Fußball-Presseschau Nervöser HSV-Griff ans Gemächt

Die schreibende Zunft macht sich große Sorgen um den Liebling Werder Bremen. In Hamburg scheint man extrem nervös und gereizt zu sein und Eintracht Frankfurt ist der neue Bayern-Jäger - stern.de und "indirekter Freistoß" blicken in die Gazetten.

Ralf Wiegand ("Süddeutsche Zeitung") befasst sich bang mit der Frage, ob Werder Bremen dauerhaft auf dem Weg nach Unten ist: "Bremen setzt voll auf Spektakel und gewann, ähnlich der Gladbacher Fohlen-Elf aus den siebziger Jahren, Sympathien im ganzen Land für so viel Stil. Anders als Serienmeister Gladbach fehlt Werder heute aber der Ertrag: Der letzte Titel liegt vier Jahre zurück. Seitdem bekam Werder Beifall, aber keinen Pokal mehr." Mit Blick auf diese Saison schreibt Wiegand: "Für Werder begann das Problem spätestens mit dem Aus in der Champions League. Von da an verschlechterte sich zum Beispiel Diegos Laune sichtbar. Wo er früher Fouls im Dutzend lächelnd wegsteckte, explodiert er inzwischen fast vor Wut. Die Champions League wird in Brasilien wahrgenommen, ein Rennen um Platz 3 bis 5, das Werder nun annehmen muss, ist für Diego ähnlich reizvoll wie eine Kittelschürzen-Modenschau der Landfrauen für Heidi Klum. Für ihn und alle Spieler mit höheren Zielen ist in dieser Saison faktisch nichts mehr zu gewinnen. Da braucht es zur Höchstleistung schon doppelten Ehrgeiz. Das neue Ziel zu akzeptieren, das Platz 3 oder wenigstens 5 heißt, dürfte den Launefußballern schwerer fallen als ein doppelter Doppelpass. Verfehlen sie es, werden sie in jener Währung bezahlt, die Gladbach seit den Siebzigern begleitet: Mitleid."

Sebastian Stiekel ("Frankfurter Allgemeine Zeitung") klopft Werder auf Herz und Nieren ab und trifft eine besorgte Diagnose: "Formkrisen hat es in Bremen immer wieder mal gegeben in den vergangenen vier Jahren, aber keine hielt so lange an, wie die jetzige es tut. Werder hat neben dem Aus im Uefa- und DFB-Pokalwettbewerb nur acht Punkte geholt in diesem Jahr und ist vom ersten Herausforderer des FC Bayern München zum Gejagten der Frankfurter Eintracht an der Tabellenschwelle zwischen Uefa- und UI-Cup-Platz mutiert. Die Krise droht einen hohen Preis zu kosten, und auch das unterscheidet sie von ihren Vorläufern. Denn Werder läuft Gefahr, zum ersten Mal seit 2004 die Champions League zu verpassen, die zuletzt so beständig Einnahmen und Prestige des Klubs gemehrt hat."

Frank Heike ("Frankfurter Allgemeine Zeitung")

schildert den Hamburger Stress beim und nach dem 1:1 gegen Bielefeld: "Nach Mathijsen und Kompany vor einer Woche ist Jarolim der dritte Hamburger, der innerhalb von kurzer Zeit verhaltensauffällig wurde und nun gesperrt wird. Der HSV hat ein Disziplinproblem wie in den schlimmsten Zeiten unter Thomas Doll. Ein anderer Konflikt war zuvor aufgebrochen: die HSV-Mannschaft versus Rafael van der Vaart. Bastian Reinhardt hatte van der Vaarts Laufschwäche thematisiert. Ausgerechnet der erfahrene Reinhardt! Er gilt ja als gute Seele des Teams. Die Kritik an van der Vaart ist natürlich auch eine späte Rache für dessen Flirt mit Valencia im Spätsommer 2007. Und sie kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem nicht einmal Tore die schwachen Leistungen des müden und überspielten van der Vaart überdecken. Dass am Ende eines frustrierenden Nachmittags auch noch Huub Stevens seinen Pressesprecher Jörn Wolf in der Interviewzone roh zur Seite rempelte, weil dieser ihn auf ein weiteres TV-Interview hinwies, passte ins Bild: Beim HSV liegen die Nerven blank."

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Elisabeth Schlammerl ("Frankfurter Allgemeine Zeitung") lobt Nürnberg für das 1:1 gegen Bayern München, doch gibt er zu bedenken: "Den Nürnbergern könnte am Ende zum Verhängnis werden, dass sie ihre besten Auftritte in der Rückrunde gegen die beiden derzeit bestplatzierten Mannschaften hatten und nicht gegen die Mitkonkurrenten. Wie den Bayern hat der ‚Club' auch dem Hamburger SV ein Remis abgetrotzt und gute Ansätze dabei gezeigt, im Duell mit Cottbus und Rostock allerdings auch nur einen Punkt geholt. Die Bayern durften sich trotz der schlappen Leistung als Sieger wähnen, weil der Vorsprung an der Tabellenspitze nach wie vor sieben Punkte beträgt und der Gewinn des 21. Meistertitels wieder ein bisschen näher rückt."

Klaus Hoeltzenbein ("Süddeutsche Zeitung")

sind keine Unterschiede augenfällig geworden: "Es war ein Derby, in dem in einem Knäuel im Mittelfeld die sozialen Kontraste weggegrätscht werden, und in dem vom puren Augenschein nicht abzuleiten ist, warum die gut gestaffelten Nürnberger ganz unten stehen und die Münchner so einsam oben."

Schon wieder gewonnen, 2:0 in Leverkusen, in Blickkontakt zu den Champions-League-Plätzen geschlichen - und doch sehr kleinlaut geblieben. Philipp Selldorf ("Süddeutsche Zeitung") leitet die Frankfurter Furcht vor Übermut mentalitätshistorisch her: "Der unvermutet gute Zwischenstand ist dem Verein natürlich willkommen, doch man kennt seine gefährliche Rauschwirkung in einer Fußball-Stadt, die des Erfolgs und der Geltung entwöhnt ist, als ob Jahre der Prohibition hinter ihr lägen. Die Beharrlichkeit Friedhelm Funkels und des Vorstands Heribert Bruchhagen verdiente daher fast so viel Bewunderung wie der stabile Widerstand, den die Frankfurter gegen eine schließlich nur noch ratlos angreifende Bayer-Elf leisteten. (…) Im Laufe der dreieinhalb Funkel-Jahre hat die Eintracht konstant an Solidität gewonnen, auch in Leverkusen hat sich das wieder erwiesen, wo der Mannschaft trotz etlicher Ausfälle ein verdienter Sieg gelang."

Daniel Theweleit ("Stuttgarter Zeitung")

führt den Erfolg auf Defensivqualität zurück: "Gut möglich, dass die Eintracht sich tatsächlich im Bundesligamittelfeld um Clubs wie Borussia Dortmund oder Hannover 96 etabliert. Und vielleicht entwickelt sich Funkel auf dieser Grundlage zum legitimen Nachfolger von Huub Stevens. Zwar ist der Frankfurter Trainer weitaus umgänglicher, doch der Fußball, den die beiden Defensivliebhaber spielen lassen, ähnelt sich enorm. Wie erfolgreich dieser Stil sein kann, hat Stevens in seinen Bundesligajahren mit bemerkenswerter Konstanz vorgeführt."

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