Noch während Gianni Infantino seine Begrüßungsrede auf dem Fifa-Kongress in Doha hielt, kochte die Stimmung in den sozialen Medien hoch. Dafür lieferte der Präsident des Fußball-Weltverbandes den Usern gleich mehrere Gründe. Erst appellierte er salbungsvoll, "Konflikte und Kriege zu beenden". "Für unsere Kinder, für unsere Zukunft. Bitte, geht in den Dialog - auch mit dem schlimmsten Feind." Dann bezeichnete er die Weltmeisterschaft in Russland 2018 als "großartigen Erfolg", "sportlich wie kulturell". Es ist angesichts eines menschverachtenden Krieges gegen die Ukraine ein mehr als fragwürdiges Lob.
Schließlich sprach er die "schrecklichen Ereignissen in der Ukraine" direkt an und mahnte gleichzeitig die Kriege "auch in anderen Teilen der Welt" nicht zu vergessen, um diesen Part der Rede mit einem Zitat von keinem geringeren als Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela abzubinden, "dass Sport die Kraft habe, die Welt zu verändern".
Mit Putin verstand sich Infantino sehr gut
Den Aggressor Russland und dessen Fußball-Verband erwähnte er mit keinem Wort. Geschweige denn den russischen Präsidenten Wladimir Putin, mit dem sich Infantino vor Jahren noch so gut verstanden hatte.
Man muss offenbar Fifa-Präsident sein, um so eine rhetorische Soße anzurühren, ohne dabei rot zu werden. Und man muss ziemlich schamlos sein, um eine WM in Katar angesichts der gravierenden Menschenrechtsverletzungen und der Korruption bei der Vergabe als "die beste Weltmeisterschaft der Geschichte, die größte Show der Welt" zu preisen.
Wer gedacht hatte, dass der Kongress zumindest über eine Suspendierung des russischen Verbandes abstimmt, sah sich getäuscht. Stattdessen wurden die Ausschlüsse von Pakistan, Simbabwe und Kenia verlängert. Der russische Verband, der von der Teilnahme an der WM ausgeschlossen ist, war in Doha sogar mit einer mehrköpfigen Delegation präsent, die Landesflagge wurde normal gehisst. Von Distanz keine Spur. Die Ukrainer sandten per Video ein Grußwort aus der Heimat. Deren Verbandspräsident Andrej Pawelko fand deutliche Worte und prangerte den Aggressor Russland an. Das war dann doch möglich.
Leider ist seine Macht im Verband groß
Ein Twitter-User reagierte auf die Rede Infantinos lakonisch mit der rhetorischen Frage: "Hat da jemand ernsthaft was anderes erwartet?" Nein, muss man leider antworten. Dieser selbstverliebte Präsident, der sogar seinen Wohnsitz nach Doha verlegte, schafft es mit fast traumwandlerischer Sicherheit, sich immer mehr ins Abseits zu schießen.
Leider ist seine Position innerhalb der Fifa offenbar ziemlich gefestigt. Die Ermittlungen gegen ihn in der Schweiz, die Entmachtung des eigenen Ethikrats, seine Nähe zu den Autokraten dieser Welt und die Menschenrechtsverletzungen in Katar, die gescheiterten Pläne für einen WM-Rhythmus alle zwei Jahre (die er noch nicht ganz beerdigt hat) - an dem Schweizer perlt alles ab. Im nächsten Jahr stellt er sich zur Wiederwahl. Ein anderer Bewerber ist nicht in Sicht.