P. Köster: Kabinenpredigt Der Letzte macht die Uhr aus!

Noch läuft die Uhr im Hamburger Volksparkstadion und prahlt mit 54 Jahren Erstliga-Fußball
Noch läuft die Uhr im Hamburger Volksparkstadion und prahlt mit 54 Jahren Erstliga-Fußball
© Fotostand/Weller / Picture Alliance
Um den Hamburger SV doch noch zu retten, bräuchte es eine Kraftanstrengung der Funktionäre, Spieler und Fans. Stattdessen werden Durchhalteparolen gedroschen, meint stern-Stimme Philipp Köster.

Wenn es jemand gut mit dem Hamburger SV meint, dann verschafft er sich in den nächsten Tagen diskret Zutritt zum Volksparkstadion, sucht dort den Sicherungsraum und schaltet die verdammte Uhr aus, die seit einigen Jahren die Dauer der Erstligazugehörigkeit des Klubs anzeigt. Einst war die Uhr nur ein schlechter Marketinggag, inzwischen jedoch ist sie das Symbol für all das, was im letzten Jahrzehnt beim HSV schief gegangen ist. Weil sie das anzeigt, was bei diesem Klub noch zählt. Keine Titel, keine Trophäen, sondern nur noch das Ziel, irgendwie in der ersten Liga bleiben.

Realistisch betrachtet, dürfte sich die Dauerzugehörigkeit des Hamburger SV tatsächlich im Mai diesen Jahres erledigt haben. Am Wochenende bei Werder Bremen verloren, inzwischen sieben Punkte Rückstand sogar auf den Relegationsplatz, ein zunehmend ratloser Coach und eine verbal irrlichternde Führung. Es gab schon bessere Ausgangspositionen, zumal der eigentlich schon klinisch tote Tabellenletzte aus Köln deutlich gewillter scheint, eine tollkühne Aufholjagd zu starten.

Der HSV sollte sich zusammenreißen

Philipp Köster: Kabinenpredigt

Philipp Köster, Jahrgang 1972, ist Gründer und Chefredakteur des Fußballmagazins "11 Freunde". Er sammelt Trikots und Stadionhefte, kennt den rumänischen Meister von 1984 und kann die Startelf von Borussia Dortmund im Relegationsspiel 1986 gegen Fortuna Köln auswendig aufsagen: Eike Immel, Frank Pagelsdorf, Bernd Storck, ... Außerdem ist er Autor zahlreicher Fußballbücher, unter anderem über die Geschichte der Fußball-Bundesliga, und wurde 2010 als "Sportjournalist des Jahres" ausgezeichnet. Vor allem ist er Anhänger der ruhmreichen Arminia aus Bielefeld.

Sicher, es gibt zahllose Gründe, entnervt die Waffen zu strecken. Wie aus einem nationalen Spitzenklub einer dauerhafter Abstiegskandidat werden konnte, ist oft genug beschrieben worden. Ständige Personalwechsel in der Führung, finanzielle Abenteuer, mangelnder sportlicher Weitblick, rausgeworfene Trainer en gros, dazu die fatale Abhängigkeit von erratischen Sponsoren wie Klaus-Michael Kühne, die mit ihren externen Beratern immer dann hineinfunkten, wenn es der Klub am allerwenigstens gebrauchen konnte. Und wenn es in den letzten Jahren mal Ansätze für eine nachhaltige sportliche Entwicklung gab, so sorgten verworrene Strukturen, finanzielle Nöte und ein trotz der ständigen Talfahrt einfach nicht totzukriegender Größenwahn verlässlich für neues Chaos.

Und trotzdem bleibt erstaunlich, dass sich Anhänger, Funktionäre und Spieler nicht doch noch einmal zu einem wirklichen Kraftakt aufraffen wollen. Anstatt aus der Fankurve blindlings Feuerwerk aufs Feld zu schmeißen, zaghaft über den Rasen zu schleichen und hinterher den Videoschiedsrichter anzupöbeln, gemeinsam alle Kräfte zu mobilisieren – das wäre immerhin mal ein Plan. Wie das geht, haben andere Klubs vorgemacht, allen voran Werder Bremen, der Gegner vom letzten Samstag. Dazu bräuchte es aber mehr als nur die Durchhalteparolen, die derzeit zu hören sind. Dass Heribert Bruchhagen allen Ernstes von einer "Eigendynamik des Erfolges" spricht, die sich nach einem Sieg gegen Mainz am nächsten Wochenende einstellen könne, ist schon fast tragikomisch, wo doch derzeit nichts offenkundiger ist als die Eigendynamik des Misserfolges. Und Trainer Bernd Hollerbachs Beteuerung ("Wir haben uns noch nicht aufgegeben") klangt ebenfalls erstaunlich verzagt.

Die Mär vom "Gesundschrumpfen"

Dabei steht für den Klub unfassbar viel auf dem Spiel. Beispiele wie der 1.FC Köln und der VfB Stuttgart zeigen, wie nachhaltig Abstiege und die damit verbundenen finanziellen Kraftakte die sportliche Entwicklung ambitionierter Klubs zurückwerfen. Immer wieder ist mal zu hören, ein Neuanfang in der Zweiten Liga wäre doch gar nicht schlecht für den Hamburger SV. Es ist dies ähnlich gefährlicher Unsinn, wie die ebenfalls beliebte wie falsche Phrase, im Unterhaus könne sich der Renommierklub "gesundschrumpfen". Nichts von alledem stimmt. Es gibt einfach nur weniger Geld.

Um so wichtiger wäre ja, nun noch einmal die Kräfte zu mobilisieren, die Spieler in die Pflicht zu nehmen, den Schulterschluss mit dem Publikum zu suchen. Keine einfache Angelegenheit, nach all den Enttäuschungen der letzten Jahre. Aber immerhin einen Versuch wert.

Oder es erbarmt sich einer und schaltet tatsächlich die Uhr ab.

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