"Ich habe immer noch Probleme, zu schlafen". Es war der traurigste Satz an diesem Wochenende und Roman Bürki, der Torwart von Borussia Dortmund hat ihn der Schweizer Tageszeitung "Der Bund" gesagt. "Immer noch nicht" - nichts illustriert die Terminhatz, den Druck, die rastlose Geschäftigkeit des Profifußballs besser als der Umstand, dass ein Profifußballer gerade einmal vier Tage nach einem Anschlag auf sich und seine Kollegen so etwas feststellen muss.
Die Profis von Borussia Dortmund müssen sich seit dem frühen Dienstagabend vorkommen wie in einem grotesken Gruselschocker, in dem sie, ohne vorher gefragt zu werden, die Hauptrollen spielen.
Wiederansetzung als Zeichen gegen Terror?
Allein die bloßen Fakten: Die Mannschaft wird am Dienstagabend Opfer eines Bombenattentat und es ist offenbar nur bloßes Glück, dass der Sprengsatz verspätet zündete und mit Marc Bartra nur ein Spieler körperlich verletzt wird. Noch während die Mannschaft verstört auf Informationen wartet, noch während nicht einmal ansatzweise klar ist, wer diesen Anschlag verübt hat und ob womöglich weiter Gefahr für die Spieler besteht, verkündet die Uefa in Lyon, dass das Spiel am nächsten Tag nachgeholt werden wird. So lapidar, als sei der Platz unbespielbar gewesen oder wie Thomas Tuchel es ausdrückte, "als ob eine Bierdose gegen den Bus geflogen" sei.
Seither herrscht der nackte Wahnsinn. Schon am nächsten Abend muss das Team wieder ran. Weil der auf der Kante genähte Terminkalender des Spitzenfußballs keine Ausfälle zulässt, weil finanzielle Ausfälle drohen, weil die Uefa das nun mal so bestimmt hat und weil ausschließlich eine rasche Wiederansetzung ein Zeichen gegen den Terror ist. Dass es den Spielern schlecht geht, dass sie nicht spielen wollen, wird ebenso geflissentlich ignoriert wie das wichtigste Gebot der Traumabewältigung, den Betroffenen "Sicherheit und Beruhigung" zu garantieren. Es ist der Mannschaft hoch anzurechnen, dass sie das Champions-League-Spiel gegen Monaco dennoch klaglos absolviert und erst hinterher über ihre Nöte, Ängste und Belastung spricht.
BVB-Boss Watzke pausenlos auf Sendung
Es ist ein Wahnsinn, der den BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke ergriffen hat, der seit dem Anschlag nahezu pausenlos auf Sendung ist und der womöglich gar nicht merkt, wie sehr sein alarmistischer Unterton ("Sonst haben die Täter gesiegt!"), seine staatsmännischen Appelle ("Vor dem Terror nicht einknicken") und seine angesichts der ungeklärten Täterschaft reichlich gewagten Thesen ("ein Angriff auf die Bundesrepublik") den Druck auf die Mannschaft erhöht haben. Dass er behauptete, es habe jedem Spieler freigestanden, gegen Monaco nicht zu spielen, ist angesichts dieser grotesk übersteigerten Erwartungshaltung nicht einmal ein schlechter Witz. Es ist ein Wahnsinn, der die Politik fest gepackt hat. Was hat eigentlich Innenminister Thomas de Maiziere und Angela Merkel geritten, die beide offenbar für eine rasche Wiederansetzung des Spiels plädierten? Ist es inzwischen zugunsten der Staatsraison und vermeintlich starker Zeichen gegen den Terror üblich geworden, die Bedürfnisse der unmittelbar betroffenen Menschen zu ignorieren? Und ist inzwischen die zwanghafte Beibehaltung vermeintlichen Alltags die einzige Möglichkeit, mit Attacken und Anschlägen umzugehen? Ist wirklich jeder Moment des Innehaltens und des Abwägens schon ein Sieg des Terrors?

Es ist ein Wahnsinn, der die Funktionäre eh längst im Würgegriff hat, für die Spiele im Profifußball offenbar nur noch als Zahlenkolonnen in Excel-Tabellen existieren und deren Gegenwert nicht mehr in Freude der Anhänger, sondern nur noch in Überweisungen von Fernsehsendern existiert. Nichts kann das besser illustrieren, als der Umstand, dass binnen zwei Stunden der neue Austragungstermin feststand – ohne jede Konsultation der Spieler.
Und es ist schließlich ein Wahnsinn, der letztlich auch uns Anhänger gepackt hat. Weil wir akzeptieren, dass ein Fußballspiel zum Fanal gegen den Terror überhöht wird. Weil wir zulassen, dass traumatisierte Kicker auf den Platz gescheucht werden, wenn es finanzielle Interessen und vermeintliche Staatsraison so befehlen. Und weil wir fleißig die Illusion aufrecht erhalten, dass schon am Samstag in der Bundesliga wieder der Alltag eingekehrt ist. 3:1 gegen Frankfurt und in der Presse war schon wieder von "Gänsehautmomenten" zu lesen. All das nur vier Tage nach einem Bombenanschlag auf eine Fußballmannschaft.
Und Roman Bürki hat immer noch Probleme, zu schlafen.