Analyse zum Müller-Wohlfahrt-Rücktritt Die Bayern-Familie zerbricht

Wenn zwei Gurus sich streiten, fehlt der Oberguru, der die Sache regelt. Uli Hoeneß sitzt im Knast. Er muss mit ansehen, wie sein Verein aufgibt, was ihn ausgezeichnet hat: den Familien-Gedanken.

Es hätte nicht verwundert, wenn in der vergangenen Nacht ein Ausbruch aus dem Gefängnis in Landsberg am Lech gemeldet worden wäre. Ebenso wenig verwunderlich wäre es gewesen, wenn Häftling Uli Hoeneß am Freitag wegen besonderer Vorkommnisse aus Versehen zu lange "auf der Arbeit" geblieben wäre. Von alldem ist nichts bekannt. Bekannt ist allerdings, dass der FC Bayern ins Chaos geschlittert ist, so sehr, dass man sagen könnte: Der FC Hollywood ist zurück. Mit schicken neuen Trikots vielleicht. Aber im Kern ist er doch der alte geblieben.

So viel Aufregung wie in den vergangenen drei Tagen gab es lange nicht mehr beim FC Bayern. Erst eine deutliche Niederlage in der Champions League, nicht gegen ebenbürtige Clubs wie Real Madrid oder den FC Barcelona, sondern gegen ein Team der zweiten Reihe, gegen den FC Porto. Das allein würde schon genug am Selbstverständnis der Münchner kratzen. Doch dann verabschiedet sich über Nacht auch noch der Teamdoc.

Nicht irgendeiner ist da gegangen, sondern der Arzt, der fast 40 Jahre lang auf der Bayern-Ersatzbank saß. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt ist ein Vereinsidol, ein Vorbild, ein wichtiger Ansprechpartner. Zum Abschied bekommt der Mann aber lediglich eine vier Sätze lange Botschaft vorgelesen und "großen Dank" zugesprochen. Das war's dann. Es gibt ja Wichtigeres. Sportliche Herausforderungen wie das Spiel gegen Hoffenheim warten. Nachfragen zum Thema unerwünscht.

Guardiolas falsches Spiel

Wenn man die Ereignisse der vergangenen Tage und Stunden so niederschreibt, glaubt man aus weiter Ferne Hoeneß' Kratzgeräusche an der Zellenwand zu vernehmen. Der ehemalige Manager und Präsident muss dabei zusehen, wie seinem Verein eine wichtige Führungsfigur abhanden kommt. Einen solchen Streit wie den aktuellen zwischen Müller-Wohlfahrt und Trainer Pep Guardiola hat es unter ihm zwar in der Klinsmann-Ära ebenfalls gegeben. Aber eigentlich zählt das nicht, denn Hoeneß regelte die Sache kurz und schmerzlos und setzte Klinsmann wenig später vor die Tür.

Und jetzt? Hängt der Haussegen vollkommen schief. Aber zugeben will das keiner. Guardiola sagte auf der Pressekonferenz lieber diplomatisch: "Ich bin verantwortlich für den Auftritt der Mannschaft in Porto." Was er natürlich damit meinte: Der Doc, der da so gekränkt gegangen ist, war es nicht. Dass Guardiola über Monate gegen die Arbeit von Müller-Wohlfahrt wetterte und er damit maßgeblichen Anteil am Abgang des Arztes haben dürfte, das verschwieg der Coach. Er präsentierte sich wie immer. Als kluger, lieber und bescheidener Trainer, der nichts im Sinn hat außer seinem Team (er nannte seine Spieler "Helden").

Hoeneß weg, Müller-Wohlfahrt weg

Vordergründig versuchen die Bayern also, die Heile-Welt-Fassade aufrecht zu erhalten. Doch hinter den Kulissen dürfte es in München ordentlich zur Sache gehen. Es war ein unnötiger Machtkampf, der da über Monate tobte. Guru gegen Guru. Medizin-Guru gegen Trainer-Guru. Der Medizin-Guru war es gewohnt, dass er die letzte Entscheidung in allen medizinischen Fragen traf, der Trainer-Guru empfand es aufgrund seiner vergangenen Position beim FC Barcelona ebenso als selbstverständlich, das letzte Wort zu haben. Es fehlte ganz offensichtlich der Ober-Guru, der beiden sagt, wo es langgeht. Der im Sinne des Clubs reinen Tisch macht und für eine Entscheidung sorgt.

Karl-Heinz Rummenigge schlug sich offenbar auf Guardiolas Seite, der Boss soll Müller-Wohlfahrt nach dem Porto-Spiel Vorwürfe gemacht haben. Er nimmt damit hin, dass ein Stück Vereinsgeschichte wegbröckelt. Man muss Müller-Wohlfahrt nicht vergöttern, er wusste seine Macht auszuspielen und fügt dem Verein durch den spontanen Rücktritt Schaden zu. Doch es wäre die Aufgabe der Führungsetage gewesen, den Arzt bei Laune zu halten, für einen Ausgleich zu sorgen und ihm nach allen Verdiensten, die er ohne Zweifel für den Club hat, einen stilvollen Abgang in die Rente zu ermöglichen. Rummenigge hat das nicht geschafft.

Bayern-Familie zerbricht

Dass viele Fans das Vorgehen kritisch sehen, ist verständlich. Müller-Wohlfahrt gehörte zur Bayern-Familie. Spieler, Trainer, Betreuer - den Mitgliedern des großen Bayern-Clans war immer eines sicher: der Respekt. Doch die Familie zerbricht nach und nach. Hoeneß weg, Müller-Wohlfahrt weg, einzig Hermann Gerland bleibt noch übrig.

Das aktuelle Signal muss so interpretiert werden: Der Respekt, er zählt nicht mehr so viel. Der Erfolg ist wichtiger. Oder um es mit den Worten von Bayern-Mediendirektor Markus Hörwick auf der Pressekonferenz zu sagen: "Wir müssen jetzt nicht nachhaken bei Dingen, die vergangen sind. Wir müssen uns aufs Sportliche konzentrieren."

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