Es lief die 77. Minute in der HSH Nordbank Arena in Hamburg, als Bundestrainer Joachim Löw ein Einsehen mit seinem glücklosen Stürmer Mario Gomez hatte und ihn vom Platz nahm. Unter den gellenden Pfiffen des norddeutschen Publikums trottete der Bayern-Angreifer mit gesenktem Kopf zur Außenlinie, klatschte dort noch seinen kurz vor der Einwechselung stehenden Teamkollegen Miroslav Klose ab und begab sich auf die Ersatzbank. Für Gomez muss sich das wie eine Befreiung angefühlt haben. Bloß raus aus dem Rampenlicht. Bloß weg hier.
Das traditionell kritische Hamburger Publikum hatte sich bis zu jener 77. Minute mehr und mehr auf Gomez eingeschossen. Das war nicht ganz fair, denn der Stürmer, der für seinen Club, den FC Bayern, zuletzt am 22. September im Pokal gegen Oberhausen getroffen hat, war längst nicht der schwächste deutsche Spieler an diesem bitterkalten Abend an der Elbe. Beim am Ende gleichsam glücklichen wie enttäuschenden 1:1 im bedeutungslos gewordenen letzten WM-Qualifikationsspiel gegen Finnland fiel gleich eine ganze Reihe Nationalspieler durch den Leistungstest. Zum Beispiel der psychisch blockierte Stuttgarter Thomas Hitzlsperger, oder auch sein Teamkollege Cacau, der in dieser deutschen B-Mannschaft wie ein Fremdkörper wirkte. Aber das kritische Fußballvolk sucht sich eben immer nur einen Sündenbock. Mario Gomez kennt diese Rolle schon.
Löws Taktik geht erst spät auf
Seit der vergebenen Riesenchance im EM-Spiel gegen Österreich bekommt der Mann vom FC Bayern im Nationalteam einfach kein Bein an Deck. Er trägt den DFB-Komplex mit sich herum wie einen schweren Stein in einem Rucksack. Nichts will ihm im schwarz-weißen Dress gelingen. Löw war hinterher überraschenderweise nicht unzufrieden mit seinem Angreifer. "Was ich von ihm in diesem Spiel erwartet habe, habe ich gesehen. Er war präsent, er ist den Bällen nachgegangen. Auch wenn ihm nicht viel gelungen ist, er war engagiert und genau das wollte ich von ihm sehen", sagte der Bundestrainer. Stürmer werden aber nicht an ihrem Engagement gemessen - sondern an Toren.
Gegen die clever agierenden Finnen tat sich die DFB-Auswahl besonders in der ersten Hälfte schwer. Löws 4-3-3-Taktik mit den drei Angreifern Podolski, Gomez und Cacau ging nicht auf. Es fehlte permanent ein zusätzlicher Mann im Mittelfeld. Der Trainer korrigierte sein System in den zweiten 45 Minuten und ließ jetzt nur noch mit zwei Stürmern - und dafür einem zusätzlichen Mittelfeldakteur - spielen. Das klappte auch besser, aber mehr als der glückliche Stochertreffer kurz vor Schluss zum 1:1 durch Lukas Podolski ("eines der schönsten Tore meiner Karriere") sprang dabei nicht heraus.
Ballack ohne Verständnis für die Fans
Der Mannschaft war das im Grunde egal. Sie hatte die WM-Qualifikation mit einer famosen Leistung in Moskau gegen Russland ja schon perfekt gemacht. Mit diesem laschen Auftritt von Hamburg war fast schon zu rechnen. Wie sagte Kapitän Michael Ballack so treffend nach der Partie: "Der Druck hat gefehlt, die Spannung war nicht mehr da." Das Hamburger Publikum wollte das aber partout nicht als Ausrede gelten lassen. Und so pfiff es sich die Seele aus dem Leib.
Pfiffe, die Ballack nicht akzeptieren wollte. Der "Capitano" ging hinterher auf Distanz zu den eigenen Fans. "Für die Pfiffe habe ich kein Verständnis. Das ging ja schon nach 20 Minuten los. Die Fans haben heute das nötige Fingerspitzengefühl vermissen lassen", sagte Ballack. "Eigentlich hätte das Team nach der Leistung von Moskau Applaus verdient. Schade, dass es anders gekommen ist."
Mario Gomez hatte nach seiner enttäuschenden Leistung keinen Applaus verdient. Die Pfiffe gegen ihn waren in gewisser Weise berechtigt. Und doch konnte einem der Bayern-Stürmer Leid tun. Weil der Abend von Hamburg für ihn eine Niederlage in doppelter Hinsicht war. In der Nationalmannschaft hat sich seine Position im Sturm durch die gezeigte Leistung gegen Finnland eher verschlechtert. Das Länderspiel hätte für Gomez aber auch aus bayerischer Clubsicht kaum schlechter laufen können. Ausgerechnet Klose, sein Sturmrivale beim FC Bayern, sorgte nach seiner Einwechslung in nur 16 Minuten bis zum Schlusspfiff für mehr Belebung als Gomez zuvor in seiner weit längeren Einsatzzeit. Unter anderem bereitete Klose den 1:1-Ausgleichstreffer von Podolski vor. "Mario Gomez muss jetzt einen Weg finden, wie er bei den Bayern in die Mannschaft findet", sagte Günter Netzer nach dem Spiel noch. Nach der Finnland-Partie wird das jetzt immer schwieriger für den Stürmer.
Der Buhmann von Hamburg war hinterher übrigens nicht zu sprechen. Als einer der wenigen Nationalspieler suchte der frisch geduschte und in jeder Hinsicht glänzend frisierte Gomez den direkten Weg vorbei an der Presse in den Mannschaftsbus. Das war zwar nicht gerade professionell, aber doch auch verständlich.