "Wir beobachten die Entwicklung in Teilen der Ultra-Gruppierung mit Sorgen. Die Ansprechbarkeit lässt nach. Dass der Einpeitscher mit dem Rücken zum Spiel sitzt, darf durchaus als ein Symbol gelten: Der Fußball wird nicht mehr so wichtig, dafür die Performance, die Darstellung. Dafür riskieren die Ultras offensichtlich auch die Niederlage durch Punktabzug." Die Nürnberger Auswüchse als Sinnbild einer neuen Absetzbewegung? Gabriel: "Es war den Nürnbergern in Frankfurt wichtig, etwas Sichtbares und Vorzeigbares zu präsentieren. Ein Machtspiel. Die Ultras haben längst gemerkt, dass Fernsehen, Marketing, Vips und Logen wichtiger sind als sie. Und das stört sie." Was Gabriel moniert: "Im gesamten FCN-Block herrschte eine zu hohe Akzeptanz bei diesem Vorfall. Es war fast kein Problembewusstsein vorhanden."

Und das ist ein größeres Problem als der deutsche Fußball glaubt: Die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) gibt Jahr für Jahr alarmierende Zahlen heraus: Mittlerweile werden schon mehr als 8400 Personen der Kategorie B und C (gewaltgeneigt oder zur Gewalt entschlossen) zugerechnet. Viele davon gehören den Ultras an, von denen viele Mitglieder großen Wert auf optische Erscheinungen wie Fahnen, Plakate und Choreografien legen, sich aber auch erhebliche Teile nicht von der Gewalt distanzieren. Die ZIS stellt generell fest: 2006/2007 wurden 4400 Strafverfahren und 6400 Freiheitsentzüge eingeleitet, 500 Menschen bei Spielen im deutschen Profifußball mehr oder minder schwer verletzt.

"Böller zu finden, ist schwierig"

Neben vier Feuerwerkskörper waren am Samstag in Frankfurt noch andere Ärgernisse zu beklagen. Verbunden mit unmittelbarer Gefahr und vorsätzlicher Körperverletzung: etwa vier Polizisten, die wegen am Bahnhof geworfener Kracher mit Knalltraumata ins Krankenhaus mussten; ein Ordner, der am Ohr verletzt wurde; ein Zuschauer, der eine Bierdose an den Kopf bekam und: Viele Kinder, die weinend mit ihren Vätern aus der Arena flüchteten.

Der DFB-Kontrollausschuss hat am gestrigen Montag unter Vorsitz von Anton Nachreiner die Ermittlungen aufgenommen. Dafür maßgeblich: der Bericht des Bremer Schiedsrichters Peter Gagelmann, der unmissverständlich mit dem Abbruch gedroht hatte. Auch die Videoaufzeichnungen der Polizei sollen ausgewertet werden. Der Chefankläger wird vermutlich am Dienstag, spätestens Mittwoch ein Urteil sprechen - vermutlich läuft beides auf eine empfindliche Geldstrafe für beide Klubs hinaus. Fakt ist auch, dass in Frankfurt wie Nürnberg folgenreiche Lehren gezogen werden. Bei den Hessen wird an der WM-Arena der Ordnungsdienst ermahnt, seinen Pflichten penibler nachzukommen. Zwar nahm die Frankfurter Polizei insgesamt 22 Personen fest, stellte 30 Stoßwaffen sicher, zog 96 Wurfgeschosse und Reizgas aus dem Verkehr. Aber: Ultras der Eintracht sind beispielsweise nachweislich von ihnen bekannten Kräften der Security unkontrolliert ins Stadion gewunken worden. Ein Unding, wie auch der Geschäftsführer der Stadion Frankfurt Management GmbH, Patrik Meyer, kritisiert: "Böller zu finden, ist schwierig, da man diese leicht verstecken kann. Aber eine Rakete hat ja eine gewisse Größe." Und jede Kontrolle hat natürliche Grenzen - "wir können nicht jedem Besucher vor dem Spiel in die Unterhose schauen", gibt Nürnbergs Sicherheitsbeauftragter Matthias Huber zu bedenken.

"Die Lösung muss von innen heraus erfolgen"

Zu leiden hat der gemeine Fan, was auch Jürgen Bergmann, den Fanbeauftragten des 1. FC Nürnberg, mächtig ärgert: "Was ist denn noch mit dieser dummen und hirnlosen Aktion erreicht worden? Dass die Kontrollen jetzt noch massiver werden, die Freiheiten der Fans noch weiter eingeschränkt werden. Das ist genau das Gegenteil dessen, was Hunderttausende friedlicher Fans eigentlich wollen!" Der 45-Jährige stand am Samstag selbst im ominösen Block 20 - dort wo der meist in schwarze Kluft gewandte Mob tobte. Nur hat Bergmann nicht mitbekommen, wer die Böller warf; wer den Bengalo zündete. "Ich habe nur im Fanblock mit Verantwortlichen der Ultras geredet und darauf hingewiesen, wie sehr sie mit ihrem Verhalten den Verein schaden." Diese Fans stehen eigentlich für die Leidenschaft des Clubs - "leider wollen sich Teile nicht an die Spielregeln halten" (Bergmann).

In Nürnberg, in der Geschäftstelle am Valznerweiher, herrscht helle Aufregung. Der intensive Dialog mit allen Fangruppen ist angekündigt wie notwendig: Schon in knapp einer Woche, am Mittwoch 16. April, steigt das Auswärtsspiel beim VfB Stuttgart. Ein Risikospiel: Die Schwaben besitzen neben den Nürnbergern, Frankfurtern und Karlsruhern das größte Potenzial an Ultras - mit einem entsprechenden Anteil gewaltbereiter Personen. Bergmann: "Diese Fans stehen für eine fantastische Stimmung, Liebe und Leidenschaft des Clubs - leider machen auch Teile der Gruppe Probleme mit der Polizei. Sie wollen sich nicht an die Spielregeln halten." Doch das werden sie müssen "sonst drohen demnächst drastische Sanktionen" das haben DFB-Präsident Theo Zwanziger und der für Rechtsfragen zuständige Vizepräsident Rainer Koch bereits angekündigt. Nach Dafürhalten von Gabriel lösen noch schärfere Kontrollen, noch mehr Überwachung und weitere Stadionverbote nicht das Kernproblem. "Das nützt gar nichts. Die Vereine müssen die noch intensivere Diskussion mit der gesamten Fanszene suchen. Die ganze Kurve muss dazu sensibilisiert werden. Die Lösung muss von innen heraus erfolgen."

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