Rücktritt als Bundestrainer im Sommer? Als vor ein paar Monaten die DFB-Spitze bei Joachim Löw vorfühlte, ob er nicht eventuell nach der Europameisterschaft freiwillig Platz machen könne, hat der Coach noch empört reagiert. Nun aber verkündete Löw selbst seine baldige Demission – nach 15 Jahren als Bundestrainer und zwar "ganz bewusst, voller Stolz und mit riesiger Dankbarkeit, gleichzeitig aber weiterhin mit einer ungebrochen großen Motivation".
Nun gehört es zum kleinen Einmaleins der Krisenkommunikation, derlei Rücktrittserklärungen möglichst pathetisch zu formulieren, um gar nicht erst den unschönen Eindruck entstehen zu lassen, man habe diesen Schritt nicht freiwillig vollzogen. Im Falle Jogi Löws verhielt es sich nämlich genau so, dass der Bundestrainer durchaus noch gerne bis zur WM 2022 oder eventuell sogar bis zur Europameisterschaft im eigenen Land 2024 weitergemacht hätte. Schließlich ist es ein angenehmes Leben als Bundestrainer und es gibt es für ihn, den mittlerweile 61-jährigen, keine allzu attraktiven Joboptionen im Profifußball mehr.
Noch kann Löw das Ende als Bundestrainer selbst bestimmen
Es muss sich aber irgendwann, rund um den Jahreswechsel, die Erkenntnis bei Löw durchgesetzt haben, dass sich das Zeitfenster für ein selbstbestimmtes Ende als Bundestrainer rasch schließen würde. Mitten in der EM-Vorbereitung seinen baldigen Rücktritt zu verkünden, war für Löw ebenso wenig vorstellbar, wie nach einer verkorksten EM von Medien und Funktionären vom Hof gejagt zu werden. Nun hingegen ist er wieder Herr des Verfahrens, einen eh rücktrittswilligen Trainer kann man nicht mehr feuern – ein gerade noch rechtzeitiger Akt der Denkmalpflege.
Denn klar ist auch: Allzuviel Kredit hatte Löw nicht mehr. Nicht bei den Anhängern, die dem Coach das desaströse Auftreten bei der WM in Russland ebenso übel nahmen wie den entrückten Habitus in den letzten Monaten. Nicht bei den Funktionären, denen die offenkundige Abhärtung gegen jedwede Kritik auf die Nerven ging. Und nicht bei den Spielern, die zunehmend an den Konzepten des Coachs zweifelten - das 0:6 gegen Spanien war ja nur das deutlichste Zeichen, wie erodiert Löws Autorität bei der Mannschaft zuletzt war.
Macht das Team Löw ein Abschiedsgeschenk?
Natürlich stellen sich jetzt zwei Fragen: Erstens, wie wohl die Mannschaft auf den bevorstehenden Abgang des Trainers reagieren wird? Empfindet sie die beendete Debatte um die Zukunft des Coachs als Befreiung und begreift es nun als Mission, dem Weltmeister-Trainer als Abschiedsgeschenk noch, sagen wir mal, eine gesichtswahrende Halbfinal-Teilnahme zu überreichen? Schön wär's, aber die massiven Probleme der Mannschaft in der Innenverteidigung und im Spielaufbau löst auch die Löw'sche Pressemitteilung nicht.
Die zweite und auf Sicht deutliche spannendere Frage: Wer wird wohl der Nachfolger? Eher Hansi Flick, der mit sechs Titeln in einem Jahr mit den Bayern von jetzt vom glücklosen Übungsleiter zum Wundertrainer avancierte, der aber nicht gerade als Menschenfischer gilt. Oder doch Jürgen Klopp, der gerade in Liverpool durch eine tiefe Krise watet, aber seit Jahren schon deshalb als Idealbesetzung für den Posten gilt, weil er formvollendet die Sprache des Fussballvolks spricht? Der Deutsche Fußball-Bund kann sich glücklich schätzen, wenn er auch nur einen von beiden überzeugen könnte. Denn so sehr der Bundestrainerposten immer noch als zweithöchstes Staatsamt nach der Kanzlerin gilt, so sehr haben Klopp und Flick gute Gründe, vorerst dankend abzulehnen. Beide kennen das groteske Missverhältnis zwischen öffentlicher Wirkung und tatsächlichem Einfluss, das diesem Amt innewohnt. Beide wissen auch, dass der DFB als Verband seit Jahren tiefgreifende Reformen eher verschleppt als befördert. Und schließlich haben beide im ungleich spannenderen Klubfußball noch eine Menge vor. Die Nationalmannschaft zu coachen, ist ja eher die Endmoräne des Trainerdaseins.
Das sind die größten Favoriten auf Löws Nachfolge

Der Fußball-"Professor" wäre frei. "Rein sprachlich kommen nur Deutschland und England infrage. Das wäre für die neue Saison naheliegend“, hatte der frühere Trainer von RB Leipzig Mitte Februar bei Sky gesagt. Ein Engagement bei AC Mailand in Italien und zuletzt beim FC Chelsea in England war nicht zustande gekommen. Rangnick hat die Premier League oft als Wunschziel genannt - aber wenn der DFB anrufen würde? Der langjährige Trainer, der auch beim FC Schalke 04 und bei der TSG 1899 Hoffenheim gearbeitet hatte, gilt als akribischer Arbeiter und Taktiktüftler. In Leipzig war er der Alleinverantwortliche für den sportlichen Bereich, das wäre beim DFB mit Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff anders. Fraglich wäre zudem, ob Rangnick eine langfristige Lösung wäre.
DFB muss Fehler korrigieren
Klopp oder Flick oder ein Überraschungskandidat wie Ralf Rangnick oder gar Julian Nagelsmann? Oder Florian Kohfeldt? Oder als humoriger Verzweiflungsakt der von der "Bild"-Zeitung geforderte "Loddar" Matthäus? Viel wichtiger als diese Personalie dürfte sein, ob der Fußballbund konsequent die Fehler des letzten Jahrzehnts korrigiert und endlich wieder eine anständige Nachwuchsarbeit betreibt.
All das wird sich bald erweisen. Bis dahin allerdings sehen wir die große Abschiedstournee des Joachim Löw. Noch ein halbes Jahr hat er Zeit, einen besonderen Schlusspunkt zu setzten. Mit der Gewissheit, dass er es bald hinter sich hat, aber natürlich auch mit "einer ungebrochen großen Motivation".