Beim 9:0 gegen Liechtenstein überragt Leroy Sané und zeigt, dass er die Kritik seines Vorgesetzten Hansi Flick verstanden hat. Jetzt muss der Bundestrainer noch einen Platz für Ilkay Gündogan finden – einem hochveranlagten Fußballer, der mit dem Spiel der Nationalmannschaft fremdelt.
Mats Hummels ist nicht als unfairer Spieler bekannt, aber was er sich am Donnerstagabend im Wolfsburger Stadion leistete, war schon grob unsportlich. Und zwar am Spielfeldrand. Hummels wagte es, einen grün-beige karierten Wintermantel zu tragen – ein Teil von zweifelhafter Schönheit zwar, aber spektakulär genug, um seinem alten Cheftrainer Joachim Löw die Show zu stehlen.
Löw, grauer Mantel, rostbrauner Rollkragenpulli, ein Fashion Victim wie noch kein Bundestrainer vor ihm, wurde vor dem Länderspiel gegen Liechtenstein vom Deutschen Fußball Bund verabschiedet. Ein kleines Filmchen wurde abgespielt, Erinnerungen an den WM-Sieg geweckt, Flanke Schürrle, Schuss Götze, doch das Thema auf den Tribünen war weniger Löws Karrierebilanz als Hummels' Wintertextilie.
Nach drei WM-Qualifikationsspielen
Erste Bilanz unter Flick: Das sind die Gewinner und Verlierer im DFB-Team
1 von 9
Zurück
Weiter

© Robin Rudel / Picture Alliance
Gewinner: Leroy Sané ist sowas wie der Gewinner der drei WM-Qualifikationsspiele. Das Problemkind der Bayern erzielte zwei Tore, war einsatzfreudig, laufstark und hängte sich auch in der Defensive voll rein. Zuletzt hatten sie ihn in München viel kritisiert, seine Auftritte wirkten lust- und glücklos. Doch offenbar hat ihm irgendjemand ins Gewissen geredet und ihm erzählt, dass er eigentlich ein gottbegnadeter Kicker ist.
DFB-Team mit 27 Torchancen gegen Liechtenstein
Auf dem Platz, beim WM-Qualifikationsspiel gegen Liechtenstein, wirkte Hummels dann nicht mit. Löws Nachfolger Hansi Flick hatte dem Dortmunder Innenverteidiger eine Pause gegönnt. Vermisst wurde Hummels nicht. Er hätte auch bloß seinen Wintermantel aufs Spielfeld schicken können – Liechtenstein kam in 90 Minuten nur zu einer halben Torchance, die ungenutzt blieb. Beim DFB-Team war die Strichliste dagegen lang: 27 Chancen, neun Tore, es war der höchste Sieg einer deutschen Nationalmannschaft seit knapp 15 Jahren.
Bundestrainer Flick sagte nach dem Schlusspfiff, man habe "dem Jogi ein schönes Spiel zeigen wollen, und das ist dann ja auch gelungen."
Partie unterhaltsam, aber ohne Spannung
In der Tat war es eine unterhaltsame, wenn auch komplett spannungslose Partie. Flick nutzte sie für einige Experimente. Auf die Außenpositionen zum Beispiel stellte er Jonas Hofmann (Gladbach) und Christian Günther (Freiburg). Das funktionierte leidlich gut. Weder Hofmann noch Günther, die weit aufrückten, brachten gefährliche Bälle in den Liechtensteiner Strafraum. Schon nach wenigen Minuten verlagerte sich das Spiel deshalb ins Zentrum, wo Leon Goretzka Regie führte. Wie ein Staubsauger zog er den Ball an, fast alle Angriffe liefen über ihn.
Zur Halbzeit nahm Flick Goretzka vom Feld; eine Vorsichtsmaßnahme. In der neunten Minute war er von seinem Liechtensteiner Gegenspieler Hofer mit der Schuhsohle am Hals getroffen worden. Ein Kung-fu-Tritt, der mit einer Roten Karte und einem Elfmeter fürs DFB-Team bestraft wurde. Ilkay Gündogan verwandelte mit einem Flachschuss in die rechte Ecke.
Gündogan fremdelt mit der Spielweise der DFB-Elf
Das war schon Gündogans stärkste Szene; rätselhafterweise fremdelt er noch immer mit dem deutschen Spiel. Schon bei der missratenen Europameisterschaft im Sommer, noch unter Joachim Löw, ging Gündogan unter. Zuvor war er mit Manchester City englischer Meister geworden und dort einer der Leistungsträger gewesen. Kaum vorstellbar, wenn man ihn im DFB-Team spielen sah.
Auch am Donnerstag blieb er blass, kaum klare Aktionen, viel Kleinkunst. Flick hat noch kein System gefunden, in dem Gündogan seine herausragenden Qualitäten als Spielmacher zur Geltung bringen kann.
Hansi Flick als Bewährungshelfer
Aber wenn Flick eines beherrscht, dann die Rolle eines Bewährungshelfers. Ihm gelingt es immer wieder, strauchelnde Spieler zu stabilisieren und zurück ins Team zu führen. Die Resozialisierung von Leroy Sané ist bislang Flicks Meisterstück; gegen Liechtenstein gehörte der Münchener wieder einmal zu den auffälligsten Akteuren im DFB-Team.
Flick ist ein Spielerflüsterer, aber was er sagt, sind nicht immer nur nette Worte. Das bekam Sané zu spüren, als Flick noch sein Trainer beim FC Bayern war. Im Dezember 2020, im Bundesligaspiel gegen Bayer Leverkusen, wechselte Flick Sané in 32. Minute ein und in der 68. Minute wieder aus. Im Branchenjargon wird das "Höchststrafe" genannt. Flick bemerkte damals lakonisch: "Letztendlich geht es darum, dass die Mannschaft Erfolg hat. Da muss der Einzelne zurückstehen."
Leroy Sané wirkt wie verwandelt
Für Sané war das ein Wendepunkt. Er ist nun mehr als ein Flügelstürmer, oftmals lässt er sich weit zurückfallen und holt sich Bälle aus der eigenen Abwehr. Er, der lange Zeit im Ruf stand, ein launischer Künstlertyp zu sein; einer, der die unspektakulären, kraftraubenden Jobs auf dem Rasen scheut. Schon seit Wochen wirkt Sané wie verwandelt, nicht nur in der Nationalmannschaft, auch beim FC Bayern.
Nach seinem starken Auftritt gegen Liechtenstein, den er mit zwei Toren krönte, wird Sané womöglich eine Pause von Flick bekommen. Das DFB-Team ist längst für die Weltmeisterschaft 2022 in Katar qualifiziert – auch die Partie am Sonntag gegen Armenien (18 Uhr, RTL) darf als Trainingsspiel auf gehobenem Niveau begriffen werden. Flick wird sein Personalpuzzle weiterspielen. Mal schauen, ob er diesmal für Ilkay Gündogan einen passenden Platz findet.