FC Bayern München Gegenwart frisst Zukunft

Von Jens Fischer, München
Die Spieler quengeln und der "Kaiser" kann es nicht mehr hören: Bayern-Trainer Jürgen Klinsmann ist vom Visionär zum Schönredner geworden. Eine Pleite im DFB-Pokal-Viertelfinale gegen Bayer Leverkusen kann er sich nicht leisten - denn dann verlieren wohl auch Klinsmanns Chefs ihren Kampfesmut.

Es war exakt 15.51 Uhr, als am Dienstag folgende Meldung über die Agenturen lief: "Bayern München bezieht ab sofort vor jedem Heimspiel im Wechsel ein anderes Hotel". Eine Nachricht voller Rätsel. Diese variantenreiche Unterbringung ihrer Stars brächte Abwechselung ins Team, sagen die Verantwortlichen. Man könnte aber auch vermuten, die Bayern-Bosse wissen sich mittlerweile nicht anders mehr zu helfen. Sind die Verirrungen und Lustlosigkeiten innerhalb der Mannschaft wirklich schon so groß, um mit einer derart merkwürdig anmutenden Methode Reize setzen zu müssen? Ganz offenbar.

"Es ist fünf vor Zwölf in der Bundesliga", versuchte Trainer Jürgen Klinsmann in der abschließenden Pressekonferenz vor dem DFB-Pokal-Viertelfinale in Düsseldorf gegen Bayer Leverkusen endlich einmal ernst zu wirken. "Kämpfen" sollen seine Spieler und "Leverkusen in die Knie zwingen." Aussagen, die bei einem Klinsmann mittlerweile wie souffliert daherkommen. Monatelang versuchte Klinsmann es als Berufs-Optimist und Mann der Zwischentöne bei den Bayern. Jetzt aber scheint es endlich an der Zeit, Klartext zu reden. Nur so erreicht er seine Spieler noch.

Klare Worte der Spieler

Denn die haben sich längst ihre eigene Meinung gebildet über die Verhältnisse im Schlaraffenland Bayern München. Und halten diese auch nicht mehr zurück. Erst die vermeintliche Taktik-Besprechung ohne Trainer, die Kapitän Mark van Bommel per Eides statt und reichlich ungelenk öffentlich verleugnen musste. Ein gefundenes Fresen für die Presse, die sich an einem vermutlich gezielt gestreuten Gerücht austoben durfte.

Dann ging es nach Bremen Schlag auf Schlag. Was Philipp Lahm und Miroslav Klose vor dem Champions-League-Sieg in Lissabon mit ihrer Kritik am Trainer ("Mehr Defensive!") losgetreten hatten, setzten andere nahtlos fort. Ob Tim Borowski, Hamit Altintop oder zuletzt Franck Ribéry, der sich auf dem Platz allein gelassen fühlt: Sie alle hadern - mit sich, der Einstellung der Kollegen, der Taktik des Trainers und vor allem und speziell mit dessen Ansprache an die Mannschaft nach den vielen Enttäuschungen.

Klinsmann wirkt angeschlagen

Fast wirkt es so, als würden sie sich danach sehnen, von Klinsmann nicht permanent in Watte gepackt zu werden. Manchmal scheint es, als hätte der frühere Souverän Klinsmann seine Autorität längst verloren. Er versucht es mit den leisen Tönen und einem smarten Lächeln - aber seine Spieler brauchen deutliche Worte, sie wollen den Erfolg. Nichts anderes.

Klinsmanns Zick-Zack-Winkelzüge haben Spuren hinterlassen. Gegen Bremen versagte erst seine Ein-Stürmer-Taktik, dann brachte er zur Pause Lukas Podolski, einen Mann, dem er zuvor jeglichen Mut geraubt hatte. Bastian Schweinsteiger musste raus und verließ wortlos das Weserstadion. Oder Landon Donovan: Erst wollte ihn Klinsmann mit aller Macht, jetzt schaut er ihn kaum noch an. Klinsmann wackelt - und Uli Hoeneß und Karl-Heinz-Rummenigge merken das.

Noch hoffen die Bosse

Natürlich haben der Manager und der Vorstandschef Ahnung vom Fußball. Und ja: Die Bayern können alles noch gewinnen - Meisterschaft, Champions League, DFB-Pokal, alles ist noch möglich. Theoretisch. Die Realität sieht etwas anders aus. In der Bundesliga ist man Fünfter und die gezeigten Leistungen zeigen keinen Aufwärtstrend. In der Champions League warten spätestens ab dem Halbfinale fast unschlagbare Hochkaräter und Bayer Leverkusen ist im DFB-Pokal ein schwerer Gegner mit hoher Qualität.

Hoeneß und Rummenigge schützen ihrer Trainer und glauben an die Erfüllung ihrer Ziele. Sie müssen, denn Klinsmann wirkt angeschlagen und benötigt Rückendeckung. Denn er ist keiner, der geliebt wird, man hält es aus mit ihm, mehr nicht. Er lebt von den Erfolgen, denn seine Maßnahmen sind nicht populär, sein Stil gewöhnungsbedürftig. Es ist einfach zu viel schief gelaufen, seit er das Bayern-Zepter schwingt.

Beckenbauer redet Klartext

Das findet auch Franz Beckenbauer. Der Bayern-Aufsichtsratboss will Erfolge sehen und hat die Nase voll vom Gehangel von einem Spiel zum nächsten. Erst jüngst polterte er: "Was mir so langsam aufstößt, ist, dass man bei uns immer noch nicht der Meinung ist, es wird höchste Zeit, höchste Eisenbahn." Klarer geht's nicht. Es war bei den Bayern doch schon immer so: Gegenwart frisst Zukunft.

Und deshalb befindet sich Klinsmann in einem Becken mit tausend Strömungen. Er will seine Spieler "Tag für ein Tag ein Stück weit besser machen". Nur: Die Tage gehen ihm aus. Angetreten ist er mit einem großen Sack voller Ideen, Visionen und Projekte, geblieben ist bis zum heutigen Tage nur der Druck, endlich regelmäßig Siege einzufahren. Fünfter in der Liga, das haben nicht viele Bayern-Trainer überlebt.

Null Bonus

Kaum auszudenken, was passiert, wenn Bayer Leverkusen die Bayern im DFB-Pokal demontiert. Was nicht unmöglich scheint, denn zum einen fehlen die indisponierten Luca Toni und Lahm. Zum anderen braucht der kriselnde Gegner ebenfalls Erfolge. "Wir sind eine agierende Mannschaft, und das sollten wir auch weiter tun", gibt Bayer-Trainer Bruno Labbadia die Marschroute vor.

Klinsmann spricht von einem "Alles-oder-Nichts-Spiel". Verliert er es, werden vermutlich auch Hoeneß und Rummenigge ihre Zuversicht verlieren. Konsequenzen nicht ausgeschlossen.

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