Viel ist in den letzten Wochen über die Grenzen der Kommerzialisierung im Fußball gesprochen worden. Seit die Zuschauer beim DFB-Pokalfinale Helene Fischers Halbplayback aus dem Stadion pfiffen, gilt als ausgemacht, dass der Fußball zu seinen Wurzeln zurückkehren müsse, wieder authentischer werden müsse. Motto: wieder mehr Sport als Show.
Das klang zunächst einmal gar nicht so verkehrt. Etwas weniger Theater und aufgeblasenes Entertainment, weg von versponsorten Einlaufeskorten, albernen Man-of-the-Match-Ehrungen und Konfettikanonen. Und weg auch von dieser ganzen künstlichen Aufregung, die aus jedem harmlosen Streit einen Megazoff macht und aus jedem halbwegs talentierten Talent den nächsten Lionel Messi.
Doch leider ist da gar nichts mehr zu machen. Den Fußball vor überbordendem Kommerz zu retten, ist so aussichtsreich, wie zu versuchen, ein tiefgefrorenes Hähnchen wiederzubeleben. Wer begreifen will, wie sehr sich der Profifußball inzwischen als gigantische und künstlich aufgeblasene Verkaufsveranstaltung begreift, musste dazu nur am letzten Wochenende schauen, wie sich der internationale Fußball beim Finale der Champions League inszeniert.
CL-Finale: Kommerzialisierung in Perfektion
Nirgendwo sonst lässt sich ja die inzwischen perfektionierte Kommerzialisierung der Fußballwelt eindringlicher betrachten als bei diesen Endspielen. Ganze Blöcke im Millenium-Stadium waren für Sponsoren reserviert, der Stadionsprecher war eine Mischung aus Marktschreier und öligem Conferencier, das Bier selbstredend alkoholfrei und das Rahmenprogramm erkennbar nicht für die Zuschauer im Stadion, sondern fürs Fernsehen gestaltet, sonst hätte nicht die Hälfte der Zuschauer lediglich die wackelnden Hintern der Sänger der Back Eyed Peas gesehen. Was das Publikum, by the way, nicht sonderlich störte. Die Zuschauer waren nämlich vollends damit beschäftigt, immer dann besonders laut zu kreischen und zu winken, wenn sie gerade auf der Stadionleinwand auftauchten.
Nun ist prinzipiell gegen Sponsoren nichts einzuwenden. Sie finanzieren das System Profifußball genauso wie die Fernsehsender und das Publikum. Der Vorwurf geht eher an die Verbände und Klubs, die immer neue Möglichkeiten suchen, den Profifußball zur Verkaufsplattform umzugestalten. Und wenn das dazu führt, dass nur noch ein Bruchteil der Karten für ein solches Finale in den freien Verkauf geht und sich am Ende ein Publikum im spanischen Block wiederfindet, das beim Vereinslied von Real Madrid nur ratlos die Lippen bewegt, weil es das Lied gerade zum ersten Mal hört, ist das der Stimmung eher abträglich.
Blanker Wahnsinn: Ein normales Fußballwochenende
Vollends grotesk wurde es nach dem Abpfiff, als die Kinder und Frauen der Spieler aus Madrid auf den Rasen strömten, um den Spielern zu gratulieren. Nicht nur, weil die Kicker selbst im Gespräch mit ihren Familien krampfhaft die Hand vor den Mund hielten, damit kein Lippenleser die gesprochenen Worte entschlüsseln konnte. Sondern auch weil die Familien rasch von entschlossenen Ordnern eingekesselt wurden, die dafür zu sorgen hatten, dass bloß kein Kind versehentlich durchs Bild stolpert, während auf die Bühne der Pokal überreicht wird. Ein Kind, das bereits zuvor die Empore erklommen hatte, wurde von einem Offiziellen derart entschlossen verscheucht, dass man zwischendurch regelrechte Angst um den Knirps bekam.
Eine Stunde nach Abpfiff waren die Straßen rund ums Stadion bereits wieder leergefegt. Und auf dem Flughafen der walisischen Hauptstadt hoben ab ein Uhr nachts beinahe im Minutentakt hunderte Flugzeuge ab, bis in den frühen Morgen.
Kurzum, es war der blanke Wahnsinn. Und zugleich ein ganz normales Fußballwochenende.
