Absturz auf 18. Tabellenplatz Eine Geschichte des Wahnsinns: Wie Hertha BSC Berlin sich selbst (fast) ruiniert hat

Am Freitagabend war Sandro Schwarz noch Trainer von Hertha BSC Berlin
Resigniert am Spielfeldrand: Am Freitagabend war Sandro Schwarz noch Trainer von Hertha BSC Berlin, als es gegen Schalke eine  Niederlage setzte
© David Inderlied / DPA
Hertha BSC Berlin ist auf den letzten Tabellenplatz abgestürzt und hat den Trainer entlassen. Jetzt soll Pal Dardai (mal wieder) den Klub retten. Das Führungschaos, das den Verein in den letzten Jahren zu Grunde gerichtet hat, wird er nicht beseitigen.

Wer sich einen Eindruck vom sportlichen Elend machten wollte, dass bei der "alten Dame" Hertha BSC Berlin gerade vorherrscht, pilgerte am vergangenen Freitagabend in die Arena auf Schalke. Dort bat Tabellenschlusslicht Schalke den Tabellenvorletzten aus der Hauptstadt zum Abstiegsduell vor ausverkauftem Haus. Exakt 61.981 Zuschauer wollten sich die Partie anschauen. Es ging nicht, das war allen klar, um guten Fußball, sondern um Kampf, Schweiß und – je nachdem – Tränen oder Triumph.

Für den Triumph waren schließlich die Hausherren zuständig. Mit 5:2 besiegten motivierte Schalker eine Berliner Mannschaft, der man zwischendurch gewünscht hätte, dass Schiedsrichter Felix Brych das Spiel vorzeitig beendete, um die Qualen der Fans und der Spieler ein wenig zu lindern. Zum Leidwesen der Hertha-Anhänger gibt es eine solche Regel im Fußball nicht und so trat die Krise der "alten Tante" über die volle Spiellänge überdeutlich zu Tage: Das Team zeigte sich zutiefst verunsichert, fahrig und in vielen Szenen nicht erstligareif. Die große Ausnahme war Marco Richter, der sich voll reinhängte. Doch ein Spieler allein kann die schwachen Leistungen der anderen zehn Spieler auf dem Platz nicht kompensieren. Hertha ist nun Tabellenletzter und hat sechs Spiele Zeit, die Katastrophe eines Abstiegs abzuwenden.

Einmal die komplette Führung ausgetauscht

Trainer Sandro Schwarz, der erst zu Saisonbeginn gekommen war, traute man die Aufgabe nicht mehr zu. Schwarz vermochte es nicht, aus der Hertha eine stabile Einheit zu formen. Besser als Platz 13 stand die Mannschaft in der aktuellen Saison nie da. Dem sportlichen Offenbarungseid am Freitagabend folgten die üblichen Mechanismen der Branche: Krisensitzung, Trainerentlassung und Ernennung eines Interimscoach, der den Verein vor dem Abstieg retten soll. Der "Retter" heißt Pal Dardai. Der Rekordspieler der Hertha macht den Job jetzt zum dritten Mal. Wenn nichts mehr hilft, greift man auch in Berlin auf Altbewährtes zurück. Das Problem: Auch Dardai wird die grundlegenden Probleme des Klubs nicht lösen. Denn die reichen tiefer und sind das Ergebnis einer Entwicklung, die in den vergangenen Jahren wahlweise für Kopfschütteln, Verzweiflung oder große Lacher sorgte. Je nachdem, wie man auf den Hauptstadtklub schaute.

Allein im vergangenen Jahr tauschte der Klub die komplette Führung einmal aus. Trainer, Präsident, Sportchef und Investor mussten gehen genau wie Finanzchef, Kaderplaner und Chefscout. "Der ständige Umbruch ist die einzige Konstante", schrieb das Fachmagazin "kicker". Vielleicht hatte Schwarz als Trainer in so einem Umfeld keine Chance. 

Die Personalumbrüche und der sportliche Niedergang haben ihren Ursprung in einer Entscheidung, die im Jahr 2019 gefällt wurde. Sie ist der Ausgangspunkt zahlreicher negativer Entwicklungen, die den Verein seitdem an den Rand des Abgrunds gebracht haben. Damals stieg Investor Lars Windhorst mit seiner Tennor Holding B.V. bei der Hertha ein. Es war eine Sensation, Hertha sollte das nächste große Ding im deutschen Fußball werden. Windhorst wollte mit seinen Geld einen großen Klub formen, der national und international vorne mitspielt. Dazu prägte der umstrittene Investor das unglückliche Wort vom Big City Club. Schon damals amüsierte sich die Branche über den Begriff – und sollte mit ihrem Spott recht behalten: Hertha ist seitdem von einer Krise in die nächste gestürzt.

Jürgen Klinsmann sollte Hertha BSC Berlin umkrempeln

In Zahlen: 374 Millionen Euro pumpte Windhorst in den Verein – ohne zählbaren sportlichen Ertrag. Schulden, teure Transfers (inklusive Beraterhonorare) und die Einnahmeausfälle in der Coronakrise fraßen das Geld. Wie Hertha ohne die Investor-Millionen überlebt hätte, ist nicht ganz klar. Nur sportliche Grandessa stellte sich nicht ein. Im Gegenteil: Das viele Geld verstärkte die Intrigen und Grabenkämpfe.

Auf Windhorsts Betreiben wurde Jürgen Klinsmann als Trainer geholt. Der blonde Schwabe mit Wohnsitz Kalifornien sollte den Verein sportlich wie strukturell umkrempeln. Das Engagement erweis sich aber schnell als eines der größten Missverständnisse, die der deutsche Vereinsfußball vielleicht jemals erlebt hat. Im Februar 2021, drei Monate nach Antritt des Trainerpostens, kündigte Klinsmann wieder, und zwar für alle (besonders für die Klub-Führung) vollkommen überraschend und mit einem lauten Knall. 

Die Art der Trennung gehört seitdem fest zum Anekdoten-Schatz der Bundesliga. Auf Facebook veröffentlichte Klinsmann damals ein Statement. Er könne im Abstiegskampf sein "Potenzial als Trainer nicht ausschöpfen", schrieb er. Tage später wurden Notizen Klinsmanns bekannt, in denen er Hertha ein desaströses Zeugnis ausstellte. Er sprach von einer "Lügenkultur" und kritisierte den Verein fundamental: "Der Klub hat keine Leistungskultur, nur Besitzstandsdenken und es fehlt jegliches Charisma in der Geschäftsleitung." Zuvor hatte er eben mal 80 Millionen Euro für Wintertransfers ausgegeben, die sich als komplette Fehlinvestition erwiesen. Seinen Job als Aufsichtsrat war er damit ebenfalls los.

Tiefe Verwerfungen in der Vereinsführung

Die Episode um Klinsmann legte erstmals tiefe Verwerfungen in der gesamten Vereinsführung offen. Investor Windhorst schoss gegen den Präsidenten Werner Gegenbauer und Manager Michael Preetz, die wiederum wollten sich den Machtgelüsten des Investors nicht beugen. Preetz räumte schließlich im Januar 2021 nach elfeinhalb Jahren den Posten als Manager. Ihm folgte im Sommer Fredi Bobic, der bei seinem Dienstantritt davon ausging, dass er aus vollen Kassen schöpfen kann. Das war ein Irrtum. Bobic sah sich auf einmal in der Rolle des Sparers und Sanierers.  

Im Sommer 2022 folgte Hertha-Ultra Kay Bernstein als Präsident auf Werner Gegenbauer. In seiner Bewerbungsrede auf der Mitgliederversammlung sprach er von einem "einen ehrlichen Neustart" und einer "Entgiftung von innen heraus", zudem brauche der Verein einen "Burgfrieden". Bernstein wusste, worauf er sich einließ. Im Januar hatte Windhorst bereits öffentlich bekundet, dass er die Investition in Hertha bereute. Das wiederum hielt ihn offenbar nicht davon ab, eine israelische Privatdetektei damit zu beauftragen, in den sozialen Medien Stimmung gegen Gegenbauer zu machen, wie sich im Herbst 2022 durch einen Medienbericht herausstellte.

Das Problem löste Bernstein, indem er einen anderen Investors an Bord holte, die Investmentgruppe 777 Partners aus den USA. Die US-Amerikaner übernahmen im März die 64,7 Prozent der Hertha BSC KGaA von Windhorst. Das nützte Bobic wiederum nichts. Der Manager war im Januar, als sich die Zusammenarbeit mit 777 Partners abzeichnete, von Hertha gefeuert worden. Die "Sport Bild" sprach von einer "Schlammschlacht".

Gleichzeitig setzte sich in den Jahren der sportliche Niedergang kontinuierlich fort. Bruno Labbadia hielt die Hertha 2020 in der Bundesliga, Pal Dardai (bei seinem 2. Engagement) gelang 2021 die Rettung, wurde in der Folge aber von Bobic geschasst, weil der ihm nicht zutraute, die Mannschaft zu entwickeln. Stattdessen installierte Bobic den glücklosen Tayfun Korkut, der im März 2022 durch Felix Magath ersetzt wurde. Magath rettete Hertha in der Relegation gegen den Hamburger SV vor dem Abstieg. Mit neuen Saison übernahm Schwarz, der jetzt erneut durch Dardai ersetzt wurde. Fortsetzung folgt. 

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